Buße tun

Seraphica, Montefal

Diese zwei aus dem Nachlass erschienen frühen Erzählungen von Heimito von Doderer sind wie Wegweiser, die auf seine großen Romane hin zeigen - inhaltlich wie auch stilistisch. Für Freunde der Doderschen Erzählkunst sind sie eine schöne Entdeckung.

Im Leben des Heimito von Doderer gibt es zwei Momente, die man mit Kopfschütteln quittiert. Das eine meint die Fotos, die den nicht mehr ganz so jungen Schriftsteller beim "Morgensport" zeigen: Doderer, nur mit einem Lendenschurz bekleidet, übt sich im Bogenschießen. Dieses Exerzitium tat er sich auch bei kühleren Temperaturen an. Das andere Moment betrifft Doderers Nähe zum Nationalsozialismus. Im April 1933 trat er in die NSDAP ein, die allerdings im Juni in Österreich verboten wurde. Doderer blieb Mitglied und distanzierte sich erst 1937 mit einem eigenwilligen Schritt: Er trat zum katholischen Glauben über und ließ sich auf den Namen "Franciscus Seraphicus" taufen. "Seraphicus" als Beiname trägt der heilige Franz von Assisi.

Verehrung für Franz von Assisi

Beide Momente sind wichtig für die zwei Erzählungen Doderers, die nun aus dem Nachlass veröffentlicht wurden. Anfang der 1920er Jahre begann Doderer mit der Arbeit an einem Prosatext über das Leben des Franz von Assisi. Das Mittelalter hatte den Autor schon während seines Geschichtsstudiums stark angezogen. Und so verließ er sich bei seinen Recherchen weniger auf spätere Darstellungen des Heiligenmythos', sondern auf die ersten Quellen.

Der heilige Franz von Assisi wird darin weniger verklärt, sondern tritt als ein Mann der christlichen Tat auf. Er und seine Brüder pflegen die Kranken, Gebrechlichen und Aussätzigen, alles das, was sie besitzen, geben sie hin.

Das scheint Doderer besonders gut gefallen zu haben, denn öfters schildert er den heiligen Franz als einen, der an die Armen all sein Kleidungsstücke verschenkt, so dass er da steht, wie Gott ihn schuf. Bei seinem Tode, so Doderer, sei es nicht anders gewesen.

Er starb nackt auf der bloßen Erde liegend, laut singend. Dazu wird berichtet: Als sein Gesang verstummte, zwitscherten die Lerchen, seine Schwestern, heftig und plötzlich in die folgende Stille hinein.

Freisein von allem irdischen Besitz

Doderers morgendliches Exerzitium, das fast nackte Bogenschießen in der Natur, würde vielleicht einem christlichen Ordensritter gut anstehen. Ein Heiliger ist er deswegen noch lange nicht. Doderer war wahrlich auch kein solcher, aber Abhärtung, die zur völligen Bloßstellung und Auslieferung des Körpers führt, wie er es bei Franz von Assisi schilderte, war für den Autor sozusagen die äußerste Konsequenz des eigenen Bogenschießens.

Und das Freisein von allem irdischen Besitz mag Doderer manchmal wie ein Wunschtraum vorgekommen sein, weil er selbst lange Zeit vom Geld seiner wohlhabenden Familie abhing. Und vielleicht sah er auch in der Ordensgemeinschaft der Franziskaner-Minoriten ein ideales Pendant zu seiner damals glücklosen Schriftstellerexistenz: Geben ist seliger denn nehmen. Und alles Geschriebene und Gedachte ist bloß Besitz eines intellektuellen Geistes, der sich in seiner Einzigartigkeit von den anderen, von der Gemeinschaft, ablöst. So zumindest lässt Doderer seinen heiligen Franz an einer Stelle seines Textes sprechen.

