Elfriede Jelinek, Schriftstellerin
Keine Liebe ohne Besitzdenken
Vor exakt 20 Jahren kam Elfriede Jelineks Buch "Lust" auf den Markt. Als "Denunzierung der Sexualität" wurde der Text nicht nur von Marcel Reich-Ranicki verstanden. Jelinek wollte aber zeigen, wie Macht mit dem Mittel der Sexualität ausgeübt wird.
8. April 2017, 21:58
Peter Huemer im Gespräch mit Elfriede Jelinek
"Ich habe eigentlich nicht über Sexualität geschrieben, so paradox das klingt, sondern über Macht und wie Macht in etwas gegeben ist, in so etwas Unschuldiges wie Sexualität", sagt Elfriede Jelinek gleich am Anfang ihres Gespräches, das Peter Huemer fast auf den Tag genau vor 20 Jahren mit ihr geführt hat. "Ich glaube nicht, dass es so etwas wie eine machtfreie Sexualität geben kann!", so Jelinek weiter.
Kein Ausleben möglich
Kurz zum Inhalt: Seit Aids in das letzte Alpental vorgedrungen ist und "die infiziert, die in der Liebe für den Wechsel sind", muss ein Fabrikdirektor auf Partnertausch und Prostituierte verzichten und wieder auf seine Frau Gerti zurückgreifen.
Gerti will der unausgesetzten sexuellen Begierde ihres Mannes entfliehen, der routinemäßigen, langweiligen Wiederholung des ewig Gleichen. Ihre Sexualität kann sie nicht ausleben als Mutter; Mutterschaft und Sexualität löschen einander aus. Gerti verliebt sich in das Götterbild Michael, einen Studenten, der sie auf einer ihrer Fluchten aufliest, nach allen Regeln seiner jungen Aufreißer-Kunst verführt und demütigt. Sie wird wegen dieses Fluchtversuchs vor dem eigenen Mann vom eigenen Mann durch Vergewaltigung gedemütigt. Mit tödlichen Folgen.
Sprache als Herrschaftsinstrument
Marcel Reich-Ranicki meinte damals im "Literarischen Quartett": "Ich registriere mit großer Verwunderung, dass auf 300 Seiten die Sexualität unentwegt mit äußerster Kraft denunziert wird als das Widerlichste auf der Welt." Das, was Reich-Ranicki - und nicht nur ihm - bei der Lektüre entgangen war, ist der Umstand, dass es Elfriede Jelinek nicht um die Denunzierung der Sexualität gegangen ist, sondern darum, die Sprache als Herrschaftsinstrument vorzuführen, deren Wirkungsweise bloßzulegen.
"Das Recht des Blickes und das Recht der Sprache ist das Herrenrecht. Die Sprache des Obszönen ist die Sprache des Mannes", meint Elfriede Jelinek. In der Sprache wie in der Sexualität bilde sich - so die Autorin - das Machtverhältnis zwischen Mann und Frau ab. "Es ist völlig wurscht, ob die Frau oben sitzt oder unten liegt, Sexualität bleibt Gewaltausübung."
Jelineks konsequente Schlussfolgerung: "Mann und Frau sind unter diesen gesellschaftlichen Verhältnissen nicht füreinander geschaffen. Männer müssten auf Distanz zu den Frauen gehen, das würde ihnen gut tun."
Hör-Tipp
Im Gespräch, Donnerstag, 23. April 2009, 21:01 Uhr
Buch-Tipp
Elfriede Jelinek, "Lust", Rowohlt
Link
Elfriede Jelinek
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