Am "Wiener Platz"
"… Judengut gehortet"
Nach dem "Anschluss" wurden Kunst- und Antiquitätenhandlungen in jüdischem Besitz "arisiert" oder aufgelöst, Warenbestände und privater Kunstbesitz weit unter dem Wert veräußert. Heimische Kunsthändler haben sich dabei in extremem Ausmaß bereichert.
8. April 2017, 21:58
Nach dem "Anschluss" blieb auch auf dem Gebiet des österreichischen Kunst- und Antiquitätenhandels, dessen Zentrum Wien war, kein Stein auf dem anderen. Ein kleiner Teil der in jüdischem Besitz befindlichen Betriebe wurde "arisiert" und weitergeführt, der Großteil zwangsweise aufgelöst.
Schnell und skrupellos
Zu den renommiertesten "arisierten" Kunsthandelsbetrieben zählte das Auktionshaus S. Kende in der Rotenturmstraße in Wien, das vom Münchner Auktionator Adolph Weinmüller übernommen wurde. Ansonsten profitierten von den Enteignungen und dem Abverkauf der Warenbestände vor allem ortsansässige Händler, die nicht von den Verfolgungsmaßnahmen betroffen waren, sowie das Wiener Auktionshaus Dorotheum. Diese Institution vollzog erst während der NS-Herrschaft - durch den Handel mit Raubkunst - den Aufstieg zum führenden Kunstauktionshaus im deutschsprachigen Raum.
Die Ausschaltung der Juden aus dem österreichischen Kunsthandel erfolgte in rapidem Tempo und mit beispielloser Skrupellosigkeit. Von der Vermögensverkehrsstelle, der zentralen "Arisierungsbehörde" in Wien, wurde 1939 der Buchprüfer Otto Faltis zum Abwickler für rund 60 Kunst- und Antiquitätenhandlungen bestellt. In der Mehrzahl der Fälle hatten jedoch schon zuvor eigenmächtige Transaktionen seitens kommissarischer Verwalter oder Plünderungen stattgefunden.
Zwangsverkäufe
Jüdische Verfolgte sahen sich unter dem Druck der Verhältnisse gezwungen, Bilder und andere Kunstobjekte sowie Einrichtungsgegenstände weit unter dem tatsächlichen Wert zu veräußern. Nur so vermochten sie die Barmittel aufzubringen, die sie für die Finanzierung der Flucht sowie zur Begleichung der von den NS-Behörden auferlegten diskriminierenden Steuern (Reichsfluchtsteuer und "Judenvermögensabgabe") benötigten.
Lediglich einigen jüdischen Händler gelang es, namhafte Vermögenswerte ins Ausland zu transferieren und auf dieser Basis ihre bisherige Tätigkeit im Exilland fortzusetzen. Viele nichtjüdische Händler nutzten dagegen die Rahmenbedingungen, um sich in oft extremem Ausmaß zu bereichern. So mancher vormalige Trödler oder Möbeltischler schaffte nun den Aufstieg zum Kunst- und Antiquitätenhändler. Einige von ihnen war fortan auch als Zuträger für Hitlers Museumsprojekt und den damit verbundenen "Sonderauftrag Linz" tätig.
Vertrieben und ermordet
Nur einem Teil der jüdischen Kunst- und Antiquitätenhändler gelang die Flucht aus dem nationalsozialistischen Österreich. Häufig fand sich hingegen in den Berichten von Faltis der lapidare Hinweis: "Jude nicht ausgereist". De facto bedeutete dies in den meisten Fällen, dass die Betroffenen bereits deportiert waren oder ihnen dieses Schicksal noch bevorstand.
Zu den Opfern zählten etwa Albert Kende, Inhaber des renommierten Kunstauktionshauses Kärntnerstraße, oder Salomon Kohn, Besitzer des traditionsreichen Postkartenverlags Brüder Kohn: Beide wurden nach Theresienstadt deportiert und ermordet.
Täter sind glimpflich davongekommen
Die Netzwerke von Händlern, Kunstexperten und Museumsbeamten, die bereits während der NS-Zeit bestanden hatten, funktionierten auch nach Kriegsende weiter. Entlastungszeugen waren rasch gefunden, sodass die Täter und Profiteure in den allermeisten Fällen unbeschadet davonkamen.
Hör-Tipp
Dimensionen, Dienstag, 14. April 2009, 19:05 Uhr
Buch-Tipps
Gabriele Anderl, Alexandra Caruso (Hrsg.), "NS-Kunstraub in Österreich und die Folgen", Studien Verlag
Vanessa M. Voigt, "Kunsthändler und Sammler der Moderne im Nationalsozialismus", Reimer
Angelika Enderlein, "Der Berliner Kunsthandel in der Weimarer Republik und im NS-Staat", Akademie-Verlag