Die Veränderung eines einmal stolzen Tages

Der 1. Mai - Fest der Arbeit

In der sozialistischen Zeit genoss der 1. Mai, das Fest der Arbeit, großes Ansehen. An diesem Tag stellte man den Bürgern auf feierlichen Paraden die Erfolge der Wirtschaft, Wissenschaft und Armee vor. Alles schien, als würde es so ewig weitergehen...

Im ehemaligen Jugoslawien war der 1. Mai der vermutlich wichtigste Feiertag überhaupt. Andere Feiertage - wie etwa der Tag der Republik am 29. November - brachten schließlich gewisse Problematiken mit sich. Bestand doch die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien - wie sie sich zuletzt offiziell genannt hatte - aus verschiedenen Teilrepubliken mit verschiedenen ethnischen Gruppen, von denen manche als "gleicher" angesehen wurden, als andere - was schließlich beim Zerfall Jugoslawiens in den 1990ern blutige Folgen haben sollte.

Der internationale Tag der Arbeit

Der 1. Mai dagegen war ein internationaler Tag der Arbeiter. Sogar die kapitalistischen Länder feierten diesen Tag, wie in Jugoslawien ständig betont wurde. Rote Fahnen überall, beschönte Städte und Dörfer. Den Regimegegnern müssen diese Feierlichkeiten wohl ein Dorn im Auge gewesen sein, doch offiziell gab es sie ja gar nicht. Man hätte fast meinen können, dass das System keine Gegner hatte - saßen die meisten doch entweder im Gefängnis oder im kapitalistischen Exil und wurden vom Regime quasi totgeschwiegen. Und jene "Unzufriedenen", die unbemerkt und unbehelligt blieben, konnten sich zumindest auf einen arbeitsfreien Tag irgendwo in der Natur freuen.

Manche Kinder und Jugendliche waren übrigens ein bisschen verwirrt über die Tatsache, dass man ausgerechnet den Tag der Arbeit arbeitsfrei hatte. Gerade am Tag der Arbeit, so dachten die Jugendlichen, sollte man mit voller Freude und Elan arbeiten und arbeitend beweisen, dass man ein gutes Mitglied des sozialistischen Systems ist. Aber da ja auch schulfrei war, gingen die meisten diesem Gedanken nicht weiter nach.

Feierliche Paraden

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg fanden am 1. Mai Paraden in allen sechs jugoslawischen Teilrepubliken statt. Man wollte den stolzen Bürgen zeigen, was im vorausgegangenen Jahr alles erreicht wurde. Wie in einer mittelalterlichen Passionsprozession stellten Vertreter von Industrie und Landwirtschaft, auf Traktoren und Lastwagen fahrend, ihre Erfolge zur Schau. Den Höhepunkt stellte die Militärparade dar. Alle Truppengattungen kamen an die Reihe. Die schweren Panzerwagen donnerten durch die Innenstädte - und beschädigten dabei die Straßen und Straßenbahnschienen. Die Matrosen marschierten auf dem Festland und als Krönung flogen Kampfflugzeuge in niedrigem Flug über die begeisterte Arbeiterschaft.

In späterer Zeit war die Militärschau, zum Leid der Kinder, nur für die Hauptstadt Beograd reserviert. Den Bewohnern in anderen Städten blieb zum Trost die Fernsehübertragung. Bis zum seinen Tod 1980 war Präsident Tito, in seiner prächtigen Marschalluniform, immer bei dieser Parade anwesend.

Doch schon zehn Jahre nach Titos Tod war die Armee, deren eigentliche Aufgabe es war, das Land gegen "Feinde von außen" zu verteidigen, in blutige zwischen-ethnische Auseinandersetzungen involviert - und stand dabei klar auf einer Seite: auf jener der Serben. Jugoslawien, der "Beispielstaat des Sozialismus" zerbrach in sechs unabhängige Staaten. Und diese können jetzt - ohne die Sorge, jemanden zu beleidigen - ihre jeweiligen Nationalfeiertage begehen. Schließlich sind die jeweils anderen ethnischen Gruppen mittlerweile ausgesiedelt, getötet oder eine unbedeutende Minderheit am Rande der Gesellschaft.

Nationale gegen Internationale

Der Nationalismus hat mittlerweile den Internationalismus verdrängt und damit hat das - als kommunistisch stigmatisierte - Fest ebenfalls an Bedeutung verloren. Der 1. Mai ist noch immer ein arbeitsfreier Tag, aber die festlichen Paraden gibt es nicht mehr. Stattdessen trifft man sich heute in grünen Oasen außerhalb der Stadt oder in Parks. An manchen Orten wird die traditionelle Bohnensuppe verteilt, die - so die Geschichte - angeblich am besten aus großen Militärtöpfen schmeckt.

Die Linke

So wie einst die Gegner des sozialistischen Regimes angeblich nicht existierten, so ähnlich ergeht es heute den "Linken" in den Staaten des ehemaligen Sozialismus. Es scheint, als wären sie ausgestorben. Linke Ideologien haben einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen und wer sich als "links" outet, wird schnell als "Jugo-Nostalgiker" tituliert und das gilt als eine der schwersten Beleidigungen, ja kommt beinahe einem Vaterlandsverrat gleich. Man glaubt, sie wollten die unabhängigen Nationalstaaten wieder in die ausgedienten alten Systeme führen.

Demonstrationen und Aktionen

So werden die Hauptplätze und Hauptstraßen heute von kleineren Randgruppen für Protestaktionen genützt. In diesem Jahr, dem Jahr der Krise, ist in der kroatischen Hauptstadt Zagreb eine Demonstration angekündigt, unter dem Motto "Schnallt Euren Gürtel enger, Räuberbande!". Hinter der Aktion steht eine Bürgerinitiative, die nach eigenen Angaben fast 60.000 Unterschriften gegen Korruption und für mehr Rechtsstaat gesammelt hat.

Überhaupt ist dieser Frühling in Kroatien eine Zeit der Proteste. Seit einigen Wochen protestieren Studenten gegen die hohen Studiengebühren und haben sogar einige Universitäten blockiert. Ob sich ihre Aktionen mit den Demonstrationen der Bürgerinitiative kreuzen werden und einen gemeinsamen Nenner finden wird, ist schwer vorhersagbar, scheint aber eher unwahrscheinlich. Was sie alle verbindet, ist nur die Tatsache, dass sie mit dem Stand der Dinge unzufrieden sind.

Noch immer arbeitsfrei

Rezepte gegen die Krise, die die alten Regimes zu haben glaubten, sind weltweit ausgeblieben. Anstatt einer stolzen Schau von Arbeitsergebnissen und militärischer Kräfte ist der 1. Mai ein Tag der Proteste geworden. Der Trost dabei: Er ist noch immer arbeits- und schulfrei.