Gesellschaftliche Entwicklungen mitgestalten

Delugan Meissl Associated Architects

Das Architekturfestival Turn On gibt im März einen Überblick über die österreichische Architekturszene. Die Präsentationen werden durch Vorträge zum Thema Wohnen ergänzt. oe1.ORF.at die Vortragenden via E-Mail-Interview zu diesem Thema befragt.

"Bei unseren Arbeiten handelt es sich um interaktive Organismen, die sich stets im Spannungsfeld zwischen dem Bau und seinen Benutzern befinden" sagt Elke Delugan über das Ende Jänner eröffnete Porsche-Museum in Stuttgart. Das Museumsgebäude scheint in der Luft zu schweben. Der Hauptbau, der einem spitzen Dreieck gleicht, ruht auf drei mächtigen Stützen. 10.000 Tonnen Stahl wurden für den Bau verwendet.

Das Architekturbüro Delugan Meissl Associated Architects wurde von Elke Delugan-Meissl und Roman Delugan gegründet. In seiner Anfangsphase befasste es sich sehr stark mit sozialem Wohnbau. Der Mischek Tower in der Wiener Donau City gilt bis heute als das höchste "Fertigteilhaus" der Welt.

oe1.ORF.at: Gebaute Strukturen sind stets auch Ausdruck gesellschaftlicher Wirklichkeiten - auf der Mikroebene des Wohnungsgrundrisses ebenso wie auf der Makroebene der Stadtplanung. Welche Konzepte beobachten Sie augenblicklich in diesen Bereichen, und welche Entwicklungen interessieren Sie - sowohl national als auch international - besonders?
Delugan Meissl: Die Globalisierung führt zur zunehmenden Fragmentierung von Disziplinen in hochspezifische Teilbereiche. Derartige Tendenzen sind auch in der Stadtentwicklung erkennbar, urbane Gesamtheiten setzen sich heute aus einer Vielzahl einzelner Komponenten unterschiedlichster Zuständigkeiten zusammen. Ausschlaggebend für effiziente Wohnkonzepte ist die Identifizierung der Nutzer mit ihrer Umgebung, die vom individuellen Wohnraum bis zum städtischen Umfeld erfolgt. Dieser Aspekt fließt permanent in unsere gestalterischen Überlegungen ein.

Welche Entwicklungen erhoffen Sie?
Die Herausforderung liegt im sinnvollen Zusammenführen einzelner Fachbereiche, übergreifende Symbiosen zu schaffen, um neue Potenziale zu generieren. Unsere Entwürfe entstehen mitunter durch Dekomposition architektonischer Bestandteile, Veränderung des Einzelteiles und dessen Neuzusammensetzung, durch das Experimentieren zwischen Analyse und Synthese. Dabei eröffnet sich ein hoch stimulierendes Spektrum an Kombinationen und Dissonanzen, woraus sich unser weiterer architektonischer Zugang ableitet. Durch die Zusammenfügung ergeben sich produktive Widersprüche, die Veränderungen in den jeweils anderen Teilsystemen und damit im Gesamtgebäude bewirken. Es handelt sich um einen subversiven Ansatz, im dicht geregelten und abgesicherten Gesamtsystem sozialer Wohnbau doch noch neue Potenziale für architektonische Abenteuer zu entdecken.

Kann Architektur Antworten auf soziale Herausforderungen, wie Migration und Integration geben? Können Sie je ein aus Ihrer Sicht gelungenes und misslungenes Beispiel nennen?
Architektur muss die Basis bilden, gesellschaftliche Entwicklungen mit zu gestalten. Es bedarf jedoch adäquater politischer Instrumente, um zukunftsrelevante gesellschaftliche Prozesse zu steuern. Die Stadt Wien verfolgt mit ihren Finanzierungsmodellen im Wohnbau ein erfolgreiches Konzept, um die funktionelle und gesellschaftliche Heterogenität zu fördern. Weitere Voraussetzung, diesen Herausforderungen erfolgreich zu begegnen, ist sicher auch eine Bewusstseinsbildung in der Gesellschaft.

