Der Mensch als Mittelpunkt der Bauaufgabe
Hohensinn Architektur
Das Architekturfestival Turn On gibt im März einen Überblick über die österreichische Architekturszene. Die Präsentationen werden durch Vorträge zum Thema Wohnen ergänzt. oe1.ORF.at die Vortragenden via E-Mail-Interview zu diesem Thema befragt.
8. April 2017, 21:58
"Im Vordergrund unseres Zugangs zur Architektur stehen die Behutsamkeit im Umgang mit Vorgefundenem und der Respekt vor den Bedürfnissen der Nutzer" lautet das Motto von Architekt Josef Hohensinn. Er wurde 1956 in Oberösterreich geboren und betreibt seit 1998 das Büro "Hohensinn Architektur" in Graz. Die Nutzer bei dem im Rahmen von Turn On vorgestellten Projekt, sind die Häftlinge und Bediensteten des Justizzentrums Leoben. Bei der Entwicklung der Justizanstalt war der soziale Zugang äußerst wichtig, betont Hohensinn. So wurde ein humanes und die Menschenwürde achtendes Bauwerk geschaffen, und gleichzeitig konnten die enorm komplexen und notwendigen sicherheitstechnischen Anforderungen erfüllt werden. Ein Mikrokosmos wurde erzeugt, der sowohl den Freiheitsentzug als auch ein verhältnismäßig "normales" Weiterleben gewährleistet.
oe1.ORF.at: Gebaute Strukturen sind stets auch Ausdruck gesellschaftlicher Wirklichkeiten - auf der Mikroebene des Wohnungsgrundrisses ebenso wie auf der Makroebene der Stadtplanung. Welche Konzepte beobachten Sie augenblicklich in diesen Bereichen, und welche Entwicklungen interessieren Sie - sowohl national als auch international - besonders?
Josef Hohensinn: Auch wenn wir derzeit keinen klassischen Wohnbau im Büro bearbeiten - in den letzten Jahren konnte man beobachten, dass es im Wohnbau eine Reduzierung auf Baukörper und Grundriss ohne tiefer gehende Ausgestaltung gegeben hat. Das hängt auch mit der wirtschaftlichen Situation zusammen bedeutet aber, dass das Wohnumfeld viel zu kurz gekommen ist.
Welche Entwicklungen erhoffen Sie?
Es wäre wichtig, nicht nur die Wohnungsgrundrisse zu bearbeiten, sondern die Einbindung in ein Umfeld, in einen städtebaulichen Kontext zu forcieren, der dem menschlichen Maßstab entspricht, also auch reichhaltiger ist als das, was heute oft gebaut wird.
Kann Architektur Antworten auf soziale Herausforderungen, wie Migration und Integration geben? Können Sie je ein aus Ihrer Sicht gelungenes und misslungenes Beispiel nennen?
Architektur kann und muss Antworten auf soziale Herausforderungen geben. Es ist auch die Aufgabe des aktuellen Wohnbaus, dass Integration eine bauliche Entsprechung findet.
In den 1980er und 1990er Jahren wurden plakative "Themenstädte" - von der Stadt der Frauen bis zur autofreien Stadt - forciert. Wie beurteilen Sie rückblickend diese Versuche, ideale Wirklichkeiten unter Laborbedingungen herzustellen?
Davon halte ich nicht allzu viel. Ich bin eher der Meinung, dass alle diese Themen, wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung, in jedem Wohnbau und auch in jeder anderen Arbeit enthalten sein müssen.
Die jüngste Energiekrise hat die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern eindringlich ins Bewusstsein gerückt. Wie wichtig ist das Thema der Energieeffizienz für Sie und welche Auswirkungen hat es auf Ihre Architektur?
Energieeffizienz gehört zu den wichtigsten Themen und das ist uns auch bewusst. Die Auswirkungen auf unsere Architektur sind allerdings keine formalen, sondern technische und konstruktive.
Wie schätzen Sie das heute sehr aktuelle Thema der Nachhaltigkeit oder auch das Thema der Sanierung in der Architektur generell ein?
Nachhaltigkeit muss im Rahmen einer verantwortungsvollen Architektur selbstverständlich sein. Und in diesem Zusammenhang spielen auch Sanierungen eine große Rolle. Sanieren, Umnutzen, Weiternutzen und den Lebenszyklus eines Bauwerks sinnvoll zu verlängern halte ich für ganz wesentlich.
Das Thema Wohnbau ist ein brisantes und wird in Wien besonders auch von politischer Seite sehr forciert. Wie sehen Sie das Thema Wohnbau - architektonisch, politisch, im Rahmen Ihres Werkes und Ihrer Auseinandersetzung?
Der Beginn meiner Arbeit war mit einer besonders intensiven Auseinandersetzung mit Wohnbau verbunden, besonders im Hinblick auf die soziale Komponente. In diesem Sinn halte ich Wohnbau für ein gesellschaftspolitisch höchst relevantes Grundthema in der Architektur.
Welche Wohnform bevorzugen Sie selbst?
Ich selbst wohne in einem Einfamilienhaus in verdichteter Bauweise und bin damit sehr zufrieden.
Bei Turn On sind sie mit dem Justizzentrum Leoben vertreten. Was war für Sie zentral an dieser Arbeit und wie fügt sie sich in ihr Schaffen ein?
Zentral war für mich die Auseinandersetzung mit dem Thema an sich, besonders weil ausgehend von einer Wohnversorgung für Häftlinge ein sehr großes Spektrum weiterer Bauaufgaben wie Gewerbebetrieb, Krankenhaus, Verwaltungsbau usw. berührt wird. Außerdem ist es eine logische Fortsetzung der Auseinandersetzung mit dem Menschen als Mittelpunkt einer Bauaufgabe.
Links
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