Wie Amati die Geige erfand
Kuriose Instrumente
Im Rahmen der Vienna Design Week, die nach einer Idee der sogenannten Neigungsgruppe Design die Designszene Wiens präsentiert, wurde eine kurios anmutende Instrumentenerfindung präsentiert: die Tandem-Gitarre. Und sie klingt gar nicht schlecht.
8. April 2017, 21:58
Die Passionswege sind ein Begleitprogramm zur jährlich stattfindenden Vienna Design Week. Diese Veranstaltung präsentiert die aktive Designszene Wiens. Die Idee dazu stammt von der sogenannten Neigungsgruppe Design, gegründet 2006 von Tulga Beyerle, Thomas Geisler und Lilli Hollein. Die Passionswege haben zum Ziel, modernes Industriedesign mit alteingesessenen Handwerksbetrieben zusammenzubringen. Auf diese Weise entstand die Tandem-Gitarre. Man spielt sie nur zu zweit und sie klingt gar nicht schlecht.
Steffen Kehrle, Industriedesigner mit Erfahrungen in Möbelregaldesign und Weihnachtsstraßenbeleuchtung, bringt es auf den Punkt: "Der Sinn und Zweck der Sache ist, heimische Unternehmen die aus Wien kommen, mit Designern oder Designerinnen zusammen zu führen und für diesen Event ein Produkt zu entwerfen oder eine Installation zu machen."
Auf der Suche nach Partner-Betrieben
Eines der drei Mitglieder von der Neigungsgruppe Design, Thomas Geisler, ging mit Steffen Kehrle durch das Karmeliter-Viertel im 2. Wiener Gemeindebezirk, man schaute sich nach Partner-Betrieben um und brachte den Industriedesigner Steffen Kehrle mit dem Instrumentenmacher-Betrieb von Nupi Jenner und Simone Zopf zusammen.
Kehrle sagt: "Erst dann habe ich angefangen, mich mit dem Thema Instrumentenbau zu befassen. Ich hab verschiedene Recherchen gemacht und hab dann so erste Ansätze gehabt; unter anderem war sozusagen einer meiner Ansätze das gemeinsame Musizieren."
Tandem-Gitarre
Dieser Gedanke führte Steffen Kehrle zu einem ganz speziellen gemeinsamen Musizieren, zu einem Instrument, das sich nur zu zweit bespielen lässt: der Tandem-Gitarre. Steffen Kehrle begann also, sich mit Musikinstrumentenbau anzufreunden. Die Tradition über Bord werfend, sich selbst als unmusikalisch darstellend, entwarf er mit Nupi Jenner und Simone Zopf ein Instrument, das zwei ganz eng aneinander bindet, wenn sie Gitarre spielen.
"Man verschmilzt zwei Gitarren zu einer" erzählt Kehrle und hat ein Modell gebaut. Der Experte Nupi Jenner hat das Modell gesehen und hat gelacht, "ausgelacht oder angelacht oder wie auch immer, das war ziemlich lustig. Und dass das lustig ist, das soll auch ein bisschen im Vordergrund stehen."
Die Tradition der fröhlichen Kuriosität
Im Mittelpunkt des Denkens steht eine Musikinstrumententradition, die nicht vergleichbar und schätzbar sein will, sondern fröhlich, kurios, phantasievoll und mutig. Rudolf Hopfner, Direktor der Sammlung Alte Musikinstrumente im Kunsthistorischen Museum Wien, über die Tradition abseits der Tradition:
"Wenn man sich die Entwicklung der Musikinstrumente ansieht, dann kann leicht der Eindruck entstehen, dass diese Entwicklungslinie eine gerade, ununterbrochene ist, die Realität schaut aber ganz anders aus. Man muss sich das eher vorstellen wie einen Baum, der extrem weit verzweigt ist. Da gibt es eben Äste, die sind stark und entwickeln sich gut weiter, und andere gehen in eine bestimmte Richtung, sterben dann ab, verdorren."
