Roms Niederlage im Teutoburger Wald
Die Varusschlacht
Wir schreiben das Jahr 9 nach Christus. Der 70-jährige Augustus stößt die bekannten Worte hervor: "Quinctilius Varus, gib mir die Legionen wieder!" Grund dieses Ausrufs war die Hermannsschlacht, Varusschlacht oder Schlacht im Teutoburger Wald.
8. April 2017, 21:58
David gegen Goliath - Arminius gegen Varus - Germanen gegen Römer. Ungleiche Kräfteverhältnisse entladen sich zuweilen überraschend im Triumph des Schwächeren über den Stärkeren. Im Fall der Schlacht des Römers Varus gegen den Germanen Arminius wird durch den Sieg des scheinbar Schwächeren vor 2.000 Jahren auch ein nationaler Mythos begründet. Der Cheruskerfürst Arminius wird als "Hermann" im 19. Jahrhundert zum ideologischen Geburtshelfer für die Deutsche Nation.
Nachvollzogen hat diese Erfolgsstory der Schriftsteller, Lektor und Verlagsleiter Ralf-Peter Märtin, der auch über langjährige Erfahrungen als Qualitätsjournalist verfügt. Für seine umfangreiche Darstellung der historischen Zusammenhänge rund um die Varus-Schlacht wählt Märtin ganz bewusst den Stil einer bildhaften Reportage.
Wir graben mit dem Schreibgriffel in das Wachstäfelchen unseres Kriegsberichterstatters ein: "Iden des September, im Konsulatsjahr des Quintus Sulpicius Camerinus und Gaius Poppaeus Sabinus. 9 nach Christus. Lager des Gaius Iulius Arminius. An den Chefredakteur. Salve, Du hast mich an die Visurgis - Weser - geschickt, um die Wahrheit über das herauszufinden, was geschieht. Dies ist sie: Die germanischen Hilfstruppen meutern und greifen das Heer des Statthalters Varus an. Haben sie Erfolg, werden sich die benachbarten Stämme anschließen. Es wird das Signal für einen allgemeinen Aufstand sein."
Verschiedenste Stammesverbände
Julius Cäsar lässt in seinem "Gallischen Krieg" Gallien am Rhein enden. Östlich des Rheins spricht Cäsar von den "Germanen". Sein Autorenkollege Tacitus wird im Jahr 98 das menschliche Treiben zwischen Rhein und Weichsel, Nordsee und Moldau unter dem Titel "Germania" zusammenfassen. Die Sammelbezeichnung täuscht aber nicht darüber hinweg, dass es sich bei den von Rom begehrlich beäugten Gesellschaften um verschiedene Stammesverbände, sogenannte Gentes, handelt. Die römischen Feldherren Drusus und Tiberius bringen durch militärische Vorstöße die Gentes Germaniens unter römische Herrschaft.
Ein lohnenswertes Unterfangen, denkt man an den Ruhm, der in Rom wartet. Dem Triumphzug des Tiberius durch die Porta Triumphalis am Marsfeld folgt ein vier Kilometer langer, nach alter Sitte festgelegter Jubelreigen. Damit die Begeisterung dem Tiberius nicht zu Kopfe steigt, hält ihm ein Sklave einen goldenen Kranz über das Haupt und mahnt gebetsmühlenartig:
"Denke daran, dass du ein Mensch bist."
Keine Reichtümer zu holen
Viel zur Schau zu stellen gibt es nach einem Feldzug nach Germanien freilich nicht. Die Gentes im Norden sind arm. Mit Gold und Silber, Edelsteinen und Elfenbein, kostbaren Waffen, seidenen Stoffen und Kultgeräten kann Germanien nicht aufwarten.
Dafür wurde eine Völkerschau des Barbaricums geboten, großgewachsene Sugambrer, blonde Brukterer, wild aussehende Chatten, Sueben mit ihrer typischen Haartracht, die auf der linken Seite des Kopfes zu einem Knoten gebunden war. In Käfigen zeigte man die exotischen Tiere des sagenhaften Hercynischen Waldes, Bären, Elche und Auerochsen. Auf großen Leinwänden waren die schauerlichsten Kampfszenen in knallig bunten Farben gemalt. "Da konnte man sehen, wie gesegnete Landschaften verwüstet wurden, gezeigt wurden Gruppen wehrloser Menschen, die mit erhobenen Händen um Gnade flehten, Häuser, die man gerade in Brand gesteckt hatte und Flüsse, die durch ringsum brennendes Land strömten."
