Ein vielseitiger Begriff

Jihad in Südasien

Seit der Invasion der Sowjets in Afghanistan 1979 und dem Aufstieg der Taliban in den 1990er Jahren wird der Begriff Jihad von vielen ausschließlich als militärischer Kampf oder heiliger Krieg verstanden. Doch der Begriff ist vielschichtig.

Seit der Verwendung durch den Propheten Mohammed hat der Begriff Jihad eine lange Geschichte durchlaufen, sagt Rüdiger Lohlker von der Universität Wien. "Jihad können wir nur im historischen Kontext verstehen, eine Definition 'Jihad ist...' ist unmöglich, denn das Spektrum reicht vom inneren Ringen des einzelnen um ein ethisches Leben bis hin zum aggressiven militärischen Kampf."

Viele mögliche Interpretationen

Die große Vielfalt der Interpretationen lässt sich bereits für die Frühzeit des Islam dokumentieren. Im Verlauf der Jahrhunderte kann man immer wieder feststellen, dass die Deutung des Begriffs Jihad je nach Region und den jeweiligen politischen Verhältnissen variiert.

In Zeiten des Friedens wird Jihad häufig anders ausgelegt als in Zeiten, in denen sich Muslime infolge von Umwälzungen und Machtverschiebungen bedroht fühlen. Es gilt daher stets genau zu beachten, wer unter welchen Umständen von Jihad spricht. Das gilt auch für Südasien, wohin der Islam bald nach seiner Entstehung gelangte und muslimische Herrscher über Jahrhunderte regierten.

Politische Bewegung und kein heiliger Krieg

Im 19. und 20. Jahrhundert gewann der Jihad als antikolonialer Widerstand in einer Vielzahl von Regionen an Bedeutung, die vom Maghreb bis zum Kaukasus und über Südasien bis zu den Philippinen reichten.

Der Jihad war im frühen 20. Jahrhundert auch dem muslimischen Philosophen und Dichter Muhammad Iqbal ein großes Anliegen. Iqbal gilt als der Erfinder der Idee eines eigenen Staates für die Muslime im indischen Subkontinent - Pakistan. Unter der politischen Führung von Muhammed Ali Jinnah erhielten die Muslime 1947 tatsächlich Pakistan.

Doch Jinnah verstand diese Bewegung nie als einen heiligen Krieg, sondern als eine politische Bewegung - er wollte den Muslimen im unabhängigen Subkontinent einen Teil der Macht sichern. "Auch Iqbal, der viel über Jihad schrieb, forderte die Muslime nie dazu auf, einfach zu den Waffen zu greifen. Ihm war besonders am inneren Kampf gelegen - am Jihad als Mittel, um den eigenen Glauben zu stärken", sagt Ayesha Jalal.

Von oben geschaffen

Die Wende kam 1977 mit der Machtübernahme von Militärdiktator Zia ul Haq. Er förderte das Gedankengut der islamistischen Partei Jamaat-e-Islami und ihres Gründers Maududi, die bis dahin vom Staat mit Missbilligung angesehen worden waren.

Nach der Invasion der Sowjets in Afghanistan wurde Zia ul Haq zum wichtigsten Verbündeten der USA. Im Kampf gegen die Sowjets förderten und finanzierten die USA den Jihad als militärischen Kampf. "Jede einzelne Jihadi-Gruppe, die heute in Afghanistan und Pakistan für Unruhe sorgt, entstand in den 1980er Jahren und wurde von den USA und ihrem Lieblingsdiktator Zia ul Haq unterstützt, bewaffnet und finanziert", sagt der aus Pakistan gebürtige Historiker und Autor Tariq Ali. "Diese Gruppen kamen nicht von unten, sie wurden von oben aus geschaffen - und dann verselbständigten sie sich."

Die Taliban, Al Kaida und die Organisation Lashkar-eTayba, die Indien für die Anschläge in Mumbai Ende November vorigen Jahres verantwortlich macht, sind nur die prominentesten Gruppen, die ihren Ursprung in den 1980er Jahren haben. Einige der damals entstandenen Gruppen mischten sich in der Folge in den Kampf um das zwischen Indien und Pakistan umstrittene Kaschmir.

Hör-Tipp
Dimensionen, Donnerstag, 5. Februar 2009, 19:25 Uhr

Buch-Tipps
Tariq Ali, Pakistan, "Ein Staat zwischen Diktatur und Korruption", aus dem Englischen übersetzt von Michael Bayer, Diederichs 2008

Ayesha Jalal, "Partisans of Allah: Jihad in South Asia", Harvard University Press 2008

Rüdiger Lohlker (Hrsg.), "Dschihadismus", Reihe Islamica, Band 2
UTB 2009