Der Pass Kardong-La in Ladakh

Den Göttern so nah

Der 5.600 Meter hohe Kardong-La liegt im Nordwesten Indiens und ist der höchste mit dem Auto befahrbare Pass der Welt. Von der Hauptstadt Ladakhs, von Leh aus, windet sich die größtenteils asphaltierte Straße 39 Kilometer lang zum Pass.

Zeitig am Morgen geht es los, durch ein schon recht munteres Leh. Vorbei am Stadtzentrum mit seinem imposanten Königspalast führt die staubige Straße zu den neuen Vierteln am Stadtrand, die sich den Berghang hinaufziehen. Hier reiht sich grau in grau ein neuer Lehmbau an den anderen.

Festessen für Hunde
Die Gebäude sind großteils schon fertig, auch die Mauern, die die künftigen Gärten umgeben sollen, allerdings funktioniert die Bewässerungsanlage noch nicht. Während unten im Tal die Gärten blühen und fruchtbares Grün herauf strahlt, dominiert hier die Steinwüste. Und ein riesiges Rudel streunender Hunde.

Bald klärt sich auf, warum an die hundert oder mehr Promenadenmischungen hier am Straßenrand herumlungern und dem Jeep ein Stück weit nachjagen. Hier, außerhalb der Stadt, ist der Schlachtplatz. Einmal in der Woche werden zwischen den Neubauten Ziegen geschlachtet und anschließend die Metzger mit dem Fleisch beliefert.

Die Streuner wissen das genau - sie machen sich gierig kläffend über die Abfälle her. Am Abend ist nichts mehr vom morgendlichen Massaker zu sehen und die Köter liegen dann vollgefressen und faul in der untergehenden Sonne.

Gebaut für die indische Armee
Anfangs geht die Fahrt über den serpentinenreichen, geteerten Weg rasch voran. Bald ist Leh nur mehr ein Spielzeugdorf mit üppigen Wiesen inmitten einer Steinwüste. Die Straße wurde von der indischen Armee gebaut und sie wird auch hauptsächlich von Militärfahrzeugen frequentiert.

Dort befindet sich auch das höchstgelegene Schlachtfeld der Welt und der Siachen-Gletscher. Der Siachen-Gletscher, der Schauplatz unzähliger Scharmützel und Kämpfe zwischen Indern und Pakistani, liegt jenseits des Kardong–La, des Kardong-Passes in der Pufferzone zwischen Indien, Pakistan und China.

Der Kardong-Pass liegt auch am alten Karawanenweg von Leh ins Nubra-Tal und von dort weiter über den Karakorum-Pass nach Yarkant, das heute Shache genannt wird und am Rande der Wüste Takla Makan in China liegt. Große Einheiten der indischen Armee sind im Nubra-Tal stationiert, um die Grenze zu sichern.

Immer wieder hat es in der Vergangenheit militärische Übergriffe gegeben. Während sich die Beziehungen zwischen China und Indien beruhigt haben, fürchtet man militante moslemische Gruppen, die immer wieder von Pakistan über zu schwappen drohen.

Man schätzt etwa 30.000 Soldaten, die an der Grenze ihren Dienst versehen. Das würde in etwa einem Viertel der Gesamtbevölkerung Ladakhs entsprechen.

Karge Löhne in karger Landschaft
Immer karger wird die Landschaft, je weiter sich der Geländewagen von Saddad vorarbeitet. Hin und wieder sind noch ein paar schwarze Kühe zu sehen, dann ein paar Tschukas - eine Art Schneehühner.

Am Straßenrand verrichten indische Arbeiter ihren schweren Dienst. Zwischen 200 und 300 Rupien pro Tag verdient man für eine ziemlich mühsame Arbeit. 200 Rupien entsprechen etwa 2 Euro 60 Cent. Die Löhne sind niedrig in der Provinz Ladakh, die dem Staat Jammu und Kaschmir unterstellt ist. Dass wenig Förderung vonseiten der Regierung zu erwarten ist, hat politische Gründe. Seit jeher bestehen Spannungen zwischen dem mehrheitlich buddhistischen Ladakh und dem vorwiegend moslemischen Jammu und Kaschmir.

Genaue Kontrolle
Auf dem halben Weg zum Kardong-La, bei Kilometer 14, hält der Geländewagen an einem Schranken. Es hat sich zugezogen, die Berge sind von grauen Wolken umhüllt. Vor den desolat wirkenden Wellblechhütten beobachten uns die Ankommenden. Am Checkpoint South Pullu werden sämtliche Permits kontrolliert. Das Militär will genau wissen, wer wann dieses Gebiet betritt, niemand darf unerlaubt passieren. Die Identität der Reisenden wird genau überprüft, egal ob man Ausländer oder Inder ist.