In den 1980er und 1990er Jahren wurden plakative "Themenstädte" - von der Stadt der Frauen bis zur autofreien Stadt - forciert. Wie beurteilen Sie rückblickend diese Versuche, ideale Wirklichkeiten unter Laborbedingungen herzustellen?
Ab den 1990er Jahren gab es in der Architektur zahlreiche Bestrebungen, sich den sozialen Problemen zu stellen. Heute gilt es, diese Impulse und daraus gewonnene Erfahrungen in Entwicklungen umzusetzen. Leider werden gesellschaftsrelevante Eingriffe häufig zögerlich und punktuell angewandt und auf eine "plakative Oberfläche" reduziert, anstatt diese großräumig im Stadtsystem zu integrieren. Erst im großmassstäblichen Kontext können derartige Interventionen den Stadtorganismus verändern. Und als Organismus verstehen wir die Stadt, als kommunizierende, interagierende Gesamtheit. Die Vernetzung von Neuem mit Bestehendem mit Bedacht auf Anschlussmöglichkeiten für Zukünftiges.

Die jüngste Energiekrise hat die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern eindringlich ins Bewusstsein gerückt. Wie wichtig ist das Thema der Energieeffizienz für Sie und welche Auswirkungen hat es auf Ihre Architektur?
Nachhaltigkeit und ökologisches Bauen stehen in einem größeren Gesamtzusammenhang und dürfen nicht auf rein ökologische und ökonomische Komponente reduziert werden. Neubauten entstehen oft nach "state of the art", wobei umfassende Konzepte nicht selten ins Hintertreffen geraten. Nachhaltigkeit ist keine fixe Konstante, sondern ein hochkomplexer, fließender Prozess, der weit über bauphysikalische Ausführungen einzelner Gebäude hinaus geht.

Wie schätzen Sie das heute sehr aktuelle Thema der Nachhaltigkeit oder auch das Thema der Sanierung in der Architektur generell ein?
Sanierung und Instandhaltung kann nur als integrativer Bestandteil eines Gesamtkonzeptes zielführend sein. Anderenfalls gehen die Bemühungen nicht über einen "homöopathischen" Eingriff hinaus.

Das Thema Wohnbau ist ein brisantes und wird in Wien besonders auch von politischer Seite sehr forciert. Wie sehen Sie das Thema Wohnbau - architektonisch, politisch, im Rahmen Ihres Werkes und Ihrer Auseinandersetzung?
Wohnbau ist zentrales Thema unserer Arbeit, es manifestiert die Grundform der Behausung. Diese ist untrennbar mit dem Städtebau verbunden, denn über das Schaffen von Wohnraum hinaus, gilt es gleichermaßen jenen Raum zu gestalten, der sich im städtischen Gefüge daraus ergibt. Architektur ist immer die Ritualisierung eines Dialogs. Unser Schaffen zielt darauf ab, dass dieser mittels subjektiver Raumerfahrung verstanden und erwidert wird. Die physiologische Wirkung von Räumen auf den Menschen prägt Bewegungsflüsse und Wegeführungen, denn unabhängig von ihrer Bestimmung arbeitet die Architektur immer mit performativen Formen, die anhand tatsächlicher Form dargestellt werden. Grundsätzlich sind die qualitativen Anforderungen an den Wohnbau und die Bereitschaft, diese mit zu tragen sind in Wien sehr hoch.

Welche Wohnform bevorzugen Sie selbst?
Orte im Dialog mit ihren Nutzern, Räume, die Identität zulassen und fördern. Um es mit den Worten des Schriftstellers und Architekten Bogdan Bogdanovic zu sagen: "Ich bin eine kleine Stadt, die Stadt ist ein großes ICH."

Bei Turn On sind Sie mit dem Porsche Museum vertreten. Was war für Sie zentral an dieser Arbeit und wie fügt sie sich in Ihr Schaffen ein?
Das Porsche-Museum ist ohne Zweifel eines unserer wichtigsten Projekte, denn stärker als bei vorangehenden Bauten hatten wir hier die Chance, unsere Auffassung von Architektur umzusetzen und Entwurfsideen in ihrer Gesamtheit zu entfalten. Unsere architektonische Sprache wurde seitens der Auftraggeber in hohem Maße anerkannt.

Mehr zum Porsche-Museum in oe1.ORF.at

Links
Turn On
Radiokulturhaus - Turn On Architekturfestival
Delugan Meissl Associated Architects
Porsche Museum