Trost wohnt anderswo

Macht euch keine Sorgen

Mit Beschwichtigungen, wie der Titel sie suggeriert, hat Lydia Mischkulnig nichts im Sinn, im Gegenteil: Das Buch stiftet Unruhe. "Neun Heimsuchungen" - so der Untertitel -sind es, die die Autorin auf gut hundert Seiten versammelt.

Szenen eines Abschieds: Der Kuss am Bahnsteig, die Umarmung, die Beteuerung, wie schwer einem die Trennung falle. Und dann will der Zug nicht kommen. Er hat Verspätung. Wie unangenehm für das Paar. Denn nun gilt es, die Bühne der Liebe wieder zu verlassen und sich in einem ganz normalen Nachmittag einzurichten: Warten im Bahnhofslokal, der Blick auf die Uhr: Wieso vergeht die Zeit so langsam? Wieso weiß man nun, da das Abschiedsprogramm gelaufen ist, so wenig miteinander anzufangen? Könnte es sein, dass die Inszenierungen der Leidenschaft doch größer waren als die Gefühle selbst? Der Zug trifft endlich ein. Eine neuerliche Abschiedsszene, diesmal kühler. Die Fahrt, so scheint es, wird weiter wegführen als ursprünglich geplant.

Der scheinbar ganz normale Alltag

"Macht euch keine Sorgen" lautet der Titel von Lydia Mischkulnigs jüngstem Erzählband. Doch mit wirklichen Beschwichtigungen hat die Autorin nichts im Sinn, im Gegenteil: Das Buch stiftet Unruhe. Schon sein Untertitel legt das Programm fest, dem die Geschichten folgen: "Neun Heimsuchungen" sind es, die Lydia Mischkulnig auf gut hundert Seiten versammelt. Es gelte, die Macht der Götter bloßzustellen, liest man, weil die Welt eben doch nicht so funktioniere, wie man es uns oft genug glauben lassen möchte - eine Erkenntnis, die Mischkulnig in einer Vielzahl kleiner Szenen aus dem scheinbar ganz normalen Alltag vorführt.

Ein Kind sitzt im Wagen seiner Eltern, auf dem Sonntagsausflug von Klagenfurt ins Rosental, wo die Verwandten wohnen. Postkartenidylle mit goldroten Bäumen, der Zwiebelturm der Kirche ragt in die Schäfchenwolken. Doch das Kind lässt sich nicht täuschen. Im Mund der Tante lauern die Schlangen. Wenn die Zunge loslegt, breiten sich Dummheit und Boshaftigkeit über der Kaffeetafel aus, der Hass gegen alles Fremde ist nicht zu bremsen.

Die Slowenen seien an Unglücken aller Art schuld, ist da zu hören. Die Großmutter sitzt mit am Tisch. Sie spricht nur slowenisch, ihre Enkelin nur deutsch. Das Wüten der Tante aber verstehen beide. "Vielleicht ist das Schreiben babylonisches Wurzelziehen", erkennt das Kind Jahre später, als erwachsene Frau. Ein Wurzelziehen, "um die Postkartenstille meiner Erinnerungslandschaft zu durchdringen - und zum Ton zu gelangen, der mich ausmacht".

Aufgelesene Stolpersteine

Stolpersteine muss Mischkulnig gar nicht erst suchen, sie stellen sich ihr in den Weg. Sie liest sie auf, dreht und wendet sie, streicht über die scharfen Kanten, die sie dabei entdeckt. Viele dieser Steine finden sich dann in den Erzählungen wieder, als Heimsuchungen unterschiedlichster Art. Wie etwa folgende Marter: Schlafende Kinder, süß wie die Engel. Und ein Zimmer weiter ihre Mutter, gefangen in ihren Träumen von einem geschächteten Lamm, das Stück für Stück gebraten und verzehrt werden soll. Das Ohr, der Wimpernkranz, der Schenkel.

Und wenn das Tier nun doch nicht tot ist, wenn es nur schläft, während es mit scharfen Messerschnitten zerlegt wird? Die Mutter bäumt sich auf. Wo sind ihre Kinder? Die Gedanken laufen Sturm. Ein winziger Schritt zur falschen Seite, und das sorgfältig gespannte Sicherheitsnetz wäre umsonst. Katastrophen aller Art kommen die Treppen herunter, biegen um die Ecke, sind einfach da.

Beunruhigende Alternative

Verstörend auch die Geschichte der abgetragenen, aprikosenfarbenen Jacke, die in einer Reinigung landet. Die Tochter hat sie abgegeben, drängt auf rasche Erledigung und holt sie später auch wieder ab. Ein Fleck am Revers ist geblieben. Doch der darf nicht sein, denn die tote Mutter soll in eben dieser Jacke aufgebahrt und den Blicken der Verwandten, Freunde und Nachbarn preisgegeben werden.

Eine Brosche muss her, die den Fleck verdeckt. In einem Kistchen finden sich all jene Anstecknadeln, die Kunden an ihren Kleidungsstücken vergessen und bei der Abholung nicht mehr mitgenommen haben. Die Tochter greift hinein, wühlt ein wenig in dieser Dose mit dem wertlosem Schmuck und fischt das Hakenkreuz heraus. Groß genug für den Fleck. Eine saubere Lösung.

Sezierter Irrwitz

Bei Lydia Mischkulnig wirken solche Begebenheiten nicht arrangiert. Keine aufwändigen Inszenierungen, keine Kulissenschieberei. Doch großes Theater sind diese "Neun Heimsuchungen" dann doch: weil sie die Welt und ihren ganzen Irrwitz leichthändig, aber nachhaltig sezieren. Trost wohnt anderswo.

Macht euch keine Sorgen, wird schon nichts passieren, alles wird gut - solche Sprüche sind bei Lydia Mischkulnig reinste Ironie. Die Autorin zeigt, wie fragil unser aller Leben ist, wie unsicher der Boden unter unseren Füßen. Und auch vom Himmel ist wenig zu erwarten. Ein desillusioniertes Buch, möchte man meinen. Doch der Witz, mit dem die Autorin zugange ist, macht die Lektüre dann doch auch vergnüglich.

Der Schrecken aber bleibt. Weil nichts ist, wie es scheint, weil immer alles auf der Kippe steht. Lydia Mischkulnig schreibt nichts glatt, sie lullt den Leser nicht ein, spielt ihm keine Hoffnungen in die Hand. Ihre Prosa kommt scheinbar harmlos daher. Keine stilistischen Preziosen, keine koketten Wendungen. Das hätte sie auch nicht nötig. Mischkulnigs Erzählungen leben von der Erkenntnis, dass es Monstrositäten sind, die den scheinbar harmlosen Alltag in Gang halten.

Hör-Tipps
Von Tag zu Tag, Mittwoch, 13. Mai 2009, 14:05 Uhr

Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Lydia Mischkulnig, "Macht euch keine Sorgen. Neun Heimsuchungen", Haymon Verlag