"Jedes Gedicht ist eine Arche"
Der Dichter Günter Kunert wird 80
Johannes R. Becher hat ihn entdeckt, mit Bert Brecht war er befreundet, für Kollegen wie Wolf Biermann hat er sich politisch engagiert. Günter Kunert gehörte bis zu seinem Wechsel in die Bundesrepublik im Jahr 1979 zu den meistgelesenen Autoren der DDR.
8. April 2017, 21:58
Günter Kunert liest eines seiner Gedichte
Er gilt als Pessimist und Unheilsprophet. Doch Günter Kunert, der am 6. März dieses Jahres 80 Jahre alt wird, sieht sich eher als Skeptiker, "aber mehr nicht. Ich leide nicht an der Welt", sagte der in Kaisborstel in Schleswig-Holstein lebende Autor einmal.
Der besonders durch sein lyrisches Werk bekannte Schriftsteller, der 1979 aus der DDR in die Bundesrepublik übersiedelte, versteht sich als "Seismograph unserer Zeit": "Ich registriere das Erdbeben, aber ich kann es nicht verhindern."
Sprache als Lebensmittel
Der belesene und vielfach ausgezeichnete Autor sieht in der "Atomisierung des Wissens einen Mitgrund für die Orientierungslosigkeit unserer Zeit". Die Literatur ist für ihn "das letzte bedeutende Element von Sinnstiftung, nachdem die übergreifenden Prinzipien ihre Allgemeingültigkeit eingebüßt haben und die Ethik zur individuellen Moral geworden ist". Die Literatur liefere dem Leser die Legitimation für die eigene Existenz. Auch der Autor Kunert vergewissert sich schreibend seines Daseins. Er brauche den Umgang mit der "Sprache wie eine Droge zum Überleben," bekannte der fleißige Tagebuchschreiber.
In zahlreichen Essays hat sich Kunert immer wieder kritisch mit der deutsch-deutschen Vergangenheit auseinander gesetzt. In seiner 1997 erschienenen Autobiografie "Erwachsenenspiele" zog er auch eine sehr persönliche Bilanz.
Seine politischen Hoffnungen erfüllten sich in der DDR nicht. Kunert gehörte zu den Mitunterzeichnern des Protestbriefes von DDR-Autoren gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann und wurde 1977 aus der SED ausgeschlossen. Zwei Jahre später zog er sich mit seiner Frau Marianne aus der Großstadt Berlin in ein altes Schulhaus aufs Land nach Kaisborstel (Kreis Steinburg) zurück.
Ungewöhnliche Spannbreite
Kunerts Werk umfasst Erzählungen und Reisebeschreibungen ebenso wie Essays und eigene Illustrationen. Seine Erfahrungen als Gastprofessor für DDR-Literatur an der Universität Texas in Austin verarbeitete der Autor in dem Amerika-Report "Der andere Planet" (1974). Jahrelang schrieb er auch Hörspiele sowie Film- und Fernsehdrehbücher.
Von "einer staatlich verpfuschten Kindheit" sprach Kunert, dem nach dem Volksschulabschluss wegen seiner jüdischen Abstammung alle weiterführenden Schulen verschlossen blieben. 1943 wurde er Lehrling in einem Bekleidungsgeschäft. Ab 1946 studierte er fünf Semester an der Hochschule für angewandte Kunst in Berlin-Weißensee. Mit ersten satirischen Gedichten und Kurzgeschichten machte Kunert 1947 in der Zeitschrift "Ulenspiegel" auf sich aufmerksam. 1949 schloss er sich der SED an.
Deutsch-deutsche Skepsis
Entdeckt und protegiert von Johannes R. Becher, orientierte sich der junge Dichter stark an Bertolt Brecht, den er 1951 kennen gelernt hatte. Bis zu seiner Übersiedelung in die Bundesrepublik 1979 galt Kunert in der DDR als einer der meistgelesenen Autoren. Seit Mitte der 1960er Jahre waren Kunerts Kurzprosa und Verse merklich von einer skeptischeren Weltsicht getragen. Wegen seiner Skepsis bekam Kunert Probleme mit den Kulturbehörden der DDR. In der Bundesrepublik dagegen machte ihn gerade diese Haltung bekannt.
Hart ging Kunert mit ostdeutschen Kollegen ins Gericht und kündigte Anfang 1992 aus Protest gegen die vom westdeutschen Akademiepräsidenten Walter Jens verfolgte "en bloc"-Übernahme der ostdeutschen Akademiemitglieder seine Mitgliedschaft in der Westberliner Akademie der Künste.
Zuletzt erschien von Günter Kunert Anfang Februar der Gedichtband "Als das Leben umsonst war". Günter Kunerts Werke sind im Hanser Verlag erschienen.
Hör-Tipp
Menschenbilder, Sonntag, 1. März 2009, 14:05 Uhr
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Hanser Verlag