Irdischer Besitz! Die irdische Last, das gehütete Bündel voll Schutt - nur ein Sinnbild für die Erkaltung des Geistes, für das gehütete Bündel voll Urteilen, Meinungen, Klugheiten, Büchern, die aus lebendigem Strome einmal wie Schlacken abzusetzen begonnen hatten, und nun, immer breiter sich entfaltend und vierteilend, das Leben erdrückten.

Immer ein Fremder

Heimito von Doderer suchte sicherlich die Gemeinschaft, fand sie zeitweise in der anti-kapitalistischen und sich aufs "Volk" berufenden Bewegung der Nationalsozialisten. Doch auch hier blieb er ein Fremder, einer, der von außen hinein sah, um nach einigen Jahren zu erkennen, dass er hierher nicht gehörte.

Noch in der Donaumonarchie war er zum Reserveoffizier ausgebildet worden, seine Familie trug den erblichen Titel "Ritter von Doderer" - alles Dinge, die nach dem Untergang des Habsburger Reiches nicht mehr viel zählten. So empfand Doderer sein Leben als das eines "chevalier errant", eines ziellos umher irrenden Ritters.

Den Drachen besiegen

Niedergeschrieben hat er das alles in der mittelalterlichen Erzählung" "Das letzte Abenteuer", die vollständig 1953 veröffentlicht wurde. Aus dem Nachlass ist nun die wesentlich kürzere Fassung publiziert, die Doderer 1922 niederschrieb. Das Grundmotiv ist dasselbe: Der spanische Bannerherr Ruy de Fanez besiegt einen Drachen, der das Herzogtum von "Montefal" in Angst und Schrecken versetzt. Nun soll die verwitwete Herzogin Ruy zum Mann nehmen. Doch der Ritter ist hin und her gerissen zwischen der Liebe zu ihr und der Freiheit seines unbeständigen Abenteuerlebens. Ruy entscheidet sich für Zweiteres, aber letztendlich weiß er weder Sinn zu finden in einer Existenz als mächtiger Herzog noch als mittelloser Ritter. Es ist, als ob nur noch die Bewegung des Reitens - ohne Rast, ohne Ziel - ihn am Leben erhält.

Maßlose Trauer stieg ihm als finstere Nacht aus der Brust und wer ihn da hätte reiten gesehen, der hätte vielleicht das Kreuz geschlagen, des Glaubens, es sei dieser der Geist eines verstorbenen Ritters, der im Grabe die Ruhe vermissend, noch immer durch die Lande zöge.

Stets präsente Frage der Schuld

Anders als in der weit ausgestalteten Erzählung "Das letzte Abenteuer" ist in der Kurzfassung, die den Titel "Montefal" trägt, das gesamte Geschehen auf den Bannerherrn Ruy de Fanez konzentriert. Daher kann man gut nachvollziehen, wie sich Heimito von Doderer in den 1920er Jahren als unbekannter Autor gefühlt haben mag. Als umherirrender Ritter fand er zur Gemeinschaft der Nationalsozialisten, die allerdings mit solchen romantischen Rittermotiven nicht viel anfangen konnten.

Anders als einige seiner Schriftstellerkollegen hat Heimito von Doderer nach 1945 öffentlich seine Verfehlung bekannt. Und wer Doderers große Romane kennt, der weiß, dass die Frage der Schuld in ihnen stets präsent ist. Ein heiliger Franz von Assisi ist deswegen weder der Autor noch einer seiner Romanhelden geworden, doch ein fernes "Buße tun" haben viele von ihnen vernommen. So sind diese zwei aus dem Nachlass erschienen frühen Erzählungen wie Wegweiser, die auf die großen Romane hin zeigen - inhaltlich wie auch stilistisch. Für Freunde der Doderschen Erzählkunst sind sie eine schöne Entdeckung.

Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 26. April 2009, 18:15 Uhr

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Buch-Tipp
Heimito von Doderer, "Seraphica, Montefal. Zwei Erzählungen aus dem Nachlass", C. H. Beck

Link
C. H. Beck - Seraphica, Montefal