Mit der eigenen Taktik geschlagen
Die Gefahr für die römischen Beherrscher Germaniens liegt - so die These von Ralf-Peter Märtin - in der Assimilation der Anführer der eroberten Völker. Als Beispiel dient der Markomannen-König Marbod. Als Jüngling hat er in Rom gelebt, und als Herrscher eifert er den Römern nach. Marbod trainiert sein Heer nach römischer Manier und schwingt sich zu einer Art Schutzherr Germaniens auf. Im Frühjahr des Jahres 6 nach Christus greift der römische Feldherr Tiberius den unliebsamen Marbod an. Aufgrund eines Aufstandes muss Tiberius sein Heer umschwenken. Marbod ist gerettet und bekommt einen für Barbaren ungewöhnlich günstigen Friedensvertrag.
Bestimmte Tatsachen in puncto Germanen standen für die Römer unverbrüchlich fest. Beispielsweise, dass der Germane viel redete, aber nichts zuwege brachte. Denn er war faul und zu disziplinierter Arbeit unfähig. Er war jähzornig, grausam und neigte zu alkoholischen Exzessen. Tag und Nacht durchzuzechen, ist für keinen eine Schande. Er war unzuverlässig bis zur Treulosigkeit und kannte zur Durchsetzung seiner Interessen nur Willkür und Gewalt. Er liebte die Freiheit, was aber nur bedeutete, dass er den Wechsel von Befehl und Gehorsam nicht verstand, der die Voraussetzung war für jegliche Ordnung, sei es im Staat, sei es in der Armee. So gesehen konnte er froh sein, wenn er unter römische Herrschaft geriet, vertraut wurde mit Gesetz und Recht und damit langsam in den Status eines Vernunftmenschen aufstieg.
Freie Liebe für die Kaisertochter
Es ist der Blickwinkel Roms, den Ralf-Peter Märtin einnimmt. Und das auf eine sehr plastische Art und Weise. Man erfährt, dass der Vater des Vaterlandes - Pater Patriae -, Kaiser Augustus, Schuhe mit dicken Sohlen trägt, um sich größer zu machen.
Auch über das Publicity-trächtige Familienleben des Augustus wird informiert. Des Kaisers einzige Tochter Julia fordert freie Liebe und praktiziert diese auch. Augustus dagegen verkündet am Forum Romanum auf der Rednertribüne seine Gesetzgebung gegen den Ehebruch. Der Philosoph Seneca verrät, dass sich Julia eben diese Rednertribüne auf dem Forum Romanum aussucht, um dort dem lustvollen Umgang mit ihren Liebhabern zu frönen. Ein beträchtlicher Teil der römischen Aristokratie hält es mit der Kaisertochter und empfindet das Liebesleben als Privatsache. Augustus ist anderer Meinung. Er lässt einen Liebhaber der Julia hinrichten und verbannt seine Tochter auf die winzige Insel Ventotene.
Grundstein für Deutschland
Über die Heldin auf der Seite der Germanen, Thusnelda, die Frau des Arminius, ist wenig bekannt.
Es geht offenbar nicht ohne Arminius. Als Figur ganz eigenen Rechts taucht er aus dem Dunkel der Geschichte und verliert sich wieder in ihm, eine nur schattenhafte Silhouette, aber schärfer und origineller geschnitten als die germanischen Könige der Völkerwanderung. Jede Zeit hat ihn für ihre Zwecke gebraucht, seine Wirkung und Bedeutung ins schier Unermessliche gesteigert. Mit Sicherheit werden im Jubiläumsjahr 2009 die alten Klischees wieder aufgewärmt, vom Tag, der Deutschland und die Deutschen entstehen ließ, und von der Romanisierung, die Arminius angeblich verhinderte.
Ralf-Peter Märtins Darstellung des Clash of Civilizations zwischen Römern und Germanen ist packend und kenntnisreich geschrieben. Der Autor versteht es, die Sprache der Quellen und seine eigene Interpretation in lesenswerten Einklang zu versetzen. Der umfangreiche Anhang und die ausführlichen Fußnoten künden von gründlicher Annäherung an die Thematik. Ein beträchtlicher Teil der Darstellung erzählt davon, was in zwei Jahrtausenden Überlieferung aus Arminius wurde. Im 19. Jahrhundert bekam er bekanntlich als Hermann der Cherusker ein bombastisches Denkmal im Teutoburger Wald. Und ein literarisches Denkmal in Heinrich Heines "Wintermärchen" - als Hermann mit seinen blonden Horden.
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Buch-Tipp
Ralf-Peter Märtin, "Die Varusschlacht. Rom und die Germanen", S. Fischer Verlag