Die Party ist zu Ende

Krisen des Kapitalismus

Im Sommer 2008 erreichte uns die Nachricht, dass die Börse in den USA zu wackeln beginnt. Mitte September 2008 ging die viertgrößte US-amerikanische Investmentbank Lehman Brothers Pleite. Und von da an ging es relativ stetig bergab.

In den USA bekommt man mitunter 15 E-Mails am Tag, in denen neue Kreditkarten beworben werden. Man wird zum Geldausgeben, das man nicht hat, geradezu gedrängt. Es wurde auf Pump gekauft und die Kredite mit Häusern, deren Wert ständig stieg, besichert.

Die Erwartung war, dass die Preise weiter steigen würden. Aber irgendwann war die Party zu Ende. Irgendwann konnten Kreditnehmer ihre Monatsraten nicht mehr begleichen. Und aus einer geplatzten Immobilienblase und einer Kreditkrise wurde eine Finanzkrise. Am 15. September 2008 wurde die viertgrößte US-amerikanische Investmentbank Lehman Brothers insolvent. Da erinnerte man sich plötzlich wieder an die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre.

Parallelen?

Tatsächlich gibt es ein paar Parallelen zwischen dem großen Crash 1929 und der Krise, in der wir uns momentan befinden. Vor beiden Krisen hatten sich massive Einkommens- und Vermögensunterschiede aufgebaut. Diese Umverteilung nach oben führte in beiden Fällen dazu, dass zu wenig konsumiert wurde, beziehungsweise nur noch auf Pump konsumiert werden konnte.

Eine weitere Parallele ist, dass die Regeln, in die die Finanzmärkte eingebettet waren, viel zu lax waren. Dennoch, meint Peter Mooslechner, Direktor der Hauptabteilung Volkswirtschaft in der österreichischen Nationalbank, ist eine Gleichsetzung der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre mit der heutigen Situation nicht angebracht. Die Politik reagiert, wenn auch zu zögerlich, so der Ökonom.

Boom für wenige, Krise für alle

Das oft verbreitete Bild, dass in den 1920er Jahren auch die kleinen Leute auf Pump spekulierten, ist falsch, betont der Ökonom John Kenneth Galbraith in seinem Buch "Der große Crash 1929": "Damals war der Aktienmarkt für die große Masse der Arbeiter, Farmer, Angestellten, überhaupt für die Mehrheit der Amerikaner, etwas Eigenartiges und Unklares. Die wenigsten wussten wie man Wertpapiere kauft. Und den Kauf von Aktien auf Kredit kannten sie ebenso wenig wie das Kasino in Monte Carlo."

Der Boom an den Börsen war also ein Boom für einige wenige. Durch die Krise arm wurden hingegen viele. Die Krise in den 1930er Jahren ging von der Realwirtschaft aus und schwappte dann auf die Finanzmärkte über. In der jetzigen Krise hingegen sind die Immobilienmärkte, die Kreditmärkte und die Finanzmärkte fast gleichzeitig betroffen. In den 1930er Jahren hat der Staat passiv reagiert. Bei der jetzigen Krise werden Zinsen gesenkt, Konjunkturpakete geschnürt.

Paradigmenwechsel

Wird jetzt umgedacht? Wird nun wirklich ein Systemwechsel herbeigeführt? Helene Schuberth, Ökonomin an der österreichischen Nationalbank, ist nicht überzeugt: "Der Paradigmenwechsel kommt nicht von selbst. Den muss man herbeiführen. Die wohl wichtigste Lehre aus dieser Krise ist, dass man Andersdenkende in den politischen und ökonomischen Entscheidungsprozess einbeziehen muss."

Es gibt nun viele Konzepte zur Verbesserung der Spielregeln der Weltwirtschaft. Allen Ökonomen ist bewusst, dass eine gerechtere Verteilung von Einkommen und vor allem von Vermögen eine große Rolle dabei spielt, das Wirtschaftssystem stabil zu gestalten.

Dazu braucht es Spielregeln, die zur Verringerung von Vermögensunterschieden führen, die Exzesse an den Finanzmärkten auf Kosten Dritter verbieten und die Krisen möglichst klein halten.

Don't panic!

Das Wort Krise wird nicht zufällig auch im sozialen und psychischen Kontext verwendet. Panik, Manien, Depressionen sind ansteckend.

"Es ist wie eine Verkühlung. Dann niest man und steckt die anderen an", erklärt die US-amerikanische Ökonomin Barbara Bergman. Individuell darf man sich einfach nicht anstecken lassen.

Den Frühling genießen und "don't panic", ist die Devise. Wenn jetzt alle versuchen, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen, wird es erst richtig schlimm.

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 20. April bis Donnerstag, 23. April 2009, 9:05 Uhr

Buch-Tipps
John Kenneth Galbraith, "Der große Crash 1929. Ursachen, Verlauf, Folgen", aus dem Englischen übersetzt von Renate Oettinger, FinanzBuch Verlag

Charles B. Kindleberger, "Manien, Paniken, Crashs. Die Geschichte der Finanzkrisen dieser Welt", Börsenmedien AG

Rudolf Brunngraber, "Karl und das zwanzigste Jahrhundert", verlegt bei Franz Greno Nördlingen 1988 in von Hans Magnus Enzenberger herausgegebenen Reihe "Die Andere Bibliothek"

Hyman P. Minsky, "Can "it" happen again? Essays on Instability and Finance", M.E. Sharpe

Michael Pollan, "Die Botanik der Begierde. Vier Pflanzen betrachten die Welt", aus dem Englischen von Christiane Buchner und Martina Tichy, Claassen Verlag

Anne Goldgar, "Tulipmania. Money, Honor, and Knowledge in the Dutch Golden Age", The University of Chicago Press

Naomi Klein, "Die Schock Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus", aus dem Englischen übersetzt von Hartmut Schickert, Michael Bischoff und Karl Heinz Siber, S.Fischer Verlag

Kurswechsel, Zeitschrift für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen, "Der "goldene Osten": das Ende einer Illusion", Heft 4/2008

Karin Küblböck/Cornelia Staritz (Hrsg.), "Asienkrise: Lektionen gelernt?", Verlag Hamburg 2008

Margret Atwood, "Payback. Schulden und die Schattenseite des Wohlstands", aus dem Englischen von Bettina Abarbanell, Grete Osterwald, Sigrid Ruschmeier, Gesine Strempel und Brigitte Walitzek, Berlin Verlag

Film-Tipp
Fernando Solanas, "Memoria del Saqueo", Deutscher Titel: "Chronik einer Plünderung", Trigon-Film

Veranstaltungs-Tipp
"BOOM - Die Wirtschaft sind wir", Diskussionsrunde der Ö1 Wissenschaftsredaktion über Ursachen und mögliche Lösungswege aus der Wirtschaftskrise, Mittwoch, 22. April 2009, 19:30 Uhr, Kulturcafe, Argentinierstraße 30a, 1040 Wien

Links
The Daily Show mit Jon Stewart
Beigewum, Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen