Ein chronischer Wanderer

James Hamilton-Paterson

Er lebt im Salzkammergut, genießt Zirbenschnaps und Blunzn. Mit dem "Reise-Gen" geboren, verbrachte der Autor James Hamilton-Paterson aber bereits viele Jahre in Italien, in Libyen, auf den Philippenen und vielen anderen Orten der Welt.

Mit elf Jahren kam der 1941 geborene Engländer James Hamilton-Paterson zum ersten Mal nach Österreich, mit seinen Eltern, die beide Ärzte waren, per Auto zu einem Kongress nach Klagenfurt.

Vor 20 Jahren besuchte er am Mondsee eine Freundin, die sich um Lipizzaner auf Sommerfrische kümmerte, und 2006 gab er den Makler-Auftrag für ein Haus im/um das Salzkammergut, wichtigste Vorgabe: Mindestabstand zu den Nachbarn zweihundert Meter.

Zeit für eine neue Kultur

Warum Oberösterreich, warum Timelkam, wird er immer wieder gefragt. Nach 25 Jahren in Italien wollte sich der laut Eigendefinition "Chronic Wanderer" Hamilton-Paterson wieder auf eine neue Kultur, eine neue Sprache einlassen. Das Domizil sollte, anders als seine Häuser auf philippinischen Inseln oder toskanischen Hügeln, näher an der Zivilisation, an Geschäften und Krankenhäusern sein, aber immer noch weit genug weg von den Nachbarn, um ungestört Klavier zu spielen und das eigene Leben zu leben.

Wie sein früher Kipling-Romanheld Kim, der spielerisch zwischen den Kulturen pendelte, spricht er die Sprache seines neuen Habitats, unterschreibt seine E-Mails mit "Pfiati", freut sich, wenn er beim Einkaufen Deix-Gesichter erkennt, und schätzt Zirbenschnaps ebenso wie Blunzn.

Erst leben, dann schreiben

Im Gmundner-Keramik-Kachelofen knistern die selbst gehackten Scheite. Der Literat im Exil erinnert sich an vergangene Reisen und Heimaten auf Zeit. Ein Traum in jungen Jahren lässt ihn erst vom vorgezeichneten Schriftsteller-Pfad abweichen, der bereits klassisch mit dem Literaturstudium in Oxford und dem "Newdigate Prize for poetry" begonnen hatte. Auf dem Totenbett hatte er sich gesehen, ohne sein Leben gelebt zu haben. Erst leben, dann schreiben, entschied er.

Leben bedeutete Reisen, ein Leben fern von England. 1965 geht er an eine arabische Schule nach Libyen, als vom British Council bezahlter Sprachlehrer. Er wird in Beduinenzelte in der Wüste eingeladen und beobachtet die zunehmende Radikalisierung seiner Schüler, die den stundenlangen, feurigen Radioansprachen des ägyptischen Colonel Nasser zuhören.

Am Rande von Tripolis üben amerikanische F4-Bomber-Piloten für Vietnam. Wasser und Nahrung, selbst das Brot wird für den Luftwaffen-Stützpunkt aus Deutschland eingeflogen.

Den Amazones hinauf

Auf dem deutschen Frachtschiff "Hilde Mittmann" verdient er sich 1967 bei 50 Grad Celsius im Maschinenraum seine Fahrt den Amazonas hinauf. Der Kapitän lädt ihn zum Essen an den Kapitänstisch ein, den einige ältere deutsche Mitglieder der Mannschaft umgehend wegen des Engländers verlassen.

In einem Dorf in Bolivien trinkt er mit einer Gruppe von Indios Chicha (Maisbier), ohne zu ahnen, dass sein Trinknachbar der von amerikanischen Spezialeinheiten und der bolivianischen Armee gesuchte Inti Peredo ist, die rechte Hand des kurz davor ermordeten Che Guevara. Er schreibt die Geschichte auf und wird eingeladen, für den New Statesman zu arbeiten.

Die CIA versucht, ihn als Informanten zu gewinnen, um mehr über amerikanische Peacecorps-Mitglieder zu erfahren, die sich verpflichteten, im kargen Alto Plano Boliviens zu unterrichten, um den Militärdienst in Vietnam zu umgehen, die aber dann doch das süße Leben und die Drogen Rio de Janeiros bevorzugen.

Selbstbedienungsmarkt Südostasien

1971 geht er nach Südostasien und berichtet über den Vietnamkrieg. In Kambodscha erlebt er Todesangst an Bord eines Hubschraubers, der auf einer Dschungellichtung Verletzte aufnimmt, beschossen wird und sich, mit Menschen überladen, gefährlich langsam in die sichere Höhe schraubt.

Südostasien scheint ein riesiger, vom amerikanischen Steuerzahler finanzierter Selbstbedienungsmarkt zu sein. "Wir versorgten den Vietcong" lautet eine Überschrift im "Spiegel", der 1971 Auszüge aus der im Zsolnay-Verlag erschienenen deutschen Übersetzung des Hamilton-Paterson-Buches "A Very Personal War" abdruckt. Es ist die Geschichte des Cornelius Hawkridge, der Diebstähle von US-Armeewaren und einen Devisen-Schwarzmarkt riesigen Ausmaßes aufdeckte und offizielle amerikanische Stellen vergeblich davon informierte.

Der Autor stellt mit Erstaunen in einem Leserbrief an die "London Review of Books" fest, dass eine in die Vietnam-Betrügereien involvierte amerikanische Firmengruppe im Irak-Krieg erneut auf Bewährtes setzte - den Diebstahl von Benzin, Zement und Baumaterialien.

Am Meeresgrund

1979 verkauft Hamilton sein kleines Haus in England und lässt sich auf der philippinischen Insel Marinduque nieder. An einem Stehpult vor seiner mit Palmblättern gedeckten Bambushütte schreibt er. Er lernt, mit einem selbstgemachten Speer in der Tiefe der Riffe zu fischen.

Wenn die Dorfbewohner und Patenkinder zu vereinnahmend werden, kehrt er in sein von ihm eigenhändig renoviertes, toskanisches Domizil zurück, das nur über einen unwegsamen Pfad erreichbar ist.

1995 begleitet er als Chronist eine Expedition, die im Atlantik nach zwei mit Gold beladenen, im Zweiten Weltkrieg versenkten U-Booten sucht. Mit dem Tauchboot des russischen Forschungsschiffes erreicht er als einer von ganz wenigen Menschen - drei Meilen tief - den Meeresgrund.

Einblicke in die weite Welt

In der Stille seines oberösterreichischen Hauses kann er sie deutlich hören, die Geräusche der Vergangenheit: die Kamele und Esel von Tripolis, die Aras Brasiliens, die Frösche der philippinischen Reisfelder... Die Leserin, der Leser findet Spuren seiner Reisen unter anderem im "Traum des Gerontius" (Brasilien), in den "Wasserspielen" (die Philippinen und das England seiner Kindheit), in "JayJay" und "Kochen mit Fernet-Branca" (Toskana), in "Drei Meilen tief" und "Seestücke" (Meere und Küsten).

Einblicke in die weite Welt des Autors bieten zudem Kurzgeschichten in den englischen Büchern "The View from Mount Dog" und "The Music". Er sei nicht zu Hause hier, sagt der Autor, weil er nirgends zu Hause sei. Aber er fühle sich "at ease" in seinem Haus am Rand und wolle bleiben.

Text: Helene Belndorfer und Matthias Haydn