Der Krieg wirkt weiter
Nordlicht
Die österreichische Psychiaterin Melitta Breznik hat mit ihren diversen Erzählungen bislang die Kritik polarisiert. Unbeachtet blieb ihre "Nebenerwerbstätigkeit" nie. Jetzt erscheint ihr erster Roman. Im Zentrum: eine ausgebrannte Psychiaterin.
8. April 2017, 21:58
Hauptberuflich lebt Melitta Breznik davon, dass sich über alles reden lässt und dass reden heilt. Sie arbeitet als niedergelassene Psychiaterin und Psychotherapeutin in der Schweizer Stadt Chur. Als Schriftstellerin scheint sie allerdings ein weniger verschwenderisches Verhältnis zur Sprache zu haben. Ihre Prosa gilt als ausgesprochen karg.
"Strengster ästhetischer Protestantismus" lautete das Urteil in der Süddeutschen Zeitung über Brezniks letzte Erzählung "Umstellformat". Aber die Zeit der großen Dürre ist vorbei. Der erste Roman der Österreicherin mit dem Titel "Nordlicht" ist a) weniger wortkarg und b) wo er's ist, da mit Fug und Recht und dem besten Ergebnis.
Psychiaterin mit Burn-Out
Anna Berghofer, eine Psychiaterin Mitte 40, steht am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Die anstrengende Job-Routine mitsamt der überbordenden Bürokratie reibt sie auf. Ihr Mann hat eine Andere. Anna Berghofer ist krank: Angstzustände, Schlafstörungen, Halluzinationen. Mit einem Wort, sagt Melitta Breznik, sie leidet am Burn-Out-Syndrom. Und obwohl sie eine professionelle Helferin ist, sucht sie in ihrer Not für sich keine Hilfe.
"Das ist so eine Situation, die ich von mir selber als auch von vielen Kollegen kenne", erzählt Breznik im Gespräch, "dass sie nicht rechtzeitig merken, wenn ihnen der Boden unter den Füßen weggleitet. Das ist vor allem in Institutionen der Fall, wenn man zu sehr eingespannt ist, Dinge zu lange macht, die über die Kräfte gehen. Das hat auch mit diesen Dienstzeiten zu tun, mit den Zeitverschiebungen, mit dem immer Anwesend-Sein. Mit dem Ständig-Projektionsfläche-Sein."
Die Tagebücher des Vaters
Die Stimmung, in der Breznik ihre Hauptakteurin sieht, ist düster, leer, phlegmatisch. Anna kündigt ihre Züricher Existenz auf und setzt sich mit den Tagebüchern ihres Vaters nach Nordnorwegen ab. Nordnorwegen im Winter: Da ist es steinig, dunkel, kalt und absolut einsam. Eigentlich nicht der richtige Ort für eine Frau, die sich kürzlich noch von der Brücke stürzen wollte. Aber die Schroffheit der Verhältnisse macht sie weich. Und der Wunsch nach Einsamkeit macht nach Wochen einer Sehnsucht nach Menschen Platz. Auch einer Sehnsucht nach dem Vater, der während des Zweiten Weltkriegs in Nordnorwegen stationiert war und nach dem Krieg als gebrochener, stummer und liebloser Mann zur Familie zurückgekommen war.
"Die Rückkehrer aus dem Zweiten Weltkrieg sind, rein aus psychiatrischer Sicht, schwer unter die Räder gekommen", findet Breznik, "Wo sie nach einer Zeit der Gefangenschaft als Verlierer zurückgekommen sind und nicht als die Helden, (...) wo die Dogmen, die vorher die Gesellschaft bestimmt haben, auf einmal nicht mehr gültig sind. Wo eine neue Identität gefunden werden muss. (...) Dadurch ist es zu unheimlichen Verdrängungsleistungen gekommen, weil es gar nicht anders möglich war, zu überleben."
Bis heute keine Heilung
Das stumme Funktionieren und die Lieblosigkeit des Vaters führen bei der Tochter zu Schuldgefühlen, zu unnachgiebiger Härte gegen sich selbst, zu Angst vor Liebe. Breznik skizziert das in sachlich erzählten kurzen Rückblicken auf das Leben ihrer Hauptfigur.
Den Leser beschleicht erst eine Ahnung der wahren Dimension dieser Grausamkeit. Viel später wird das Ausmaß der Tragödie allmählich klar. Der Krieg ist vorbei. Ja. Aber er wirkt weiter. Sein Bann ist nicht gebrochen. Der ungeheure Schmerz, den er den Menschen beibrachte, ist bis heute nicht geheilt, nur an die Nächsten weitergegeben. Von diesem Krieg, der vor über 60 Jahren endete, das macht Melitta Breznik mit ihrem Roman "Nordlicht" klar, haben noch Generationen etwas.
Auf der Suche nach den Stationen ihres Vaters im von Deutschen besetzten Norwegen macht Anna Berghofer eine verblüffende Entdeckung, gewinnt einige Klarheit über das Leben ihres Vaters und findet eine Freundin fürs Leben, sogar mehr als das.
Raum des Rückzugs
1999 hatte Melitta Breznik den ersten Band Erzählungen veröffentlicht. Er hieß "Figuren". Zu Anfang des neuen Jahrtausends folgte eine Erzählung über Euthanasie unter Hitler "Das Umstellformat". Nun folgt der erste Roman "Nordlicht". Ist das Schreiben für die 48-Jährige zu einer notwendigen Ergänzung zum Brotberuf der Psychiaterin geworden?
"Die Schriftstellerei ermöglicht mir einen Raum des Rückzugs, einen Raum, in dem ich mit Emotionen, mit Betrachtungen für mich auch anders umgehen kann, als ich es von meiner Profession her gewöhnt bin", erklärt Breznik. Es ermöglicht mir eine Herangehensweise - auch wenn sie manchmal noch so banal ist - in der Sprache, die mir einen Kunstraum eröffnet, den ich als sehr wichtig für mich empfinde."
Gruselig und unheimlich
Melitta Brezniks erster Roman "Nordlicht" ist spannend, überraschend und - was das Beste an ihm ist - er ist unheimlich. In des Wortes ursprünglicher Bedeutung. Das Bekannte gruselt uns, denn es scheint plötzlich so fremd. Lapidar erzählt die Autorin vom Persönlichkeitszerfall ihrer Heldin, von der eisigen Genesungskur, der sie sich aussetzt. Ihre Sprache ist einfach und klar. Sie scheint ohne Rätsel, ohne Geheimnis. Ohne Kunst. Aber das ist nur eine Täuschung. Denn Brezniks Sprache wirkt im Leser ein wenig verzögert - dann aber explosiv.
"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.
Hör-Tipps
Das Buch der Woche, Freitag, 13. März 2009, 16:55 Uhr
Ex libris, Sonntag, 15. März 2009, 18:15 Uhr
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Buch-Tipp
Melitta Breznik, "Nordlicht", Luchterhand Verlag