Geld gegen Transparenz

Ukraine

Die EU möchte dabei helfen, die ukrainischen Gaspipelines zu modernisieren. Russland möchte neue Pipelines bauen und ist dagegen. Neuer Streit zwischen den beiden Nachbarn im Osten scheint unausweichlich, auch eine neue Gaskrise ist nicht auszuschließen.

"Das Gas-Transitsystem durch die Ukraine ist eine jener vitalen Energie-Arterien, die den europäischen Körper am Leben erhält", betonte der Präsident der EU-Kommission, Jose Manuel Barroso, am 23. März 2009 auf einer hochkarätig besetzten Konferenz in Brüssel. Schließlich liefert dieses Transitsystem Gas in 16 europäische Länder, davon zwölf EU-Länder.

Damit es nie mehr so dunkel und kalt wird wie im Jänner, als einige Wochen lang kein Gas von Russland durch die Ukraine in die EU floss, soll nun das ukrainische Gas-Transitsystem modernisiert werden. Und zwar mit dem Geld der EU, mehrerer internationaler Banken sowie europäischer Investoren. Eine entsprechende Erklärung wurde auf der Konferenz in Brüssel unterzeichnet. 2,5 bis fünf Milliarden Euro werden dafür benötigt. Die Ukraine hat sich im Gegenzug verpflichtet, mehr Transparenz auf seinem Energiesektor zu schaffen.

Vorzeigeprojekt mit Schönheitsfehler

Während der Gaskrise im Jänner war es für die EU unmöglich, festzustellen, ob die Ukraine wirklich Gas stahl, wie die russische Gazprom behauptete. Daher sollen jetzt Mess-Stationen eingerichtet werden, die die bisher nur vage kontrollierbaren Gasströme durch die zigtausenden Kilometer Haupt- und Nebenpipelines nachverfolgen können.

Bereits im Jahr 2001 wurde mit dem Bau einer solchen Gasmessstation im ukrainischen Boyarka, in der Nähe von Kiew begonnen. Diese soll helfen, die tatsächlichen Gasmengen zu eruieren, die von Russland in die Ukraine kommen und weiter nach Europa fließen. Die EU hat bislang neun Millionen Euro in das Vorzeigeprojekt hineingesteckt. Der einzige Schönheitsfehler: Es ist noch immer nicht in Betrieb. Offiziell wegen eines Grundstücksstreits mit einem Bauern.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn erstens gibt es auf dem intransparenten Energiesektor einige ukrainische und auch russische Oligarchen, die derzeit sehr viel Geld mit illegal abgezweigtem Gas machen und wohl kein Interesse daran haben, dass der Gasfluss durch die Pipelines in Zukunft viel besser kontrolliert werden kann. Und zweitens ist der staatliche Energiekonzern der Ukraine, Naftogaz, der das Zentrum zum Großteil finanzieren muss, am Rande der Pleite. Überhaupt leidet die Ukraine extrem unter der derzeitigen Weltwirtschaftskrise.

Steht eine neue Gaskrise bevor?

Alle diese Faktoren bergen Sprengstoff für die Zukunft: Laut dem neuen Vertrag, den die Ministerpräsidenten Russlands und der Ukraine, Wladimir Putin und Julia Timoschenko, im Jänner abgeschlossen haben, muss die Ukraine die Gaslieferungen aus Russland an Gazporm monatlich und pünktlich bezahlen. Ansonsten kann der Gashahn jederzeit wieder abgedreht werden.

Der stellvertretende ukrainische Energieminister Serhij Pavluscha versucht zu beruhigen. Der neue Langzeitvertrag mit Russland lege den Preis für den Gas-Transit fest und somit gebe es keine Gründe für eine Krise.

Doch viele Experten sind anderer Meinung. Ildar Gazizullin etwa, Wirtschaftswissenschafter am internationalen Zentrum für politische Studien in Kiew, hält ein Wiederaufflammen der Gaskrise für durchaus möglich, denn die Ukraine habe enorme Probleme, die monatlichen Gasraten zu bezahlen. Dadurch bekomme Russland wieder die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. "Russland möchte die Kontrolle über das ukrainische Pipelinesystem behalten", so Gazizullin, "wir haben ja gesehen, wie beleidigt Moskau auf den Abschluss des Vertrags über die Modernisierung des Gas-Transitsystems der Ukraine am 23. März reagiert hat."

Russland gegen EU-Pläne

Anlass für einen neuen Konflikt könnte also der in Brüssel abgeschlossene Vertrag zwischen der EU und der Ukraine sein. Russland fühlt sich dadurch in seinen Interessen missachtet. Das Außenministerium in Moskau sprach von einem unfreundlichen Akt, der russische Ministerpräsident Putin drohte gar mit einer Neubewertung der Beziehungen zur EU.

Was stört Russland eigentlich so daran, dass die alten Pipelines in der Ukraine modernisiert werden sollen? Der angesehene urkainische Politologe und Politikberater Wolodymyr Fesenko sieht zwei Hauptmotive auf russischer Seite: "Erstens will Russland neue Pipelines bauen, die die Ukraine umgehen, nämlich Northstream und Southstream. Und das zweite Ziel ist es, zumindest teilweise Kontrolle über das ukrainische Gaspipelinesystem zu erhalten, und zwar über ein Konsortium, an dem auch Russland beteiligt ist."

Die in Brüssel unterschriebene Erklärung verfolge jedoch ein ganz anderes Ziel, nämlich die Modernisierung des ukrainischen Gas-Transportsystems und die Erhaltung des Transitwegs durch die Ukraine.

Gasbedarf in Europa steigt

Russland hat jedoch ein paar Asse in der Hand: Denn Russland stellt das Gas zur Verfügung, das durch die ukrainischen Pipelines strömen soll. Es ist entweder russisches oder zentralasiatisches Gas, das wiederum von Russland gekauft wurde.

Die EU verfolgt derzeit eine Doppelstrategie: Einerseits möchte man den wackeligen Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine nicht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sein und ist daher an Alternativprojekten interessiert, etwa Northstream, Southstream oder Nabucco. Andererseits möchte man ein verlässliches Transitland Ukraine sichern. Aber so oder so wird man sich mit Russland einigen müssen.

Derzeit kommt etwa ein Fünftel des gesamten europäischen Gasbedarfs aus Russland via Ukraine nach Europa. Und der Bedarf an Gas wird in Europa - Prognosen zufolge - trotz Wirtschaftskrise noch steigen.

Hör-Tipp
Journal Panorama, Dienstag, 7. April 2009, 18:25 Uhr