Mit I-Wörtern schießen

Der gottlose Backenzahn

Die Kolumne hat ausgedient - dort wuchern nur mehr die I-Wörter. Gott sowieso. Und ich habe Zahnschmerzen. Sehen wir uns unter diesen Voraussetzungen in der Welt um, wo arbeitslose Medienarbeiter eine Beratungsagentur oder ein eigenes Medium gründen.

Ich will mich ja gar nicht beklagen, das können meine Kollegen, die an dieser Stelle publizieren, besser. Sie beklagen sich die ganze Zeit darüber, dass niemand sie lieb hat, dass die Kinder einem den letzten Nerv ziehen, dass man gendermäßig auf Teufel(oder Teufelin) komm raus missverstanden wird und weiß Gott was sonst noch. In Kolumnen wird eigentlich überhaupt nur geklagt, egal wer in welchem Medium auf knappem Raum seine eigene Existenz zum Thema macht - und die Kolumne ist die höchste Form der Selbstüberschätzung -, ständig lese ich über Idiotie, Idiosynkrasie und Idolatrie. Sehen Sie: lauter I-Wörter, wie sie in den Kolumnen hierzulande nur so wuchern: ignoranz, intoleranz, intriganz, ineffektiv, inert, blablabla, lesen Sie nach im "Standard", in der "Presse", im "Falter", im "Kurier" und wie das viele potenzielle Altpapier sonst noch heißt. "Österreich" (die Zeitung) ist wenigstens nur inkompetent, sprachlich und sachlich, irreparabel inkompetent, um genau zu sein.

Aber gut, es ist leicht, auf andere zu spucken, wenn man selbst ganz unten ist, unter Asseln, im feuchten Keller der Schattenpublizistik. Wenn einem als Literaturkritiker der Arbeitgeber abhanden kommt, steht man sehr schnell auf dem letzten Platz in der langen Reihe freigesetzter Arbeitskräfte. Anders gesagt: Man wird nicht gebraucht, nicht einmal von denen, über die man jahrelang geschrieben hat. Deshalb gehe ich allen Autoren aus dem Weg, auch jenen, die mich ohnehin nie gegrüßt haben. Wie gesagt, man will sich nicht beklagen, man möchte sich aber sein Elend auch nicht durch hämisches Gegrinse abgelten lassen.

Was also tut man. Arbeitslose Medienarbeiter gründen eine Beratungsagentur oder ein eigenes Medium. Beides bringt nichts ein, lässt aber das Selbstwertgefühl nicht unter den Minimalpegel absinken. Die Selbstmordrate unter diesen Leuten ist erstaunlich niedrig, denn wie gesagt, das Gegengift zum Lebensüberdruss sind die I-Wörter, mit denen man auf seine Mitmenschen schießt. Je mehr von ihnen getroffen in die Knie gehen, umso mehr gerät das Blut in Wallung und verhärten sich die Geschlechtsorgane. Das ist keine Frage des Geldes und auch nicht der Potenz, sondern der Macht, die einem nach der ersten Leiche im Keller mehr oder weniger grenzenlos vorkommt. Medienarbeiter sind glühende Leichenzähler.

Ich habe mir nun vorgenommen, eine vollkommen überflüssige Publikation ins Leben zu rufen, ein Feuilletonmagazin, das niemand lesen will, weil niemand dafür schreiben möchte. Ich habe es "Der Backenzahn" genannt, nicht weil es Biss hätte, sondern weil das einzige Kriterium für Mitarbeiter darin besteht, vor Schmerz über einen eitrigen Backenzahn im Kreis zu laufen. Bei massivem Zahnweh setzt nämlich das Denken aus, ganz abgesehen vom Willen, ein Buch zu lesen. Deshalb gibt es bei uns ausschließlich ungeschriebene Kritiken über ungelesene Bücher zu lesen. Oder eigentlich: nicht zu lesen. Dafür fließt reichlich Presseförderung auf mein Konto, denn, so der zuständige Staatssekretär: Die Wahrheit liegt im Ungesagten. Und die Wahrheit muss dem Steuerzahler etwas wert sein.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass alle Weltreligionen wie Sekten behandelt gehören und nur eine Welt ohne Gott eine Zukunft hat. Jeder Glaube ist nichts als ein Säurebad für die Menschlichkeit, ist unvernünftig, ist antizivilisatorisch und unmoralisch.

Da war jetzt kein I-Wort dabei, deshalb stehe ich dazu. Gott ist so tot wie es "Der Backenzahn" nie sein wird. Darauf verwette ich mein Leben und das jungfräuliche Gewand des Papstes.

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