"Struggle for Existence"
Der Malthus-Effekt
Vom Nationalökonomen Thomas Malthus hat Darwin den Begriff "Struggle for Existence" übernommen. Umgekehrt werden die Prinzipien der Evolutionstheorie immer wieder in Zusammenhang mit der Marktwirtschaft genannt. Vor allem als Kritik des Neoliberalismus.
8. April 2017, 21:58
Vom britischen Nationalökonomen Thomas Malthus hat Darwin den Begriff "Struggle for Existence" übernommen. Für Darwin war das eine der wesentlichen Anregungen dafür, die Rolle der natürlichen Auslese in der Evolution der Arten genauer zu untersuchen.
Umgekehrt werden die Prinzipien der Evolutionstheorie, speziell der "Struggle for Existence", die natürlich Auslese oder das "Survival of the Fittest" immer wieder in Zusammenhang mit marktwirtschaftlichem Geschehen genannt - aktuell zuletzt auch bei der Kritik des Neoliberalismus. Und evolutionäre Modelle spielen in der theoretischen Ökonomie spätestens seit den 1980er Jahren eine immer wichtigere Rolle.
Ein dreistufiger Prozess
Darwin selbst hat mit seiner Evolutionstheorie auf gewisse Weise eine Idee aufgegriffen, die zu seiner Zeit schon in der Luft lag. Veränderlichkeit und Weiterentwicklung wurden bereits diskutiert. Keiner vor Charles Darwin hat allerdings so beharrlich Hinweise um Hinweise für diesen Prozess in der Natur gesammelt - und keiner vor ihm hat versucht, die Gesetzmäßigkeiten dieses Prozesses zu beschreiben.
Im Grunde geht es dabei immer um einen dreistufigen Prozess. Im ersten Schritt entsteht ein neues Ding - das kann eine neue Art sein, die durch Mutation entstanden ist oder es kann ein neues Produkt sein, das erfunden worden ist. Der zweite Schritt definiert sich, laut Stefan Turner, Physiker und Wirtschaftswissenschaftler, folgendermaßen: "Das neue Ding wird in eine Umgebung hinein geboren. In dieser neuen Umgebung kann es sich jetzt behaupten, entweder es überlebt oder es stirbt aus. Wenn das Ding überlebt, dann wird der dritte Punkt relevant. Wenn das Ding überlebt, dann gestaltet oder definiert es die Randbedingung für alle Dinge, die neu und in Zukunft dazu kommen, mit. Es baut die Randbedingung für alle zukünftigen Dinge um."
Dieses Prinzip gilt für alle evolutiven Prozesse, in der Biologie oder Chemie beispielsweise ebenso wie in der Ökonomie.
"On the Principle of Populations"
Gleichgewichtsannahmen spielen eine wichtige Rolle in der ökonomischen Theorie. Das hat seinen Grund unter anderem in der Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts.
Berührungspunkte zwischen Ökonomie und Evolutionstheorie gab es aber schon viel früher. Genauer, schon bei Charles Darwin. Schon relativ früh kam der junge Naturforscher in Kontakt mit den Ideen eines berühmten fast noch Zeitgenossen: Thomas Robert Malthus. 1798 beschrieb Malthus in seinem Essay "On the Principle of Populations" den Daseinskampf zwischen den Individuen einer Bevölkerung, wenn sich diese schneller vermehrt als die Ressourcen, die sie zum Überleben braucht
Wichtige Impulse für Darwin
Dafür nahm Malthus an, dass sie die Menschheit exponentiell vermehrt: wenn jedes Paar, wie zu seiner Zeit üblich, vier Kinder hätte, und jeder dieser vier Kinder wieder vier, und so weiter, dann würde sich die Bevölkerung so schnell vermehren, dass ihr irgendwann Ressourcen wie Nahrungsmittel und Wasser ausgingen.
Es sei denn, das Bevölkerungswachstum würde gebremst - durch Krankheiten, durch Kriege oder durch eine restriktive Familienpolitik. Ab 1806 war Thomas Robert Malthus Inhaber des ersten weltweiten Lehrstuhls für politische Ökonomie. Seine Theorie war Zündstoff für die sozialpolitischen Diskussionen, vor allem in England.
Als Charles Darwin in den 1830er Jahren in London lebte, war er immer wieder Zeuge und Teilnehmer solcher Diskussionen. Schließlich gaben sie ihm auch einen wichtigen Impuls für seine eigene Theorie, wie er sich in seiner Autobiographie erinnert.
Im Oktober 1838, fünfzehn Monate nachdem ich mit meiner Untersuchung begonnen hatte, las ich zufällig zum Vergnügen Malthus' Buch über Population. Und weil ich durch meine langen Beobachtungen der Verhaltensweisen von Tieren und Pflanzen wohl darauf vorbereitet war, anzuerkennen, dass ein Kampf ums Dasein überall stattfindet, wurde mir sofort deutlich, dass unter solchen Bedingungen vorteilhafte Variationen eher erhalten bleiben und unvorteilhafte eher vernichtet werden. Das Ergebnis dieser Tendenz musste die Bildung neuer Arten sein. Jetzt hatte ich endlich eine Arbeitshypothese.
Ringen ums Überleben in der Wirtschaft
Darwin begann, die Rolle der natürlichen Auslese in der Evolution der Arten genauer zu untersuchen. Der von Thomas Malthus übernommene Begriff des "struggle for existence", des Ringes ums Überleben oder, etwas plakativer, des Kampfes ums Dasein, wurde auf das Tier- und Pflanzenreich übertragen und zu einem zentralen Thema der Darwin'schen Überlegungen.
Ein Ringen ums Überleben, tritt unvermeidlich ein in Folge des starken Verhältnisses, in welchem sich alle Organismen zu vermehren streben.
Übersetzt auf ökonomische Prozesse, könnte das, laut Physiker und Wirtschaftswissenschaftler Stefan Thurner, zum Beispiel Folgendes heißen: "Man kann Ökonomie natürlich als Abfolge von Wechselwirkungen zwischen Gütern und Dienstleistungen untereinander sehen. Die Kombination von Gütern produziert neue Güter oder die Kombination gewisser Güter mit Dienstleistungen produziert neue Güter. Oder auch das Gegenteil ist der Fall: Wenn ein neues Gut produziert wird, kann das sehr negative Auswirkungen auf ein bereits existierendes Gut haben. Wenn man das Auto erfindet, dann hat das katastrophale Auswirkung auf die Pferdekutschenindustrie, die ist ausgestorben, kollabiert, in der Krise versunken. Dafür hat etwas anderes extrem geboomt die letzten 100 Jahre: die Autoindustrie."
Die Menschen und ihr Verhalten
Stefan Thurner sucht nach einem Modell um diese Wechselwirkungen mathematisch zu fassen: ein Konzept, das erlaubt, klassische Begriffe der Evolutionstheorie, wie Fitness, natürliche Auslese oder Nischen zu berechnen. Diese Begriffe genau zu definieren - oder eben zu berechnen - ist eine der Schwierigkeiten ökonomischer Modelle.
Denn für mathematische Modelle sind natürlich auch Angaben über die handelnden Akteure in wirtschaftlichen Systemen wichtig: die Menschen und ihr Verhalten. Und diese sind sehr schwer zu bestimmen.
Hör-Tipp
Dimensionen, Dienstag, 28. April 2009, 19:05 Uhr
Alle Sendungen zu "Projekt Darwin" der kommenden und vergangenen 35 Tage finden sie in oe1.ORF.at