Präsident des Bürgerkriegs

Abraham Lincoln

Vor 200 Jahren - genau: am 12. Februar 1809 - wurde Abraham Lincoln als Sohn armer Farmer in einer bescheidenen Blockhütte im hintersten Kentucky geboren. Lincoln wurde zum 16. und zu einem der bedeutendsten Präsidenten der Vereinigten Staaten.

Die Geschichte von Abraham Lincolns Präsidentschaft ist zugleich auch die Geschichte des amerikanischen Bürgerkriegs. Wenige Wochen vor Lincolns Amtsantritt im März 1861 sagten sich die Südstaaten von den Vereinigten Staaten los; wenige Wochen nach seinem Amtsantritt begannen die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Nord- und Südstaaten. 600.000 Menschen starben in diesem Bürgerkrieg, der vier Jahre lang dauerte - fast exakt die gesamte Amtszeit von Präsident Lincoln.

Rekonstruktion des Werdegangs

Georg Schilds Buch über Abraham Lincoln trägt im Untertitel den Zusatz: "Eine politische Biographie". Es geht dem Autor also nicht so sehr um die Person Lincolns, sondern um eine Rekonstruktion seines politisch-intellektuellen Werdeganges, seines Denkens und seiner Handlungsmotive. Keine leichte Aufgabe, denn trotz der vielen Tausenden Lebensbeschreibungen und Einzeluntersuchungen, auf die sich ein Lincoln-Biograf heutzutage stützen kann, bleibt vieles an Lincolns Leben im Unklaren.

Für die Frühphase seines Lebens gilt dies in besonderem Maße: Lincoln wuchs in einfachsten Verhältnissen in einer ländlichen Gegend von Illinois auf und es gibt dazu nur sehr wenige Überlieferungen oder Aufzeichnungen. Trotz seiner nur sehr rudimentären Bildung gelang es Lincoln später, sich als Autodidakt zum Rechtsanwalt auszubilden, ehe er in weiterer Folge dann in die Politik einstieg.

Problem der Sklavenhaltung

Für diese Lebensabschnitte ist die Quellenlage für den Lincoln-Forscher besser, aber es bleibt das Grundproblem, dass Lincoln eine introvertierte, grüblerische und geheimnisvolle Persönlichkeit war, die nur relativ wenig Selbstzeugnisse hinterlassen hat. Eine präzise Rekonstruktion seiner politischen Ansichten und Positionen ist daher nicht immer einfach. Dies gilt auch und vor allem für Lincolns Einstellung zur Sklaverei.

Die Frage der Leibeigenschaft hatte für ihn zunächst keine zentrale Bedeutung gehabt. Er war an der "frontier" in einer roh gezimmerten Blockhütte mit einem einzigen Raum unter Bedingungen aufgewachsen, die denen der Sklaven nicht unähnlich waren. Lincoln wuchs in einer Gesellschaft auf, in der Sklaverei akzeptiert war und in der sich nur eine kleine Minderheit für eine Beseitigung der Leibeigenschaft aussprach. Sklaverei stellte nur einen von vielen Konflikten dar, die den prekären Charakter der Vereinigten Staaten im 19. Jahrhundert offenbarten. Anders als die alten europäischen Nationalstaaten, deren Bürger sich durch eine gemeinsame Sprache, Tradition und Kultur verbunden fühlten, bestand der Zusammenhalt innerhalb der amerikanischen Union nur in Form einer "Idee" von Amerika. Die Bewohner des Landes stammten aus unterschiedlichen Staaten und hatten ihre jeweiligen politischen, religiösen und kulturellen Vorstellungen mit in die neue Welt gebracht. Für den jungen Lincoln erschienen Konflikte zwischen unterschiedlichen europäischen Einwanderergruppen wie protestantischen Engländern und katholischen Iren als potenzielle gesellschaftliche Bruchstelle als wesentlich bedeutsamer als Auseinandersetzungen zwischen freien Weißen und versklavten Schwarzen.

Die Emanzipationsproklamation

Die Zulassung der Sklaverei in manchen Bundesstaaten war der Webfehler in der Konstruktion der neu entstandenen Vereinigten Staaten, die politische Erbsünde, die das Verhältnis zwischen den Staaten im Norden und denen im Süden von Anfang an überschattete und schließlich zerrüttete. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnte das delikate politische Gleichgewicht zwischen dem industrialisierten Norden und dem agrarischen Süden noch aufrecht erhalten werden; mit der rapiden Ausdehnung der USA in den Westen und die Aufnahme immer neuer und nicht sklavenhaltender Bundesstaaten, kippte dieses Gleichgewicht aber schließlich. Der daraus resultierende Bürgerkrieg erzwang eine Entscheidung - für oder wider die Sklaverei -, die Geltung in allen Staaten der Union haben würde.

