Die Zeit der Blaugesichter ist vorbei

Helge Hinteregger

Es sind zuerst einmal die beständig an sich und ihren Visionen arbeitenden Musikerinnen und Musiker, die die Musikentwicklung vorantreiben, so Helge Hinteregger, und davon gäbe es in diesem Land mehr, als man denkt.

Wenn er nicht gerade selber auf der Bühne steht, dann sorgt er dafür, dass andere auf der Bühne stehen können: Seit fünfzehn Jahren berät Helge Hinteregger im Rahmen seiner Tätigkeit beim mica, dem music information center austria, Musikerinnen und Musiker in rechtlichen Fragen sowie in Fragen, die den Umgang mit Veranstalterinnen, Veranstaltern und der Presse betreffen.

Weiters ist er Chefredakteur der mica-Website, auf der es dank seiner Initiative mittlerweile eine Fülle an ausführlichen Interviews mit österreichischen Musikschaffenden nachzulesen gibt und Hinteregger ist auch immer wieder als Kurator tätig, sowohl für das mica als auch darüber hinaus. Letztes Jahr zum Beispiel stellte er für das Projekt "Cafe Melange" von Gustav Deutsch und Hanna Schimek eine umfangreiche Audiothek rund um das Thema Migration zusammen.

Von Kärnten nach Wien

In seiner musikalischen Sozialisation geprägt haben Hinteregger zuerst einmal die älteren Brüder seiner Schulfreunde, durch sie lernte er an der Schwelle zur Pubertät die wildere Rockmusik kennen, wie etwa jene von Jimmy Hendrix. 1972, im Alter von vierzehn Jahren, kippte Hinteregger dann in den Jazz hinein.

Gemeinsam mit einem Schulfreund, der immer wieder einmal Verwandte in Wien besuchte, hatte der gebürtige Kärntner die Möglichkeit, mit in die Hauptstadt zu fahren, um dann dort die Plattenläden abzuklappern und sich in den einschlägigen Lokalen die Nächte um die Ohren zu schlagen.

Musiker

Nachdem er 1975 mit seiner Mutter schließlich nach Wien übersiedelt war, stand Hinteregger bald selber auf den diversen Bühnen der Stadt. Er spielte in Showbands, Folkbands, Bluesbands und eben Jazzbands.

Darüber hinaus war er bald auch organisatorisch aktiv, inspiriert nicht zuletzt durch den soziomusikalischen Diskurs im Jazz der 1970er Jahre, den der so vielseitig Interessierte und Umtriebige mit einem Studium der Soziologie untermauerte.

Netzwerker

Ende der 1980er Jahre machte sich Hinteregger mit Sasha Otto schließlich daran, ein Netzwerk an Kontakten aufzubauen, das es ihnen und Musikerinnen und Musikern aus ihrem Umfeld ermöglichte, auf Europatournee zu gehen. Das war bevor jeder Internet hatte, erzählt er, als kommunikationstechnologisch besonders gut ausgerüstet galten damals bereits jene, die ein ständig eingeschaltetes Faxgerät hatten.

"Die Recherche war irrsinnig mühsam", so Hinteregger. "Du hast dir per Post Probezeitungen bestellt, von denen du in anderen Probezeitungen gelesen hast. In diesen hast du dann nach Veranstaltungshinweisen gesucht. Und sobald du in einer der angepeilten Städte warst, bist du auch schon herumgezischt, um weitere Informationen über die Region zu bekommen. Dann musste man erst einmal herausfinden, ob man in das jeweilige Programm passte. Ein Netzwerk aufzubauen war damals auch teuer. Wir hatten jeden Monat so zwischen 1.500 und 2.500 Schilling Telefonkosten."

Am Gemeinsamen profitieren

Und dann mussten die Kontakte gehalten werden, was auch nicht immer einfach war. Da konnte es etwa passieren, dass Länder ihre Telefonvorwahlnummern umstellten, und schon fand man sich in einer Sackgasse wieder. Es galt damals, in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren aber nicht nur kommunikationstechnologische Hürden zu überwinden, nicht wenige horteten ihre Informationen lieber, anstatt sie zu teilen, erinnert sich Hinteregger zurück, so wie dies in einer wettbewerbsorientierten Gesellschaft eben üblich sei.

"Die Idee war, genau das aufzubrechen", erläutert Hinteregger. "Wenn viele Menschen gemeinsam an eine Sache herangehen anstatt jeweils alleine im Dunkeln 'herumzuruacheln', dann hat letztendlich jeder mehr davon. Aber das muss man erst einmal in die Köpfe der Leute kriegen."

Cyborg
Besonders spannend sei es zu beobachten, so Hinteregger, wie sich Musik durch das Wachsen der Musikschaffenden verändere, durch Musikschaffende, die sich beständig weiterentwickeln, und dabei aber bei sich bleiben, konsequent ihrem ganz persönlichen künstlerischen Ausdruck folgen. Sie würden letztendlich bestimmen, in welche Richtung die Kugel rollt.

Und welche Rolle spielte die massenhafte Einführung des Computers, fragen wir abschließend den scharfsinnigen Beobachter. Die Zeit der "Blaugesichter" sei jedenfalls vorbei, meint daraufhin dieser: "So nenne ich jene Musikerinnen und Musiker, die bei Konzerten hinter ihren aufgeklappten Laptops sitzen, die dann ihre Gesichter in bläuliches Licht tauchen. Die gesamte Gesellschaft tritt jetzt in eine neue Phase ein, in der sich Maschinen mit organischer Struktur mischen, in die Welt der Cyborgs. Die, die dort, an der Schnittstelle von Mensch und Maschine, heute zu arbeiten beginnen, werden jene sein, von denen man in zehn, fünfzehn Jahren sprechen wird."

Wir fragen, welche Arbeit denn hier Beispiel gebend sei und Hinteregger ist viel zu bescheiden, um sich selber zu nennen. Er ist aber der erste, der in diesem Zusammenhang einfällt. Seit einiger Zeit spielt Hinteregger bei Konzerten "throat", wie es in der Ankündigung dann immer heißt, seinen mit diversen technischen Erweiterungen zum Klingen gebrachten Rachen.

Hör-Tipp
Zeit-Ton, Donnerstag, 7. Jänner 2010, 23:03 Uhr

Links
mica
SRA - Helge Hinteregger
YouTube - Helge Hinteregger

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