Es ist kalt auf 4.000 Metern Höhe, man spürt bereits die dünnere Luft. Der Wind fühlt sich ziemlich kalt an und es fängt sogar an, leicht zu schneien. Plötzlich wirken die zerbeulten Fässer, der Stacheldrahtzaun, das Geröll und der herumliegende Abfall noch unwirtlicher. Die Gesichter der oft sehr jungen Soldaten wirken noch schmäler.

Was zunächst als ein Routinestopp von ein paar Minuten gedacht war, wird ein Aufenthalt von mehr als einer Stunde. Der Beamte mit Turban akzeptiert die Papiere nicht, die in Leh von der Tourismusbehörde ausgestellt worden sind. Irgendeinen Formalfehler hat er gefunden. Eisern schüttelt er den Kopf, bis hierher und nicht weiter. Während der Fahrer mit den Mühlen der Bürokratie kämpft, passiert ein Militär-LKW nach dem anderen, riesige Dieselrauchwolken ausstoßend, den Schranken. Mindestens 30 tonnenschwere Fahrzeuge donnern ächzend und hupend durch die sonst so unberührte Natur.

Dann endlich tut die "donation", eine Spende an den diensthabenden Beamten, schließlich doch ihre Wirkung. Die einfachen Soldaten verdienen nicht mehr als 6.000 Rupien im Monat, so ist jeder Nebenverdienst willkommen. Der Weg zum Kardong-La ist wieder frei.

Höchste Konzentration erforderlich
Nach dem Checkpoint South Pullu wird die serpentinenreiche Straße schlechter. Von Asphalt keine Spur mehr, die Schlaglöcher sind riesig, immer wieder ist eine Fahrspur abgerutscht. Es erfordert höchste Konzentration und präzises Lenken, um auf dem nunmehrigen Schotterpfad auch noch die dahinkriechenden, stinkenden Militärfahrzeuge zu überholen.

Inzwischen fragt man sich allerdings auch, ob sich das ganze Unterfangen überhaupt lohnt. Die Kolonne bewegt sich in einer Suppe aus milchig-grauem Nebel. Man sieht gerade noch den Ansatz der steilen Berghänge, die noch einmal 2.000 Meter aufragen. Unten im Tal das prachtvollste Wetter und hier auf bald 5.000 Metern nur Schneetreiben, Wind und Dieselwolken. Im Juli sollte es eigentlich nicht mehr schneien, aber der Klimawandel wirkt sich auch auf Ladakh aus.

Und dann das doppelte Wunder: Der Wagen hat ihn tatsächlich geschafft, diesen holprigen Weg hinauf zum Kardong-La mehr zu klettern als zu fahren und... es klart auf. Plötzlich schieben sich die Wolken über den Berghang, kippen weg und der Blick auf den Pass und das dahinter liegende Karakorum-Massiv ist frei, der Himmel ist blau und die Sonne macht aus der zuvor unwirtlichen Einöde aus Granit und praktisch keiner Vegetation ein kontrastreiches Farbenspiel. Der höchste befahrbare Pass der Welt ist erreicht - selten hat man so bequem eine Höhe von 5.606 Metern erreicht.

Aufwärmen von innen

Das Café, das aufgrund der steigenden Nachfrage eröffnet wurde, macht gute Geschäfte mit Tee, Kaffee und Suppe. Die Lkw-Fahrer machen nur kurz Pause, immerhin haben sie noch eine Fahrt durch schwerstes Gelände hinunter ins Nubra-Tal vor sich.

Für die meisten Touristen ist hier Endstation. Weiter ins Nubra-Tal vorzustoßen gelingt nur mit speziellen Genehmigungen, die langwierige Behördenwege voraussetzen, die selten jemand auf sich nimmt. So stehen die Touristen im Schneematsch herum, warten auf die Rückfahrt nach Leh und schlürfen mit Blick aufs ewige Eis ihr heißes Getränk.

Einige der Touristen machen sich auf zum "Wohnort der Geister und Götter" – sie stapfen durch den Schnee zur Anhöhe, die von Tausenden Gebetsfahnen umflattert wird. Spätestens bei diesem kurzen Aufstieg zu Fuß spürt jeder, dass er sich auf einer Höhe von 5.606 Metern und mehr befindet. So auch ein Japaner, der zu schnell hinaufläuft, kollabiert und erst wieder zu sich kommt, als der Wirt des Cafés die Sauerstofflasche für Notfälle zum Einsatz bringt. Vielleicht sollte man sich solchen Orten zwischen Himmel und Erde doch mit etwas mehr Ehrfurcht und Respekt annähern.

Hör-Tipp
Ambiente, Sonntag, 19. April 2009, 10:06 Uhr

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