Zwei Geschichten von Roberto Saviano
Das Gegenteil von Tod
Roberto Saviano muss sich nach seinem mittlerweile auch verfilmten Bestseller "Gomorrha" vor der Mafia verstecken. Nun hat er zwei neue, beeindruckende Geschichten über das von der Mafia geprägte Leben im Süden Italiens veröffentlicht.
8. April 2017, 21:58
Gerade einmal 70 groß bedruckte Seiten umfasst Roberto Savianos neues Buch. Zwei kurze Texte über den Süden Italiens beinhaltet es, die das Leben derer beschreiben, die dem Elend, in das sie hineingeboren wurden, auf legale Weise zu entgehen versuchen.
Witwe mit 17
Die erste Geschichte handelt von Maria. 17 Jahre ist sie gerade geworden und schon Witwe. Ihr Mann ist als italienischer Soldat in Afghanistan ums Leben gekommen. Die Trauer scheint das junge Mädchen schier verrückt zu machen. Saviano geht es in dieser Geschichte aber nicht nur um das persönliche Leid. Er, der Chronist der mafiösen Verstrickungen seiner Heimat, kann gar nicht anders, als aus dem Einzelschicksal eine Metapher für den ganzen Landstrich zu machen.
Hier trainiert man täglich, alles so zu nehmen, wie es kommt, und das führt zu einer zupackenden Haltung. Wenn es passiert ist, musst du daraus einen Gewinn ziehen, und es ist diese Haltung, die verhindert zu verstehen. Zu verstehen, wie die Dinge laufen, wie sie vermieden werden können, woher sie kommen.
Kriegsheimkehrer überall
Kriege kommen und gehen. Was war der "letzte" Krieg, wird in den Bars gefragt? Der in Afghanistan, der im Irak, oder doch der Einsatz im Libanon? Überall wimmelt es von Kriegsheimkehrern, denn der Auslandseinsatz ist in Süditalien für die Armen eines der wenigen Mittel, gutes Geld zu verdienen, ohne sich der organisierten Kriminalität andienen zu müssen. Die meisten Soldaten für die italienischen Missionen stammen aus dem Süden. Mehr als die Hälfte der Gefallenen ebenfalls. Der Krieg, das zeigt Saviano eindrücklich, findet keineswegs nur im Ausland statt und er wird nicht nur von Soldaten geführt.
In meinem Geburtsort trugen alle Freundinnen meiner Tante immer Schwarz, denn es gab immer einen jungen Mann, der umgebracht worden war, einen entfernten Verwandten, der von einem Gerüst gestürzt war, immer musste man einer Familie, die einen Angehörigen verloren hatte, Respekt erweisen. Und wenn es keinen Trauerfall gab, trug man trotzdem Schwarz, denn es würde sicher bald wieder einen geben. Deshalb war es besser, die Trauerkleidung gar nicht abzulegen.
An Stelle eines anderen erschossen
Von zwei solchen Jugendlichen, die plötzlich sterben, handelt die zweite Geschichte dieses Bandes. In "Der Ring" beschreibt Saviano, wie Vincenzo und Pietro, denen dieses Buch auch gewidmet ist, von zwei Killern erschossen werden. Die wollten zwar jemand anderen töten, aber weil ihnen der entwischte, erschossen sie ganz einfach die beiden, die sie zur Hand hatten.
Saviano erzählt diese Begebenheit ungeheuer spannend; auf wenigen Seiten entwirft er ein Panorama von archaischer Wucht. Zwei junge Männer, die alles versuchen, um nicht in die Fänge der Gomorrha zu geraten, die sich mit wenig Geld durchschlagen, die hoffen und arbeiten. Und dann plötzlich, wie eine Naturkatastrophe, bricht die allgegenwärtige Gewalt über sie herein.
Auf einer Piazza gestanden zu haben und aus Angst weggelaufen zu sein, ohne zu wissen, wer einen verfolgt und warum. Das war Vincenzos und Guiseppes größte Schuld. Ermordet. Unschuldig. Ein Tod, über den am nächsten Tag in keiner überregionalen Zeitung berichtet wurde. Auch nicht in den Fernsehnachrichten oder im Rundfunk. Stumm, die Linken, die Rechten, die Mitte. Alle stumm.
Italienisches Sittengemälde
Die Geschichte von Vincenzo und Guiseppe wäre an sich schon tragisch genug, aber Saviano bettet sie in eine größere Erzählung ein; verknüpft Vergangenheit und Gegenwart, die Scham des Südens mit dem Nichtverstehen des reichen Nordens zu einem eindrücklichen italienischen Sittengemälde.
Saviano erzählt von einem Mädchen aus dem Norden, das er zum ersten Mal in seine Heimat holte. Berichtet davon, wie er sich schämte, sie herumzuführen und sie nicht verstehen konnte, wem die vielen Blumensträußchen und Grablichter in Fußhöhe gewidmet waren. Die Erinnerung an die jungen Männer, die von Kugeln durchsiebt waren, wurden von der Besucherin aus dem Norden als Andenken an Verkehrsopfer gedeutet.
Schützender Ring
Als dann Saviano mit ihr auf der Hochzeit eines entfernten Cousins aufkreuzt und sie von den Blicken der Männer verfolgt wird; von Blicken, die sie messen, die sie als "unbesetztes Territorium" betrachten, wie Saviano schreibt, und er nur einen Ausweg weiß. Er nimmt den Ring seiner Großmutter und gibt ihn ihr. Nun ist sie markiert, nun ist sie geschützt.
Zuerst wirkte sie befremdet, ja erschrocken, dann schaute sie mich honigsüß an, als hätte ich ihr ein Geschenk gemacht. Sie hatte nichts begriffen.
Irgendwo zwischen Reportage, Essay und Kurzgeschichte hat Saviano seine Texte angesiedelt. Vor allem in der zweiten Geschichte verbindet er journalistische Recherche und handwerkliche Präzision mit ungeheurem literarischen Talent. So dünn dieses Buch auch ist, der Eindruck, den es hinterlässt, ist groß.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
Roberto Saviano, "Das Gegenteil von Tod", aus dem Italienischen übersetzt von Friederike Hausmann und Rita Seuß, Hanser Verlag
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Hanser - Das Gegenteil von Tod