IRWIN-Ausstellung in der Kunsthalle Krems
Ein globaler Staat ohne Territorium
Ein ausgefülltes Antragsformular, 24 Euro Bearbeitungsgebühr und ein paar Minuten Wartezeit braucht es, um einen neuen Pass zu bekommen. Mit keinerlei Auflagen ist die NSK-Staatsbürgerschaft verbunden - rund 10.000 NSK-Bürgerinnen und -Bürger gibt es bereits.
8. April 2017, 21:58
Die Abkürzung NSK steht für "Neue Slowenische Kunst": NSK ist ein Kunstkollektiv, das 1984 in Slowenien gegründet wurde und das 1991 einen eigenen Staat ins Leben gerufen hat, den "NSK State in Time". Die Industrial-Band Laibach ist Teil der NSK-Bewegung, ebenso wie die Künstlerguppe IRWIN.
In der Kunsthalle Krems hat IRWIN eine Außenstelle des NSK-Staates eingerichtet, einschließlich Passamt. Während die Daten ins Dokument getippt werden, macht eine andere Mitarbeiterin die Passfotos. Ein Herr kommt in den Genuss eines Diplomatenpasses. Diesen erhalten Freunde, Museumsdirektoren und Mitarbeiter, wie Dusan Mandic von der Gruppe IRWIN erklärt.
Überstaatlich und transnational
Hermann Glettler ist Inhaber eines solchen NSK-Diplomatenpasses, er ist Pfarrer der katholischen Stadtkirche St. Andrä in Graz und mit den IRWIN-Mitgliedern befreundet.
Letztes Jahr hat er während der Eingangsprozession am 26. Oktober - den seine Gemeinde als Inter-Nationalfeiertag feiert - ein Gemälde von IRWIN getragen. Dieser Akt zwischen Performance und kirchlicher Prozession ist ebenfalls in der Ausstellung dokumentiert. "Als katholische Kirche", meint Glettler, "sind wir auch eine überstaatliche Gemeinschaft. Insofern ist, was wir auf der Ebene der Kirche machen, in der Kunstarbeit von IRWIN mit bildnerischen Mitteln reflektiert."
Wappen, Flagge und Hymne
Was den NSK-Staat auszeichnet - und von anderen Staaten maßgeblich unterscheidet - ist, dass er ein globaler Staat ohne Territorium ist. Andere staatskonstituierende Elemente gibt es hingegen: Konsulate in aller Welt, eine Flagge, und sogar eine eigene, von Laibach komponierte und gespielte Hymne.
Gegründet wurde der NSK Staat, als Konflikte über Territorien und Zugehörigkeiten das Staatsgebilde Jugoslawien aufsplitterten, als Tausende staatenlos und auf der Flucht waren. "Ein Staat der kein Territorium hat, der nur auf Intellektualität und Kunst baut, das ist schon eine sehr intellektuelle, konzeptuelle Leistung", sagt die Galeristin Grita Insam, die derzeit eine IRWIN-Ausstellung zeigt.
Nigerianische Anträge
Einen überraschenden Anstieg der Anträge verzeichneten IRWIN vor etwa drei Jahren - der Großteil stammte aus Nigeria, und zwar aus der Stadt Ibadan. Es entstand die Befürchtung, dass die Nigerianer das Kunstprojekt missverstanden hätten und sich durch den Erwerb eines Passes tatsächlich Reisemöglichkeiten erhofften. In Gesprächen, die in der Kunsthalle Krems als Video zu sehen sind, versuchten IRWIN, die Antragsteller über die fiktive Ebene des NSK-Staates aufzuklären. Veranschaulicht wird dadurch die unterschiedliche Bedeutung, die ein Pass in einem afrikanischen und in einem europäischen Land hat.
Der edelste Teil eines Menschen
Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustandkommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.
Das schrieb Bertolt Brecht 1940 in seinen "Flüchtlingsgesprächen".
Dass der NSK-Pass mit seinem Wappen, dem Wasserdruck und der gelochten Nummer täuschend echt aussieht, war im Jugoslawien-Krieg für so manchen Grenzbeamten irreführend und für Inhaber rettend. Ein bosnischer Filmemacher etwa erzählt, dass er während des Kriegs auf einer Bahnfahrt von Sarajevo nach Zagreb beide Pässe gezeigt hätte, den bosnischen hinter dem fiktiven Diplomatenpass versteckt. Die Wachebeamten hätten salutiert und ihn ohne Befragung gehen lassen - anders als die übrigen bosnischen Mitreisenden.
Hör-Tipp
Leporello, Montag, 29. Juni 2009, 07:52 Uhr
Veranstaltungs-Tipps
Ausstellung, "IRWIN - State in Time”, Kunsthalle Krems, bis 18. Oktober 2009
Ausstellung, "IRWIN", Galerie Grita Insam, bis 7. August 2009
Links:
NSK State in Time
Kunsthalle Krems
Galerie Grita Insam