Aus Lehm, Stein, Holz, Beton und Stacheldraht

Mauern als Grenzen

Während die einen seit Jahrhunderten verfallen, werden andere wieder neu hochgezogen: Mauern. Je nach Zeitpunkt ihrer Errichtung sollten sie vor Feinden schützen, verfeindete Völker voneinander trennen oder die Flucht der eigenen Bevölkerung verhindern.

Schauplatz südliches Mesopotamien, Ende des dritten Jahrtausends vor Christus: Entlang der Flüsse Euphrat und Tigris blüht eine hoch entwickelte Stadtkultur - umringt von Dattelhainen und Gerstefeldern, die unter der heißen Sonne prächtig gedeihen.

Amurriter-Mauer in Mesopotamien

Die kleinen Stadtstaaten sind der Dynastie der Stadt Ur unterstellt und beliefern diese mit Kontingenten für gemeinsame Feldzüge. Die fruchtbaren Felder und Gärten werden vor durchziehenden Nomaden und ihren Schafherden geschützt - mit Mauern aus Lehm.

Ihre Längen waren teils sehr beachtlich - Urkunden sprechen beispielsweise von einem Feld, das mit einer 5600 Meter langen Lehmmauer gesichert wurde. Auf diese Fertigkeit im Bauen langer Mauern setzen Ende des dritten Jahrtausends die Könige Sulgi und Schu-Suen, als sie eine quer durch ihr Land verlaufende Mauer errichten lassen. Ihre Länge: Knapp 300 Kilometer. Ihre Hauptaufgabe: Die sesshaften Bauern und das von ihnen bewirtschaftete, ertragreiche Gebiet vor der Ausbeutung durch Amurriter-Nomaden und ihren Kleintieren zu schützen.

Keine Spuren von der ältesten bekannten Mauer

Das Beispiel der Amurriter-Mauer in Mesopotamien zeigt: Der Mensch ist ein Mauerbauer - und das seit mehr als 4000 Jahren. "Das besondere daran ist, dass wir die lediglich bis zu eineinhalb Meter hohe Mauer nur aus schriftlichen überlieferten Quellen kennen", erzählt Astrid Nunn, vorderasiatische Archäologin an der Julius Maximilians Universität in Würzburg. Sie hat kürzlich den reich illustrierten Sammelband "Mauern als Grenzen" herausgegeben und unternimmt darin mit weiteren elf Autoren einen Streifzug durch die Geschichte der Mauergrenzen.

Die Amurriter-Mauer aus einfachen Lehmziegeln hielt dem Andrang der Nomaden nur drei Jahrzehnte stand. Es fehlte an Soldaten, um sie zu bewachen und in Stand zu halten. "Von einer der ältesten heute noch bekannten Mauern sind über die Jahrhunderte hinweg keine archäologischen Spuren erhalten geblieben - anders als im Fall der erst vor wenigen Jahren entdeckten und noch nicht vollständig erforschten Syrischen Stein-Mauer", sagt Astrid Nunn.

Mithilfe von Google-Earth rekonstruiert

Nähere Analysen und Geländebegehungen brachten an den Tag, dass die Syrische Mauer an die 220 Kilometer lang gewesen sein muss und sich - wie ein unregelmäßiger Halbkreis - vom Norden in den Süden der syrischen Steppe schlängelte.

Die Grenzmauer trennte zwei Welten: Fruchtbare Ackerfelder, Oasen und sesshafte Bauern von Gebieten, die nur für die Weide geeignet waren und von Nomadenstämmen genutzt wurden. Die Archäologen konnten die Länge und den genauen Verlauf der Mauer mithilfe von Google Earth rekonstruieren - einer Software, die Satellitenaufnahmen, Luftbilder und Geodaten vereint und einen dreidimensionalen Blick auf die Erde ermöglicht.

Zeugnisse von Macht und Ausschluss

Mauern, wie die syrische oder die mesopotamische Mauer, waren höchst aufwändige Unterfangen - sowohl, was deren Bau, als auch, was die Größe des zu schützenden Gebietes betrifft.

Nur eine starke, zentralisierte und wirtschaftlich robuste Macht konnte derlei angehen - ähnlich verhält es sich mit der Großen Mauer in China, dem Limes, einem von den Römern angelegten Grenzwall, und den Mauern, die heute bestehen oder dieser Tage errichtet werden: zwischen Arm und Reich, zwischen unterschiedlichen Konfessionen oder verfeindeten Staaten.

Vom Eisernen zum Elektrischen Vorhang

Astrid Nunn widmet das Schlusskapitel ihres Buches den Mauern von heute, die nicht mehr aus Lehm, Torf, Holz und Stein bestehen. Die Mauern von heute sind High-Tech Mauern, zumindest an ihren neuralgischen Punkten. Ein Beispiel dafür ist der so genannte "Tortilla"-Vorhang an der Grenze zwischen den USA und Mexiko. "Im Irakkrieg übrige gebliebene Bauteile werden bei seiner Errichtung ebenso verwendet, wie modernste elektronische Geräte", erzählt Astrid Nunn.

Dazu kommen zahlreiche weitere Mauerbauten: Die Mauer in Belfast, die Katholiken von Protestanten trennt, die so genannte grüne Zone in Bagdad, in der sich Botschaften, die UNO und die irakische Regierung niedergelassen haben und die durch Mauern vor Terroranschlägen geschützt wird, die von Marokko vorangetriebene Sand-Mauer in der Sahara-Wüste, die vor Unabhängigkeitsbestrebungen der Polisario schützen soll, die Mauer zwischen Nord- und Südkorea, die Mauer, die Israelis und Palästinenser voneinander trennen soll, die Mauer in Nikosia, die den türkischen und den griechischen Teil der zypriotischen Hauptstadt voneinander abschirmt, wie auch eine Mauer, die Saudi Arabien hochzieht, weil es den Ansturm irakischer Wirtschaftsflüchtlinge fürchtet.

"Sollten die zum jetzigen Zeitpunkt angekündigten Mauern, Zäune und Sperren tatsächlich fertig gestellt werden, gäbe es weltweit zusätzlich 18.000 Kilometer schwer bewachter Grenzen", so Nunn.

Hör-Tipp
Dimensionen, Dienstag, 7. April 2009, 19:05 Uhr

Buch-Tipps
Astrid Nunn (Hrsg.), "Mauern als Grenzen", Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2009

Edgar Wolfrum, "Die Mauer - Geschichte einer Teilung", C.H. Beck Verlag, München 2009

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