Probleme der Interpretation

Blick über den europäischen Tellerrand

Immer mehr Menschen vertrauen auf Heilmethoden aus fremden Kulturkreisen, zumindest ergänzend zu schulmedizinischen Behandlungen. Besonders beliebt ist die Traditionelle Chinesische Medizin. Der Umgang mit TCM birgt allerdings auch Schwierigkeiten.

Die Chinesische Medizin unterscheidet sich nicht nur methodisch, sondern in ihrem ganzen Wesen von der westlichen Medizin. So denkt sie nicht in naturwissenschaftlichen, sondern in naturphilosophischen, zusätzlich noch in moralphilosophischen und kosmologischen Kategorien.

Die europäische Wissenschaft - einschließlich der Medizin - basieren auf einem starren Begriffssystem. Überträgt man dieses - im Glauben, es wäre ganz einfach allgemeingültig - auf kulturell Fremdes, dann ergeben sich unweigerlich Verständnisschwierigkeiten.

Ein neuer Ansatz der Interkulturellen Philosophie

Genau hier setzt die Interkulturelle Philosophie aus Wien an: Philosophische Grundlagen anderer Kulturen dürften nicht mit der europäischen Kultur verglichen (und damit auf Ähnlichkeiten getestet), sondern müssten in ihrem eigenen kulturalen Kontext betrachtet werden.

Mithilfe einer solchen Methode der Verfremdung, die die neue Wiener Schule des sogenannten "Konstruktiven Realismus" entwickelt hat, wird nicht nach Ähnlichkeiten, sondern nach massiven Widersprüchen zur eigenen Begriffswelt gesucht. Dadurch sei man automatisch gezwungen, seinen eigenen Denkansatz umzukehren, und erst daraus könne sich eigentliches Verständnis des Fremden entwickeln, sagen die "Konstruktiven Realisten".

Klärung von Missverständnissen

Ein Beispiel aus der Traditionellen Chinesischen Medizin: Deren Begriff "Pi" wird üblicherweise mit "Milz" übersetzt. Nur wird dieses Organ in der TCM funktionell anders verstanden: es ist dort vor allem für die Verdauung zuständig - was nur dann einen Sinn ergibt, wenn man weiß, dass die "Milz" (das heißt: dass eben "Pi") im TCM-System eine Einheit mit der Bauchspeicheldrüse bildet - die ja Verdauungsenzyme in den Darm liefert.

TCM und High-Tech-Methoden

In Europa beschäftigen sich indessen auch Schulmediziner zum Teil sehr intensiv mit bestimmten Methoden der Chinesischen Medizin. Am "Forschungszentrum für TCM" in Graz zum Beispiel ist man mit der Erforschung chinesischer Arzneipflanzen und mit Akupunktur befasst - nach strikt naturwissenschaftlicher Methodik.

So konnte mittels Neuromonitoring, der Überwachung von Gehirnfunktionen, nachgewiesen werden, dass Akupunktur spezifische Effekte im Gehirn erzeugt: Veränderungen der Blutströmungsgeschwindigkeit in verschiedenen Hirngefäßen oder auch Veränderungen des Sauerstoffwechsels.

Solche Messergebnisse entkräften die häufig geäußerte Kritik, Akupunktur-Wirkungen beruhten nur auf Placebo-Effekten. Dass diese keine allzu große Rolle spielen, ergibt sich auch aus der Laser-Akupunktur: Sie ermöglicht, da schmerzfrei, Blindversuche und damit einen Wirkungsnachweis nach naturwissenschaftlichen Kriterien.

Auch bei der Akupunktur aber ergeben sich zahlreiche Unstimmigkeiten aus grundsätzlichen begrifflichen Differenzen - etwa aus der westlichen Neigung zu starrer Schematik - und konkret beispielsweise daraus, was unter einem "Meridian" zu verstehen sei.

An der Überprüfung von TCM-Methoden durch unsere Schulmedizin ist China im Übrigen sehr interessiert, weil man damit die Hoffnung verbindet, TCM insgesamt verständlich und damit im Westen anerkannt zu machen.