Erst der Krieg schuf die verfassungsrechtliche Voraussetzung für einen solch drastischen Eingriff in die Gesellschaftsstruktur der Südstaaten. Nach den Zerstörungen der Jahre 1861 und 1862 erschien eine Rückkehr zum politischen Status quo ante nicht länger vorstellbar. Doch die Emanzipationsproklamation war für Lincoln nur die zweitbeste Lösung. Er hatte in den Monaten zuvor erfolglos versucht, die Südstaaten für einen Plan zu gewinnen, die Sklaven allmählich und gegen finanzielle Kompensation frei zu lassen. Erst die rigorose Weigerung der Sklavenhalterstaaten, dem zuzustimmen, zwang Lincoln in die Rolle des Emanzipators.

Am 1. Januar 1863 erließ Lincoln eine Emanzipationsproklamation, deren eminente Bedeutung Georg Schild in seiner Lincoln-Biografie wie folgt betont:

Die Bedeutung des Dokuments ist nur mit der Unabhängigkeitserklärung und der Verfassung vergleichbar. Von einem Tag auf den anderen war die über zweihundertjährige Tradition der Sklaverei in den Vereinigten Staaten zu einem Ende gekommen.

Von fanatischem Südstaaten-Anhänger erschossen

Nach dieser Emanzipationsproklamation dauerte der Bürgerkrieg noch etwas mehr als zwei Jahre; er endete erst Anfang April 1865 mit der Kapitulation der Südstaatenarmee. Eine Woche später endete auch das Leben von Abraham Lincoln, als er von einem fanatischen Anhänger der besiegten Südstaaten erschossen wurde.

Lincoln war zu diesem Zeitpunkt bereits als Präsident wiedergewählt; seine zweite Amtszeit wäre im Zeichen der sogenannten "Reconstruction" gestanden, der Wiedereingliederung der Südstaaten und der Integration der befreiten Schwarzen in die amerikanische Gesellschaft. Mit seiner Ermordung blieb Lincolns Werk unvollendet.

Barack Obamas Vorbild

Auch wenn Historiker und schwarze Bürgerrechtler Lincolns Rolle als "Befreier der Sklaven" im Lauf der Zeit kritisch hinterfragt haben, so ist es kein Zufall, dass Martin Luther King seine berühmte "I Have a Dream"-Rede vor dem Lincoln Memorial in Washington gehalten hat - 1963 war das, genau 100 Jahre nach Lincolns Emanzipationsproklamation.

Für den außenstehenden Beobachter und den Leser von Georg Schilds Lincoln-Biografie zeigt sich eine Reihe von Ähnlichkeiten zwischen Lincoln und Barack Obama. Wie Obama diente Lincoln zunächst im Regionalparlament in Illinois, ehe er - eine weitere historische Parallele - nach nur zwei Jahren als Kongressabgeordneter in Washington als Präsidentschaftskandidat antrat. Ähnlichkeiten lassen sich auch im Naturell der beiden Politiker, ja sogar im äußeren Erscheinungsbild feststellen - ein in den USA weitverbreiteter Poster des Künstlers Ron English etwa vermischt die Gesichtszüge von Obama gekonnt mit denen von Lincoln.

Hinzu kommt die rhetorische Kraft, die Fähigkeit sowohl Lincolns wie Obamas mit einfachen, wohlgesetzten und durchaus auch religiös gefärbten Worten die Menschen zu begeistern und kollektiv Sinn zu stiften. Legendär etwa Lincolns "Gettysburg Address", eine knapp zweiminütige Ansprache, in der er Amerikas demokratisches Selbstverständnis mit diesen Worten auf den Punkt brachte:

Eine Regierung des Volkes durch das Volk und für das Volk.

In gewisser Weise sieht sich Obama am Beginn seiner ersten Amtszeit wohl vor den gleichen Herausforderungen wie Lincoln am Beginn seiner zweiten - die dieser ja nie antreten konnte. Als erster schwarzer Präsident könnte Obama Lincolns Werk vollenden oder zumindest weiterführen. Das heißt konkret: die Schwarzen vom Rand der Gesellschaft endlich in ihre Mitte zu führen und die Nation als Ganzes wieder zu einen und zusammenzuführen - nach vielen Jahre tiefer weltanschaulicher Konflikte zwischen den liberalen Staaten im Norden und Westen und den konservativen Staaten im Mittleren Westen und Süden.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Georg Schild, "Abraham Lincoln. Eine politische Biographie", Verlag Ferdinand Schöningh