Die Vermessung des Kosmos
Das blaue Wunder und sein Trabant
Im "Internationalen Astronomiejahr 2009" treffen Galilei und Kepler zehn Mal in der Ö1 Sendung "Dimensionen" aufeinander und vermessen in fiktiven Dialogen den heutigen Kosmos. In ihrem zweiten Gespräch unterhalten sie sich über die Erde und den Mond.
8. April 2017, 21:58
1609 richtete Galileo Galilei zum ersten Mal ein Fernrohr in den Himmel und entdeckte dabei Berge und Täler auf dem Mond. Johannes Kepler, veröffentlichte 1609 seine ersten beiden Gesetze zu den Planetenbewegungen, die beispielsweise beschreiben, wie der Mond sich um die Erde dreht. Obwohl sich die beiden Wissenschaftler Briefe schrieben, sind sie sich nie begegnet.
Jetzt, 400 Jahre später, treffen die beiden in einer wissenschaftlichen Fiktion zum "Internationalen Jahr der Astronomie 2009" aufeinander. In ihrem zweiten von zehn Gesprächen beschäftigen sie sich mit dem blauen Wunder und seinem tristen Trabanten.
Zeit: 2009, Ort: Mond, 384.405 Kilometer von der Erde entfernt.
Dialog über Erde und Mond
Kepler: Eine toter Ort, dieser Mond!
Galilei: Aber ein grandioser Blick auf die Erde!
Kepler: Wir sind Besucher Nummer 13 und 14. Wie hieß noch einmal dieser Amerikaner, der als erster Mensch den Mond betrat?
Galilei: Armstrong. 1969.
Kepler: Ja, richtig. "Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein großer für die Menschheit". Auch schon wieder 40 Jahre her, sehr geehrter Herr Galilei.
Galilei: Da drüben können Sie noch seine Fußabdrücke sehen, egregio Signor Kepler.
Kepler: Von hier sieht die Erde aus wie ein blauer Edelstein, eingefasst in ewige Finsternis. Umwerfend, Galilei!
Galilei: Ich habe mein Fernrohr mitgebracht, Kepler. 400 Jahre alt, aber immer noch brauchbar. Hier, Kepler, sehen Sie durch!
Kepler: Das Fernrohr. "Ihre" berühmte Erfindung.
Galilei: 60 Zentimeter lang, hohles Weißblech, bestückt mit einer konkaven und einer konvexen Linse.
Kepler: Mit karmesinrotem Baumwollstoff überzogen. Ihre berühmte "Optimierung".
Galilei: Wie bitte?
Kepler: Geben Sie schon her! (sieht durch das Fernrohr)
Galilei: Das Fernrohr vergrößert die Erde um das Zweiundzwanzigfache. Was sehen Sie, Kepler?
Kepler: Die Erde und nicht viel mehr als mit freiem Auge. Dass sie mit diesem trüben Glas vor 400 Jahren überhaupt die Mondkrater entdecken konnten! Eigentlich verwunderlich, Galilei.
Galilei: Geben Sie schon her! (sieht durch sein Fernrohr) Ist doch alles deutlich zu erkennen. Kontinente und Meere, die weißen Polkappen. Kepler, sind sie trotz Laseroperation...
Kepler: Nein, nicht mehr kurzsichtig!
Galilei: Dann sehen Sie also mit Absicht undeutlich. Die Erde leuchtet ja geradezu!
Kepler: Ja, ja, Galilei, ist ja schon gut. Geben Sie mir Ihr Fernrohr. (sieht nochmals durch) Das blaue Wunder!
Galilei: Wissen Sie, Kepler, was man heute behauptet? Das ökologische Bewusstsein sei im Weltraum entstanden. Durch den Blick der Astronauten auf die Erde.
Kepler: Wunderschön, einzigartig! (sieht immer noch durch das Fernrohr). Wissen Sie, was man noch behauptet? Das Fernrohr ist in Holland entstanden. In der Werkstatt eines Brillenmachers. Helfen Sie mir auf die Sprünge, Galilei. Wie hieß der Mann doch gleich?
Galilei: Lipperhey, Lippershey, oder so ähnlich. Sein Instrument war völlig ungeeignet für astronomische Beobachtungen. Ich habe das Fernrohr...
Kepler: Also nicht erfunden.
Galilei: Verbessert - und dann in den Himmel gerichtet. Zum Beispiel auf den Mond, auf dem Sie und ich jetzt stehen. Ich weiß jetzt übrigens auch, wie der Erdtrabant entstanden ist, Kepler.
Kepler: Durch eine kosmische Karambolage, ich auch. Die Proto-Erde ist mit einem anderen Himmelsobjekt zusammengestoßen, Galilei.
Galilei: So groß wie der Mars oder noch größer.
Kepler: Aus den Trümmern ist dann der Mond entstanden. Muss das ein Crash gewesen sein, Galilei!
Galilei: Jetzt übertreiben Sie mal nicht, Kepler. Es war höchstens ein Streifschuss, wenn ich richtig informiert bin.
Kepler: Eine leblose Welt ist das hier! Ein toter Ort, aber lustig. Haben Sie’s schon bemerkt, Galilei? Die Schwerkraft ist auf dem Mond viel geringer als auf der Erde.
Galilei: Sie beträgt ein Sechstel, Kepler. Weil der Mond eine viel geringere Masse hat als die Erde.
Kepler: Ein Weitspringer brächte es hier wohl auf 50 Meter?
Galilei: Trotzdem hat die Erde vergleichsweise einen großen Mond. Und das ist gut so, Kepler. Und wissen Sie auch warum?
Kepler: Auch der Mond stabilisiert durch seine Schwerkraft die Erde. Ist das hier eine Physikprüfung, Galilei?
Galilei: Eine Geschichtsstunde eher, Kepler. Durch jene Kraft also, die Sie vor 400 Jahren immerhin noch für eine Art Magnetismus hielten und erst Newton dann richtig interpretierte.
Kepler: Da müssen Sie gerade reden, Galilei. Ihre Gezeitentheorie war doch komplett falsch!
Galilei: Haben Sie gewusst, dass der innere Erdkern fest, aber der äußere flüssig ist, Kepler?
Kepler: Gehört. (schaut durchs Fernrohr) Wenn ich so auf die Erde schaue, frage ich mich, wie groß wohl die Gefahr für einen Kometen- oder Asteroideneinschlag dort ist, Galilei?
Galilei: Kommt auf die Größe des Objekts an, Kepler. Vor 65 Millionen Jahren raffte ein Gesteinsbrocken die Dinosaurier hinweg. Schätzungsweise 10 bis 15 Kilometern war dieser Impaktor groß. Ein solch großer Gesteinsbrocken, Kepler, trifft die Erde statistisch alle 100 bis 50 Millionen Jahre.
Kepler: Dann ist die Erde im ungünstigsten Fall schon 15 Millionen Jahre überfällig? Klingt irgendwie bedrohlich. Wir sollten vielleicht hier auf dem Mond bleiben, Galilei?
Galilei: Ist mir zu trist hier, Kepler.
Hör-Tipp
Dimensionen, Mittwoch, 1. April 2009, 19:05 Uhr
Buch-Tipps
Thomas De Padova, "Das Weltgeheimnis. Kepler, Galilei und die Vermessung des Himmels", Piper Verlag. März 2009
Brigitte Röthlein, "Der Mond", dtv Verlag, Juni 2008
Joshua und Anne-Lee Gilder, "Der Fall Kepler. Mord im Namen der Wissenschaft", List TB Verlag 2006