Diskussion anlässlich des neuen Buches von Attac

Plädoyer für ein alternatives Europa

Die globalisierungskritische Organisation Attac präsentierte in Wien ein Buch mit dem Titel "Wir bauen Europa neu - Wer baut mit? Alternativen für ein demokratisches, soziales, ökologisches und friedliches Europa". Zu diesem Anlass diskutierten Kritiker und engagierte Vertreter der EU.

Christian Felber von Attac über Konjunkturpakete

Wir bauen Europa neu, so lautet der Titel des Buches, das die globalisierungskritische Organisation Attac gerade herausgegeben hat. Nicht zufällig wenige Tage vor dem Treffen der G20, der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer.

Die Welt steckt tief in der Wirtschaftskrise und Europa mittendrin, Zeit also die richtigen Konzepte zur Bewältigung der Schwierigkeiten zu finden, sagt Attac Mitbegründer Christian Felber: "Das europäische Haus, das uns vorschwebt, hat sehr viel mit den Werten zu tun, die jetzt in den europäischen Verträgen schon vorne drinnen stehen: Demokratie, Solidarität, Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit. Was wir aber feststellen ist, dass die aktuelle Konstruktion dieses Hauses Europa von diesen Werten massiv abweicht."

Daher trage Europa auch Mitschuld an der Krise, so Felber, denn die EU stelle Handelsrecht vor Menschenrecht und fahre in wesentlichen Entscheidungen über die Bürger einfach drüber.

Gegen den Willen der Bevölkerung

Max Haller, Professor für Soziologie und Autor von Büchern, etwa über die europäische Integration, spricht von einer eklatanten Kluft zwischen der Politik und den Bürgern und Bürgerinnen in Europa. Das zeige sich zum Beispiel daran, dass der Vertrag von Lissabon durchgepeitscht wurde, obwohl sich die Bevölkerungen von Frankreich und den Niederlanden zuvor mit großer Mehrheit gegen den ursprünglichen - beinahe identischen - Verfassungsentwurf ausgesprochen hatten.

Diese Sichtweise möchte Richard Kühnel, Leiter der Vertretung der EU Kommission in Wien, so nicht gelten lassen. Die EU kümmere sich sehr wohl um das Mitspracherecht ihrer Bürger. Es werden immer wieder Online-Konsultationen zu verschiedenen Themen durchgeführt, noch bevor sie im europäischen Parlament diskutiert werden, so Kühnel. Dies sei zum Beispiel erst kürzlich zur Budget-Revision geschehen.

Mehr Ökologie und Soziales

Die aktuelle Wirtschaftskrise führt also auch zur Diskussion über die Strukturen der EU. Dienen sie nur der Marktwirtschaft oder sind sie auch demokratiepolitisch korrekt? Das Problem liege aber oft auch an der Kommunikation. Regierungen agieren und argumentieren in Brüssel oft ganz anders als in ihren Heimatländern und das schürt Unbehagen gegenüber der EU, meint die Nationalratsabgeordnete der Grünen, Ulrike Lunacek. Ein besonderes Anliegen ist ihr auch die Frage der Regulierung der Finanzmärkte, sagt Lunacek: "Auch da sehe ich, dass die EU die Versprechungen, die sie im Herbst getroffen hat, leider nicht einlösen wird." Wie derzeit mit dem Thema Schließung von Steueroasen umgegangen werde, sei halbherzig. Sie wünscht sich einen Systemumbau in der EU in Richtung mehr Ökologie und Soziales.

In der Krise nicht wesentliche Zukunftsthemen wie Umweltschutz aus den Augen zu verlieren, das fordert auch Attac-Sprecher Christian Felber. Es müsse zukunftsweisend und massiv investiert werden: "Die Konjunkturpakete sind so klein und mickrig, dass wir sogar von den USA ausgelacht werden." Es sei notwendig, dass die europäischen Regierungen endlich an einem Strang ziehen und mit größeren Paketen eine ökologische Wirtschaft anstelle der alten Industrien förderten, so Felber.

Utopische Ziele und gebundene Hände

Für EU Vertreter Richard Kühnel sind diese Argumente nur zum Teil berechtigt. Die EU könne eben nicht neu erfunden werden, sie brauche Zeit, um sich weiter zu entwickeln und um die anstehenden Probleme zu lösen. Eine Sichtweise, der auch der Soziologe Max Haller etwas abgewinnen kann. Anderseits mahnt Haller auch von den EU-Entscheidungsträgern mehr Realismus ein. Man dürfe keine utopischen Ziele formulieren und so die Bürger blenden. Es sei Illusion zu glauben, die EU könne in wenigen Jahren die USA und Japan wirtschaftlich überholen, "noch dazu mit einer Regierung, die gar keine Regierung ist, sondern nur Koordinationsfunktion hat", so Haller.

Dieses Faktum führe auch in anderen Bereichen zu Problemen, räumt Kühnel ein, denn in vielen Bereichen seien der EU die Hände gebunden, da nationales Recht zur Anwendung komme: "Gerade im Sozialbereich, sind unsere Möglichkeiten enorm limitiert, weil das eine Kompetenz ist, die weitgehend bei den Mitgliedsstaaten verblieben ist." EU-Sozialkommissar Vladimir Spidler habe Vorschläge im Bereich gleiche Löhne für Männer und Frauen und Antidiskriminierung gemacht, jedoch könne man das den Mitgliedsstaaten eben nicht aufzwängen.

Das gelte auch für viele in der Wirtschaftskrise relevante Bereiche. Schrittweise einen gemeinsamen Weg zu suchen, sei hier das Ziel. Und dieses sei zumindest teilweise auch erreicht worden, sagt Kühnel: "Seit Anbeginn dieser Finanzkrise haben wir Maßnahmen gesetzt. Das hat begonnen mit dem Schutz der Spareinlagen - nicht um die Banken zu schützen, sondern die Sparer. Und das ist in viele Bereiche hineingegangen, die die Finanzmärkte betrifft". Er weist die Kritik an der Handlungsweise der EU in der Wirtschaftskrise zurück, sieht Verbesserungsmöglichkeiten, gerade bei demokratiepolitischen Fragen in der Union aber durchaus sieht.

Mehr zum kommenden G20-Gipfel in oe1.ORF.at

Hör-Tipp
Europa-Journal, Freitag, 27. März 2009, 18:20 Uhr

Buch-Tipp
Attac (Hg.), "Wir bauen Europa neu - Wer baut mit? Alternativen für ein demokratisches, soziales, ökologisches und friedliches Europa", Residenz Verlag

Links
Attac Österreich
Residenz Verlag - Wir bauen Europa neu