Reverenzen an die österreichische Literatur
Verlangen nach Drachen
Verena Roßbacher hat mit ihrem Buch "Verlangen nach Drachen" ein stilsicheres und mehr als beachtliches Debüt vorgelegt. Der Schauplatz ist ein surreales Wien, die Hauptperson ist Klara. Einige Männer würden für sie gerne Drachen töten.
8. April 2017, 21:58
Alle lieben Klara. Die fesche Aushilfskellnerin des Wirtshauses Neugröschl in der Wiener Innenstadt kann sich vor Verehrern kaum retten. Und die Verehrer, die leiden! Das ist in etwa der "Plot", den sich Verena Roßbacher für ihren Erstlingsroman ausgedacht hat, wobei es der 30-jährigen Vorarlbergerin um so etwas wie "Plot-Building" wohl am wenigsten zu tun ist.
Verwischte Grenzen
Roßbachers Buch ist in einer eigenartigen Zwischenwelt angesiedelt, in einem seltsam surrealen Wien, in dem Groteskheiten möglich sind, die sich nicht einmal im realen Wien denken lassen: Da versucht Klaras Vater, wertvolle Guadagnini-Geigen zu veredeln, indem er ihnen einen Fäulnis-Pilz einsetzt, um angebliche "Dissonanzen im Holz" zu bekämpfen. Da erwirbt einer von Klaras Verehrern eine ganze Batterie hochmoderner Eiswürfel-Behälter, weil er jedes zu Hause aufgefundene Haar der Geliebten einzeln einfrieren will.
Sie liebe die österreichische Literatur der Jahrhundertwende und der Zwischenkriegszeit, betont Verena Roßbacher, Musil und Doderer vor allem, auch das seien Autoren, bei denen es nicht immer krass realistisch zuginge: "Das hat mir eigentlich immer gefallen in der österreichischen Literatur, dass es da möglich ist - viel mehr als in Deutschland - diese Grenzen zu verwischen. Es hat eine viel größere Selbstverständlichkeit, diese surrealen Aspekte zu integrieren. Dazu kommt der selbstverständliche Umgang mit Humor: Ich bin immer wieder fasziniert, wie selbstverständlich witzig viele Leute in Österreich sind, mit einer Nonchalance und einer Geläufigkeit, die man anderswo suchen muss."
Hommage an österreichische Autoren
Von ihrer Biografie her ist Verena Roßbacher, 1979 in Bludenz geboren, nicht rein österreichisch geprägt. Anfang der 1990er Jahre übersiedelte sie mit ihrer Familie nach St. Gallen in die Schweiz, sie studierte in Zürich, wechselte 2001 ans "Deutsche Literaturinstitut" in Leipzig, wo Josef Haslinger - Professor Josef Haslinger - sie unter seine Fittiche nahm. Trotz ihrer länderübergreifenden Sozialisation: Verena Roßbacher versteht sich als dezidiert österreichische Autorin: "Ja, ich komme aus diesem literarischen Kontext, ich komme aus dieser Sprech- und Schreibtradition, das ist mir während der Arbeit bewusst geworden."
Roßbachers Roman strotzt denn auch vor Reverenzen an die österreichische Literaturgeschichte: das Wirtsmonster Neugröschl etwa, das im "Gasthaus Neugröschl" diktatorisch schaltet und waltet, darf - Torberg-Connaisseure haben es längst erkannt - als Hommage an die "Tante Jolesch" gelesen werden. Stichwort: "Was ein Kompott ist, bestimme ich." Und Klara, die männermordende Romanschöne, kann man auch als eine Art Alma Mahler der Wiener Boheme von heute sehen.
"Klara ist für mich eine reine Projektionsfläche", so Roßbacher. "Sie hat mich beim Schreiben auch am wenigsten interessiert. Sie ist ja auch am wenigsten Charakter, sie ist ein Archetyp. Für mich sind die Männer der interessante Punkt, die Frage: Was machen sie mit diesem Urbild, was fangen sie damit an?"
Der Mythos vom Drachenkampf
Verena Roßbacher hat ihren Roman als literarischen Ringtanz angelegt, als Ringtanz von Klaras Männern. Da ist zum einen der Müslimann Valentin Kron, ein fanatischer Vegetarier; da sind des weiteren: der durchgeknallt-genialische Cellist Stanjic, der Universalautodidakt Lenau, ein leidenschaftlicher Lindwurmjäger, Alchimist und Sammler magischer Kristalle, und der Musiker Wurlich, Pianist für Bar und Orchester. Sie alle ziehen aus, um den Drachen zu töten - symbolisch -, eine Heldentat, die ihnen den Weg zur schönen Prinzessin ebnen soll.
Der Mythos vom Drachenkampf zieht sich als metaphorisches Leitmotiv durch Roßbachers Roman. Auch das ein Zitat: In seinem Essayband "Die Wiederkehr der Drachen" hat sich schon Heimito von Doderer, eines von Roßbachers großen Vorbildern, mit dem Drachenmythos auseinandergesetzt.
"Der Drache muss bei ihm nicht getötet werden, er muss integriert werden", sagt Roßbacher. "Der Drache verkörpert die dunklen Aspekte, die jeder Mensch hat, und diese dunklen Aspekte müssen integriert werden, sonst muss der Ritter sterben. Diese Thematik habe ich aufgenommen. Die männlichen Protagonisten sind alle Kämpfer: Die kämpfen um Klara, um die Frau, um die sich alles dreht. Und Klara sucht einen kongenialen Partner, sie sucht einen Mann, der ihr ebenbürtig ist."
Leicht groteske Atmosphäre
Verena Roßbacher erweist sich in ihrem Debütroman als erstaunlich versierte Autorin. Gewiss lassen sich Einwände gegen das Buch erheben: Die surreale, leicht groteske Atmosphäre muss man mögen, und insgesamt weist der 440-Seiten-Text doch auch einige Längen auf. Was soll's - Marginalien! Alles in allem hat die 30-jährige Autorin mit ihrem "Verlangen nach Drachen" ein stilsicheres und mehr als beachtliches Debüt vorgelegt.
Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
Buch-Tipp
Verena Roßbacher, "Verlangen nach Drachen", Kiepenheuer & Witsch