Amati arbeitete ohne Vorbild
Äste, Bäume, Baumschulen - Nupi Jenner wirft ein, dass manchmal eine Pflanze ganz einfach - gesät aus dem Kopf eines Instrumentenbauers - zum wertvollen Baum heranwächst.
Jenner bemerkt, dass Andrea Amati Mitte des 16. Jahrhunderts vorbildlos die Geige entwickelt: "Es gibt zumindest keine historischen Belege, dass die Geige sich aus einem anderen, bereits ähnlichen aussehenden Instrument entwickelt hat - sie taucht plötzlich auf. Man könnte das als Design, als Produkt, als Designprodukt von Andrea Amati oder wenn man will auch von Gaspare de Salo in Brescia bezeichnen."
Nupi Jenner bringt mit der Erzählung dieser historischen Begebenheit Steffen Kehrle zum Träumen. "Man könnte auch ganz neue Instrumente andenken, man kann ja auch mal eine ganz neue Art von Musizieren ausprobieren. Vielleicht entwickelt sich dann etwas, das in 200 Jahren oder in 100 oder in 30 Jahren selbstverständlich ist. Ok, wir machen mal Musik komplett anders, wir denken mal ganz anders, wir machen ein Instrument, wo zehn Leute daran spielen können, sozusagen wir machen eine Band, die aber ein Instrument ist."
Instrumentenbauer waren risikofreudig
Simone Zopf, Instrumentenbauerin und Lehrerin an der Instrumentenbauschule Hallstadt fällt auf, "dass man Instrumentenbau viel konservativer sieht als er wahrscheinlich überhaupt gewesen ist. Wenn man in ein Museum reingeht, dann sieht man viele dieser Versuche oder manchmal auch fehlgeschlagenen Versuche, irgendetwas total Neues zu machen. Und da gibt es Dinge, die kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen. Aber sie wurden gemacht, sogar in einer gewissen Stückzahl in jedem Material von Glas, Porzellan, Schildpatt, Knochen. Alles ist ausgetestet worden, jede beliebige Form. Die Instrumentenbauer früherer Generationen haben sich was getraut."
Instrumentenmoden
Der Instrumentenbau war also immer schon den Moden der Zeit unterworfen, die Tradition immer schon umweht von Zeitgeist und Alltags-Moden.
"Das Erbe der Tradition", sagt Instrumentenbauer Nupi Jenner, "das wir heute zu tragen haben, geht auf eine ganz erfolgreiche Marktpolitik von Händlern und Geigenbauern zurück, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgreich Mythen produziert haben, dass sich aus diesem Mythos nichts mehr heraus bewegen darf."
Spinett und Spielbrett in einem
Rudolf Hopfner über merkwürdig oder einzigartig designte Instrumente und die Lust auf Überraschung aus der Renaissance: "Da gibt es zum Beispiel Instrumente, die erst auf den zweiten Blick als Musikinstrumente zu erkennen sind. Wir haben hier in der Sammlung alter Musikinstrumente ein sehr gutes Beispiel dafür. Ein Kombinationsinstrument zwischen Regal und einem Spinettino, und das Besondere dabei ist, dass die äußeren Flächen dieses Instrumentes noch mit Spielfeldern versehen sind: für Schach, ein Dame und Backgammon. Erst wenn man es aufklappt, sieht man, was sich im Inneren verbirgt."
So schließt sich der Kreis von der Tandem Gitarre des Jahres 2008 zu den Instrumenten-Kuriositäten der Renaissance. Der Virtuosität der Spielenden steht die Virtuosität der Machenden gegenüber. Das Kunstwerk ist nicht erst das, das auf der Bühne erklingt, sondern schon das, das der Virtuose in seiner Werkstatt erschafft.
Hör-Tipp
Apropos Musik. Das Magazin, Sonntag, 5. April 2009, 15:06 Uhr
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Links
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Design Austria - Passionswege
Steffen Kehrle
Kunsthistorisches Museum