Die litauische Küche
Zeppelins zum Anbeißen
Sie nennen sich "Zeppelins", aber fliegen können sie garantiert nicht. Dazu ist das litauische Nationalgericht zu schwer. Litauens Küche ist eine dieser Bauernküchen, die aus wenigen Rohstoffen einen großen Variantenreichtum auf den Teller bringt.
8. April 2017, 21:58
Einkauf auf einem mobilen Bauernmarkt. Die Handvoll fahrbarer Marktstände macht jeden Tag an einem anderen Eck von Vilnius Station; manche Kleinbauern verkaufen direkt aus dem Lieferwagen. Es ist Mode geworden, auf solchen Märkten Äpfel, Wurst oder Käse zu erstehen; zumal seit der Finanzkrise. Die Menschen stehen Schlange, als gäbe es etwas gratis. "Hier ist es billiger, sauberer und Bio!", meint eine Dame.
Milch mit Rahm
Delikat säuerlicher Weißkäse - Geschmack zwischen Topfen und Brimsen - wandert im 15-Sekunden-Takt über die Budel. In den Milchflaschen sieht man den Rahm oben schwimmen.
"Heute hatte ich einen nervösen Kunden", erzählt die Marktfrau, "der beschwerte sich, dass die Milch so lang braucht, um sauer zu werden. Das ist kein Wunder, sie kommt direkt aus der Kuh in den Kühlraum und wird gleich ganz frisch verkauft. Der Kunde hatte allen Grund, sauer zu werden, dass die Milch so spät sauer wird."
Die Litauer sind anspruchsvoll, was die Qualität der Zutaten betrifft. Das Durchschnittsniveau bei Erdäpfeln, Schwarzbrot, Matjes oder Salzgurken liegt höher als in Österreich. Es ist auch nicht schwer, in dem südbaltischen Land gute Gasthäuser zu finden.
Ohne Brot keine Hochzeit
Das Glück einer privaten Essenseinladung ist etwas ganz Besonderes. Nejole Kliukene, Lehrerin für litauische Sprache und Literatur, serviert zuerst eine ganze Palette an Unterlagen für den Wodka. Ein rosiges, festes, zart gewürztes Stück Hering schmiegt sich an eine Scheibe litauisches Schwarzbrot. Das tief dunkelbraune, dichte Roggenbrot aus Sauerteig dürfte unter Exil-Litauern der Heimwehgrund Nummer eins sein.
Auf dem Land wird Brot noch manchmal selbst gebacken, erzählt Nejole Kliukene: "Das Brotrezept jeder Hausfrau ist einzigartig. Es kann schwärzer sein oder ein bisschen heller, säuerlicher schmecken oder süßer."
Brot spielt überall eine wichtige Rolle im Brauchtum; umso mehr in Litauen. "Wenn eine Frau in eine andere Familie heiratet, soll sie von zu Haus ein Stück von ihrem Sauerteig mitnehmen", meint Nejole Kliukene. "Den mischt sie zu dem Brot in ihrem neuen Heim. So verändert sich das Brot ein bisschen." Und wenn eine erwachsene Tochter im Elternhaus ihr erstes Brot bäckt, dann wird es zuerst vom Vater feierlich verkostet. Die Tochter sitzt auf einer Bank, der Vater dreht Bank und Tochter in Richtung Haustür. Die frischgebackene Brotbäckerin ist nun heiratsfähig.
Zeppelins mit Füllung
Die Hausfrau serviert auch selbst eingelegte Herrenpilze, Eierschwammerln und Rotkappen aus Litauens ausgedehnten Wäldern. Die Pilze werden durch Sterilisieren der gefüllten Gläser im kochenden Wasserbad haltbar gemacht. So braucht es ganz wenig Essig und gar kein Öl - da schmecken die Schwammerln fast wie frisch gedünstet und mariniert.
Es naht der Moment, da die Zeppelins hereinschweben. Ihre Zubereitung ist eine Familienaktion. Einer schält, einer reibt, einer knetet. "Erst einmal braucht man eine Menge Kartoffeln, einen großen Eimer", erklärt Nejole Kliukene. "Die werden geschält und gerieben und dann ausgepresst. In der ausgepressten Flüssigkeit läst man die Stärke sich setzen - die kommt nebst Eiern und Salz in den Teig. Man kann auch eine Zwiebel mit hineinreiben. Danach füllt man Teigstücke mit faschierter Füllung und formt die Zeppelins."
Die glasig glänzenden Cepelinai tragen Schärpen aus Sauerrahm und Speckwürfeln. Warum diese Knödel oval sind, wissen die Litauer offenbar selbst nicht so recht. "Vielleicht ist es so weniger Arbeit", vermutet Nejole Kliukene. "Sie bekommen einfach die Form der Handfläche, man muss sie nicht rund machen."
Heiße Erdäpfel im kalten Barschtsch
Aus ungefähr den gleichen Zutaten hat Nejole Kliukene auch noch polsterförmige Erdäfelteigpasteten gebacken, die sich am Gaumen komplett anders benehmen als die Zeppelins. In Litauen kocht man Kartoffelpfannkuchen, Kartoffelwurst aus dem Backofen, Milchsuppe mit Kartoffelnockerln und und und.
Heiße Erdäpfel kommen auch in den kalten Barschtsch, eine erfrischende Sommersuppe, wie es sie ähnlich in Polen gibt, eine appetitlich hellrosa Kaltschale mit gekochten, geriebenen roten Rüben. "Dazu kommen geschnittene Radieschen, Gurken, Kapern, Dillspitzen, gekochte Eier, Frühlingszwiebeln", erkllärt Nejole Kliukene. "Als Grundlage werden die geriebenen roten Rüben mit saurer Milch oder verdünntem sauren Rahm oder Kefir vermischt, je nach Geschmack."
Wenig Süßes zum Dessert
Zum Dessert gibt es keinen Kuchen; der hätte auch keinen Platz mehr. In Litauen hat süßes Backwerk wenig Tradition. Nach wie vor ist Käse mit Honig ein beliebter Nachtisch. Wohlgemerkt buttrig milder, nicht fetter Schnittkäse, gewonnen aus Frischmilch. Verträgt sich tadellos mit dem Honig. Auch frische Gurken mit Honig ergeben ein verblüffend harmonisches Miteinander.
Hör-Tipps
Leporello, Donnerstag, 12. März 2009, 7:52 Uhr
Mehr zu allen Sendungen des Programmschwerpunkts "Nebenan: Litauen" finden Sie hier.
Buch-Tipp
Birute Imbrasiene, "Traditional Lithuanian Foods", Verlag Baltos Lankos
Links
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Verlag Baltos Lankos
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