Zwiegespräch mit den Bewohnern

Die Kuckucke von Velika Hoca

Seit Jahren beharrt Peter Handke auf der "Unschuld Serbiens". Im Mai letzten Jahres hat er Velika Hoca besucht, eine serbische Enklave im Süden Kosovos. Im Nachdenken über das Erlebte und Gesehene hat er diese "Nachschrift" verfasst.

Seit vor über zehn Jahren Peter Handke öffentlich und in Publikationen für Serbien und ihren damaligen Präsidenten Slobodan Milosevic eingetreten ist, ist der Dialog zwischen dem Dichter und vielen Medien verstummt. Handkes Beharren auf der "Unschuld Serbiens" und das Beharren so mancher deutscher Leitmedien auf der "Alleinschuld Serbiens" hat das "Zwiegespräch" unmöglich gemacht.

Dass es gerade ein deutsches Fernsehmagazin gewesen ist, das auf schwere Ungereimtheiten beim Prozess gegen Milosevic am internationalen Gerichtshof in Den Haag hingewiesen hat, hat die Situation nicht verbessert. Peter Handke verweigert weiterhin das "Zwiegespräch" und besucht von Zeit zu Zeit trotzig serbisches Gebiet.

Nachdenken über das Gesehene

Im Mai letzten Jahres ist er nach Velika Hoca aufgebrochen, eine serbische Enklave im Süden Kosovos. Die Dorfbewohner haben schon einiges über sich ergehen lassen müssen: Zahlreiche Journalisten waren hier, um ihre Enklavereportagen zu schreiben.

Natürlich hat Peter Handkes Text "Die Kuckucke von Velika Hoca" mit solcher Berichterstattung nichts gemein. Es ist "Eine Nachschrift", wie er es nennt: Im Nachdenken über das Erlebte und Gesehene schreibt er auf, wie es gewesen ist.

Aber wie ist es gewesen? Peter Handke ist kein Journalist, sondern Schriftsteller. Was er niederschreibt, "nachschreibt", darf subjektiv gefärbt sein. Er muss keineswegs wie Journalisten um Objektivität bemüht sein. Aber sind deren Enklave-Reportagen wirklich objektiv? Etwa wenn auf die erbärmlichen Lebensbedingungen der Bewohner von Velika Hoca hingewiesen wird, jedoch diese als Resultat serbischer Kriegspolitik betrachtet werden? Waren denn die Menschen von Velika Hoca Befürworter der serbischen Kriegspolitik und der damit verbundenen ethnischen Säuberungswellen? Waren sie es gewesen?!

Beschreibung einer Stimmung

Peter Handke, der das "Zwiegespräch" mit den Medien verweigert, sucht es mit den Bewohnern von Velika Hoca. Sie laden ihn ein in ihre Häuser, erzählen bereitwillig von ihrer Armut und von den einst glücklichen Tagen, als alle hier genug zum Leben hatten. Der Pope des Dorfes war zeitweise verrückt geworden, sprach nur noch mit seinen Perlhühnern, konnte die Messe nicht mehr zelebrieren. Jetzt hat er seinen Verstand wieder gewonnen und wird zum Begleiter Handkes durch das Dorf. Und selbst der Dorfschuster bemerkt, dass der Schriftsteller nicht hierher gekommen ist, um Fotos zu schießen und um eine weitere Enklave-Reportage zu schreiben.

Und der Dorfschuster erbot sich, auch mir die Schuhe, cipele, zu reparieren. Wann ich sie abholen könnte? Im nächsten Jahr, zu Ostern, bei meinem nächsten Besuch in Velika Hoca. Und jetzt bedauere ich, ihm das Paar nicht gelassen zu haben, als eine Art Zukunftsversicherung, auch für die Enklave.

Solche Sätze findet man in keiner Reportage. Solche Sätze sind die geglückte Beschreibung einer Stimmung. Es sind geglückte Handke-Sätze, denen man sich nicht entziehen kann. Peter Handkes Pro-Serbien-Kurs muss man deswegen noch lange nicht mittragen.

Zwiegespräche mit den Leidenden

"Die Kuckucke von Velika Hoca" sind eine Nachschrift des Leids und daher eine Schrift des Mitleidens. Und Peter Handke hat vor Ort Menschen gefunden, die des Mitleidens fähig sind. Es handelt sich dabei um einen jungen Franzosen, der mit den Kindern tagelang Ball spielt, eine Israelin, die Malkurse gibt, Deutsche, die schon vor dem Jugoslawien-Krieg hier als "internationale Beobachter" tätig waren und nun nicht mehr weg wollen. "Dauergäste" nennt sie Handke. Aber auch die österreichischen und schweizerischen KFOR-Soldaten kommen außerhalb ihres Dienstes nach Velika Hoca und werden als Gäste empfangen.

Mit ihnen allen hat der Schriftsteller Handke seinen Frieden gemacht, indem er das "Zwiegesrpäch" mit ihnen suchte. So ist Handkes Buch "Die Kuckucke von Velika Hoca" ein seltsamer Text, der einerseits vom so genannten "Unrecht" spricht, das die Bewohner der serbischen Enklave zu erdulden hätten, und der andererseits poetisch genau das Leid beschreibt, das diesen Menschen widerfährt. Und wenigstens im Leid, im Mitleiden, im "Zwiegespräch" mit den Leidenden sollten alle Menschen gleich sein. Auch das will Peter Handke mit seiner "Nachschrift" sagen.

Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 3. Mai 2009, 18:15 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Buch-Tipp
Peter Handke, "Die Kuckucke von Velika Hoca. Eine Nachschrift", Suhrkamp Verlag

Link
Suhrkamp - Peter Handke