Ohne Netz und doppelten Boden

Schöner wird's nicht

David Sedaris schreibt autobiografisch getönte Essays, Anthologien mit Titeln wie "Nackt" oder "Ich ein Tag sprechen hübsch" sind nach wie vor internationale Bestseller. Kürzlich kam seine neue Essaysammlung heraus. Der Titel: "Schöner wird's nicht".

In seinen Essays ist das Haarsträubende, das Eklige und Abstruse vorherrschend: Da platzt ein Furunkel, tote Bäuche werden aufgeschnitten und Spinnen gemästet. David Sedaris selbst wirkt hingegen wie die personifizierte Unauffälligkeit: 1,70 Meter, schmal, blasser Teint, saubere Kleidung, akurater Haarschnitt, 51 Jahre alt, internationaler Bestsellerautor.

Entdeckt vom Radio

Seine besten Geschichten erinnern an Max Goldt, Ingomar von Kieseritzky und Robert Walser. Robert Walser, der sich gern als Diener sah. Sedaris war Reinmache-Mann. Und der Titel eines der ersten Artikel in der "New York Times" über ihn hieß "He does Radio and Windows".

David Sedaris wurde Anfang der 1990er Jahre vom "National Public Radio" entdeckt, einem amerikaweiten werbefreien Wortprogramm, das sich über Spenden finanziert. Dort gab er Ausschnitte aus seinen Tagebüchern zum Besten. Bis heute tut er im Prinzip nichts anderes - nur, dass er diese Tagebücher jetzt verkauft.

"Wie läuft's bei dir da hinten?, fragte ich, aber Hugh musste trocken würgen und konnte nicht antworten.
Nachdem er das Furunkel ausgequetscht hatte, reinigte er die Stelle mit Alkohol und legte ein Wundpflaster auf. (...) Und das war für mich mindestens so viel wert wie einhundert der einhundertzwanzig Nächte von Sodom. Als wir wieder im Bett waren, nannte ich ihn das tapfere Schneiderlein.
"War doch bloß einmal", sagte er.
"Ich weiß", sagte ich. "Aber du wirst es wieder tun, wenn ich dich brauche."

Boshafter Witz

Früher schrieb Sedaris über seine Familie, besser gesagt: Er rechnete mit ihr ab. Mit der Drastik der Familien-Grotesken ist es allerdings vorbei, seit der 51-Jährige in einer offenbar glücklichen Beziehung zu dem gleichaltrigen Maler und Bühnenbildner Hugh Hamrick lebt. Da gibt's nichts abzurechnen, da herrscht Harmonie und die setzt Sedaris liebevoll in Szene. Der boshafte Witz, den Sedaris gegen seine Familie, besonders gegen seinen Vater richtete, war deutlich schärfer.

"Mein Dad. Er hat immer zu mir gesagt, ich würde es zu nichts bringen", erzählt Sedaris. "Dass ich meine Zeit verschwende. Damit kam ich an sich gut zurecht. Als die Bücher herauskamen, war er plötzlich stolz auf mich. Aber dieser Stolz war absolut unerträglich. Und ist es bis heute. (...) Ich habe mich besser gefühlt, als er sich noch für mich schämte."

Untrüglicher Blick für Skurrilitäten

Inzwischen hat Papa noch mehr Grund stolz zu sein: David ist Nichtraucher geworden, wie auch wir aus der eben erschienenen Essaysammlung "Schöner wird's nicht" erfahren. Er hat Wohnsitze in New York, Paris und London und ein Landhaus in der Normandie. Seine Lesungen gelten sogar in Tokio als Events. Nur eines ist nicht besser geworden: Sadaris' Menschenscheu. "Ich bin ein Misanthrop", bekennt er. "Ich hasse alle Menschen. Gleichberechtigt. Ach, stimmt nicht, ich hasse sie nicht richtig. Ich weiß nicht. Ich bleib' halt lieber zu Hause. (...) Wissen Sie, mein Adressbuch ist nicht besonders dick."

