Gesammelte Gedichte von Franz Josef Czernin

staub.gefässe

Franz Czernins Lyrik und Essayistik sind ohne Zweifel sprachbewusste Dichtung; das heißt, mittels Kunstsprache soll Erkenntnis über des Menschen Natur und über die Natur gewonnen werden. Nun sind "gesammelte gedichte" von Franz Josef Czernin erschienen.

Franz Josef Czernin hat sich als Dichter, Theoretiker der Dichtkunst und als Essayist in den letzten zehn Jahren einen Namen gemacht, was gerade im Bereich der Lyrik eher Seltenheitswert hat. Geht man die Germanistikseminare an den Universitäten durch, so taucht seine Dichtung konstant auf. Aber werden Czernins Gedichte auch von einem breiteren, interessierten Publikum gelesen? Das ist eine heikle Frage, denn Lyrik gilt per se als Minderheitenprogramm. Zudem werden Czernins Gedichte oft als schwierig eingestuft, als sprachspielerisch und sprachlastig.

Viel bislang Unveröffentlichtes

Mit dem Band "staub.gefässe" kann man sich einen schönen Überblick zu Czernins poetischem Schreiben verschaffen. Die Lyrikauswahl umfasst den Zeitraum von 1975 bis heute und enthält auch zahlreiche, bislang unveröffentlichte Gedichte. Dabei fällt auf, dass Czernin schon in der frühesten Schaffenszeit neben sehr strenger, regelpoetischer und sprachlogischer Lyrik auch Gedichte geschrieben hat, deren Witz jedem Lyrikliebhaber unmittelbar zugänglich sein sollte. So im Gedicht "mundgymnastik und jägerlatein".

wer ist denn nicht seine eigene windeseile?
jeder cowboy reitet seine lieblingsmelodie
der heimat zu, und was ist heimat als die
wettervorhersage, die niemals eintrifft?
und wenn du behauptest, dass so ein reisender
es bereiten muss, das letzte wort,
dann könntest du dich trotzdem täuschen.


Dieses Gedicht ist H. C. Artmann gewidmet. Nicht ohne Grund, denn man weiß, dass die Wiener Gruppe mit Artmann, Gerhard Rühm, Konrad Bayer, Oswald Wiener und Friedrich Achleitner eine wesentliche Ausgangsbasis für die Lyrik Czernins darstellt. Dasselbe gilt – in eingeschränkter Weise - für die Konkrete Poesie mit ihren oftmals formalen Gedichten, in denen Worte und Satzteile permutiert und Wortkonstellationen kreiert wurden. Aber Czernin ist auch ein Dichter, der sich dem Sonett verpflichtet hat. Und somit umfasst der Traditionsrahmen seiner eigenen Dichtung auch Shakespeare und Barock.

Essay von Martin Mosebach

Nun findet sich im Band "staub. gefässe" auch ein langer Essay von Martin Mosebach. Wie!, wird man denken, dieser Ultratraditionalist, der das Zweite Vatikanische Konzil verachtet und sogar manchmal still, aber doch hörbar über die Vorzüge des Monarchischen sinniert, legt sich für die Dichtung Franz Josef Czernins ins Zeug?! Dass dem so ist, ist gar nicht so verwunderlich.

In seinem Essay verpflichtet Mosebach die Lyrik Czernins auf die Tradition Shakespeares und des Barock. Allerdings wird der Einfluss der Wiener Gruppe marginalisiert und das Sprachexperiment bei Czernin fast schon als früher Fauxpas eingestuft. Doch so einfach liegen die Dinge nicht! Czernin beruft sich zwar bewusst auf eine lange Dichtungstradition, aber in dieser spielt das Sprachexperiment eine ebenso große Rolle wie die formale Struktur des Sonetts.

Mosebach hört in den Gedichten Czernins hingegen den hohen Ton der Lyrik, was ja nicht falsch ist. Aber daraus etwas Erhabenes, ja Klassisches destillieren zu wollen, ist reine Illusion - Mosebachs Wunschdenken.

Ebene des Mythischen

Doch es kommt noch schöner. In Czernins Dichtung wird zeitweise sehr behutsam auch die Ebene des Religiösen und Mythischen angesprochen. Mosebach verbindet diese Spur mit dem Erhabenen und schon ist für ihn in Sachen Czerninscher Poesie eines klar: "Ich spreche von der mythischen, der kultisch-rituellen und schließlich der sakralen und religiösen oder mystischen Sphäre."

Und da Franz Josef Czernins Familie zum alten Adel Österreichs gehört, wird der Dichter für Mosebach zum Bruder im Geiste: ein monarchischer Dichterling, der die katholische Tradition empfindsamer Himmelslyrik auf höchstem Niveau neu belebt. Nur das alles ist Czenins Lyrik auf gar keinen Fall!

Naturlyrik beleben

Mosebach verschweigt geflissentlich, dass Czernin seit seinen Anfängen die Naturlyrik neu beleben will und ihm das auch auf unnachahmliche Weise gelungen ist. Es geht dabei darum, die Sprachnatur des Menschen mit der Natur organisch und auch ideenhaft zu verbinden.

ins grüne lassen schwärmen uns, vielfach verzweigen,
erspriesslich himmelstürmend hügel-, fern waldsäumen,
das üppige kraut nah überschiesst in uns, hochsteigen
die säfte reichlich, wohlergangen weit einräumen.


So lauten die ersten Zeilen des Gedichts " "sonett, natur". Der hohe Ton treibt einen förmlich in die Natur - freudig, vielleicht auch daran denkend, dass die natura naturans, die selbst schaffende Natur etwas mit der Schöpfung gemeinsam hat - und wir mit ihr. All das macht aber aus Czernin noch lange keinen religiösen Dichter.

Mit Humor

Vieles in Martin Mosebachs Essay ist durchaus bedenkenswert, aber leider überwiegt die Missdeutung. Und diese Missdeutung darf nicht dazu führen, dass man die Lyrik Franz Josef Czernins ungelesen beiseite legt, denn sie gehört zum Besten, was wir haben. Daher sei den Lesern der Band "staub. gefässe" mit ganzer Überzeugung empfohlen. Und im Band gibt es auch Gedichte, die das Erhabene als Witz begreifen.

ach, wir kreuzen unsere blicke,
und das haut die sicht in stücke,
und das reizt auch unsere haut,
heizt uns ein und rauht uns auf;
ja so schneuzt uns jede mücke
aus der weiten welt hinaus,
bis der reine himmel wieder blaut.


Das ist die hohe Kunst der Unsinnspoesie. Man lacht und lacht sich verstohlen ins Fäustchen. Was wohl Martin Mosebach zu diesem Gedicht sagen würde?

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Franz Josef Czernin, "staub.gefässe. gesammelte gedichte", Carl Hanser Verlag

Link
Hanser Verlag - staub.gefässe