Biografie und Einführung anlässlich des 25. Todestags

Foucault

Im Gegensatz zu zahlreichen anderen einst gehypten Denkern der Postmoderne ist Michel Foucault auch 25 Jahre nach seinem Tod stark rezipiert. Sein Freund, Paul Veyne, zeichnet nun die großen Ströme im Denken von Foucault exemplarisch nach.

Im Februar 1984 litt Michel Foucault an hartnäckigem Husten und ständigem leichten Fieber. Er bat seinen alten Freund Paul Veyne, dieser möge doch seine Frau, eine Ärztin, um Rat fragen. "Deine Ärzte werden sicher denken, dass du AIDS hast", meint Paul Veyne im Scherz. "Das ist genau das, was sie denken", antwortete Foucault.

Zu Beginn des Jahres 1984 war AIDS noch mehr Mythos als Realität. "Gibt es AIDS tatsächlich?" frage Paul Veyne Michel Foucault, "oder ist es bloß eine moralisierende Legende?"

Knapp vier Monate später war Michel Foucault tot. Gestorben im Alter von 57 Jahren - an AIDS.

Nach Beendigung der Vorlesungen, die er jedes Jahr in Berkeley hielt, genehmigte er sich einen LSD-Trip und einen Ausflug in eine Schwulensauna im Homosexuellenghetto von San Francisco. Dort hat er sich den Tod geholt. In seinem Büro im College de France hing ein Werbeplakat für diese Sauna, das er, auch als er bereits krank war, nicht von der Wand genommen hatte.

Platz fürs Denken

Die Erinnerungen an den Menschen Michel Foucault nehmen in Paul Veynes Buch nur geringen Raum ein. Der Großteil der Arbeit widmet sich dem Denken des großen Philosophen. Foucaults Originalität bestand darin, konstatiert der Historiker Veyne, dass er erforschte, wie sich die Wahrheit in der jeweiligen Zeit darstellte. Wie die Welt gesehen, was wann warum als wahr gedeutet wird.

Von fixen Vorgaben, von ideologischen Scheuklappen hielt Foucault nichts. Er glaubte nicht daran, dass es eine universelle, die Zeiten überdauernde Wahrheit gibt; für ihn war die Vergangenheit ein einziger Friedhof der Wahrheiten.

Aus diesem Grund vertraute der Philosoph auch keinem der großen Deutungssysteme, die zu seiner Zeit en vogue waren. Dem Marxismus nicht, dem Strukturalismus nicht, der Psychoanalyse nicht. Foucaults großes Vorbild war Friedrich Nietzsche und wie er war er von einem tiefen Skeptizismus durchdrungen.

Und so stand er auch der politischen Agitation kritisch gegenüber. Foucault engagierte sich sehr wohl, aber er stellte seine Arbeit nicht in den Dienst einer politischen Überzeugung. "Verwendet das Denken nicht dazu, einer politischen Praxis einen Wahrheitswert zu verleihen", sagte er.

Als Mensch, als politisch engagierter Kämpfer, gehörte Foucault ebenso wenig zu den 68ern wie zu den Strukturalisten. Er glaubte weder an Marx noch an Freud, weder an die Revolution noch an Mao, und privat machte er sich über den naiven Fortschrittsglauben lustig.

Foucault vermied es, sein politisches, quasi privates Engagement philosophisch zu verbrämen. "Wir wünschen uns eine Sache nicht deshalb, weil wir sie für gut befinden, sondern wir befinden sie für gut, weil wir sie uns wünschen", zitiert Paul Veyne den Philosophen Spinoza in diesem Zusammenhang.

Unverändert wichtig

25 Jahre nach seinem Tod wird Foucault noch immer ausgiebig gelesen. Seine Vorlesungen und seine Aufsätze werden gedruckt. Jedes Wort von ihm publiziert. Und sehr viele Studenten und politisch engagierte zitieren ihn gerne oft - und verkürzt. Paul Veynes großes Verdienst besteht nun darin, die Grundprinzipen von Foucaults Denken herausgearbeitet zu haben. Viel Raum verwendet der Historiker Veyne, um das Werkzeug des Historikers Foucault darzulegen. Zum Beispiel den zentralen Begriff "Diskurs":

Die Diskurse sind die Brillen, durch die die Menschen in jeder Epoche alle Dinge wahrgenommen, gedanklich erfasst und betrieben haben. Sie sind für die Herrschenden genauso wichtig wie für die Beherrschten, es sind keine Lügen, die von jenen erfunden wurden, um diese zu täuschen und um ihre Herrschaft zu rechtfertigen.

In der Matrix

Der Diskurs lässt sich nicht auf das Gesagte reduzieren. Das Gesprochene ist nur die sichtbare Spitze des Eisberges. Der Diskurs, die Episteme und Dispositive, um die zwei weitere zentrale Begriffe Foucaults zu verwenden, sind das, was das Denken, Fühlen, Handeln aller beeinflusst; die Matrix, auf der sich alle bewegen.

Zu glauben, man könnte die Gesellschaft ändern, indem man die Sprache verändert; das Zusammenleben schöner, gerechter, freier gestalten, wenn man Behinderte nicht mehr Behinderte nennt und das Wort Fräulein aus dem Wortschatz streicht, hat mit Michel Foucaults Diskurs-Theorie aber gar nichts zu tun.

In der Matrix

Der Diskurs lässt sich nicht auf das Gesagte reduzieren. Das Gesprochene ist nur die sichtbare Spitze des Eisberges. Der Diskurs, die Episteme und Dispositive, um die zwei weitere zentrale Begriffe Foucaults zu verwenden, sind das, was das Denken, Fühlen, Handeln aller beeinflusst; die Matrix, auf der sich alle bewegen.

Zu glauben, man könnte die Gesellschaft ändern, indem man die Sprache verändert; das Zusammenleben schöner, gerechter, freier gestalten, wenn man Behinderte nicht mehr Behinderte nennt und das Wort Fräulein aus dem Wortschatz streicht, hat mit Michel Foucaults Diskurs-Theorie aber gar nichts zu tun.

Der Literat Foucault

Paul Veynes Buch ist das Dokument einer langen, intensiven intellektuellen Freundschaft und ein Werk, das die großen Ströme im Denken von Foucault exemplarisch nachzeichnet. Biografie ist das Buch aber ebenso wie eine Einführung. Und das ist gut; vor allem deshalb, weil man zur Lektüre von Michel Foucault keine Einführung benötigt. Denn wie kaum ein anderer Denker schrieb Foucault klar und leicht verständlich. Und so ist es auch richtig, dass Veyne immer wieder vom Literaten Foucault spricht. Auch das ein Grund, warum Foucault heute aktueller denn je ist, während all die anderen französischen postmodernen Denker, die in den 1970er und 1980er Jahren so modern waren, heute fast nur noch in esoterischen Lesezirkeln rezipiert werden.

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Buch-Tipp
Paul Veyne, "Foucault", deutsch von Ursula Blank-Sangmeister unter Mitarbeit von Anna Raupach, Philipp Reclam jun., Stuttgart