Dabei kaut er abwechselnd auf seiner Unterlippe und lacht. Einer, den die Menschen quälen, der aber rausgekriegt hat, wie er sie dafür zahlen lassen kann.

Liebhabern alter Sedaris-Texte fehlt in der neuen Text-Sammlung dieses Quäntchen Radikalität, Kampfgeist und Verrücktheit, das ein einmalig irres Lesevergnügen bereitete. In "Nackt", dem ersten auf Deutsch erschienenen Buch, war spürbar Verzweiflung im Spiel. Als hätte er damals ohne Netz und doppelten Boden geschrieben. Und heute? Seine Essays in "Schöner wird's nicht" sind unbenommen unterhaltsam. Sedaris hat immer noch den untrüglichen Blick für Skurrilitäten aller Art, keine Scheu davor, sich selbst auf die Schippe zu nehmen. Aber sonst ist da keiner mehr. Es fehlt ihm das Personal. Deshalb schreibt er über sich, seinen Freund, die Spinnen im Landhaus und Leichen in der Obduktion.

Sitz, ist klug und hat Tiefe

Im Essay "Totentanz" schildert Sedaris seine knapp zwei Wochen in einem gerichtsmedizinischen Labor. Dort wird ein toter Mann mit großflächigem Schimmelbefall angeliefert. Sedaris reimt darauf:

Der Einsiedler schaut missvergnügt,
weil Schimmel seine Züge trübt.
Ein Flockenteppich bis zur Brust,
er hätt' halt öfter raus gemusst.


Sehr niedlich auch Sedaris' Schilderungen, wie er aktuelle Zeitungen verschlingt, aus Angst, ihm könne der Gesprächsstoff ausgehen, wenn er am Abend mit Partner Hugh ins Restaurant geht.

Wenn wir allein sind, genieße ich unser vertrautes Schweigen, aber es gruselt mich, so in der Öffentlichkeit zu sitzen, steif wie ein Paar Mumien auf unsere Stühle gezwängt. Am Nachbartisch sitzt immer ein Paar Ende siebzig, das mit zitternden, fleckigen Händen die Speisekarte hält.
"So eine Suppe ist was Feines", sagt die Frau, und der Mann nickt oder grunzt oder fummelt am Stiel seines Weinglases herum. Zuletzt sieht er zu mir herüber, und ich erkenne in seinem Blick den Ausdruck grimmigen Wissens.
Wir sind eure Zukunft, scheint er zu sagen.


Das ist gut. Das sitzt. Sein Witz ist liebevoll, klug und hat Tiefe.

Die lachenden Dritten

Leute wie der 51-jährige Essayist David Sedaris, die aus der Not eine Tugend machen und ihre Lebensangst in Form fantastischer Geschichten der Öffentlichkeit beichten, berühren ein Tabu, nämlich das des Verlierers, der seine Position leugnet. Durch einen Knick in der Optik, einen Trick, der ihrer Perspektive auf die Welt einen speziellen Adel verleiht, katapultieren sie sich aus dem gnadenlosen System. Sie sind weder unten noch oben, sondern so etwas wie die lachenden Dritten. Und das System zeigt sich flexibel. Es hat Platz für furiose Schönfärber und bekennende Neurotiker.

Nun wäre es abstrus und hundsgemein, Sedaris vorzuwerfen, seine Geschichten seien ein wenig fader geworden, denn es ginge ihm zu gut. Aber Wohlstand, Routine und Gleichmaß sind eine Gefahr, wenn der einzige Stoff, der zur literarischen Ausbeute zur Verfügung steht, das eigene Leben ist. So wird das mit dem leeren Adressbuch für David Sedaris tatsächlich zum Handicap.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
David Sedaris, "Schöner wird's nicht", aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Georg Deggerich, Karl Blessing Verlag

Karl Blessing Verlag - David Sedaris