Der Trieb und das Begehren

Die Abenteuer der Mieze A.

Zwischen Slapstick und surrealem Begehrensmanifest ist Vladan Matijević' Buch angesiedelt und pendelt sich ein zwischen der Banalität des Tragischen und der Tragik des Banalen in der zwischenmenschlichen, vor allem in der sexuellen Begegnung.

Ausnahmslos alle Klischees männlicher Sex-Phantasien kommen in diesem Buch vor. Warum ist es dennoch lesenswert? Die leichtfüßige Selbstironie und der Humor des Erzählers machen diesen Roman zu einer durchweg überraschend liebenswürdigen Lektüre. Die Erwartung, es handle sich um klassische erotische Literatur, legt der Titel zwar nahe, wird allerdings nicht ganz oder besser gesagt nicht ernsthaft erfüllt.

Das ist kein Nachteil des Buches, denn eigentlich sind "Die Abenteuer der Mieze A." in ihrem Kern das perfekte Material für ein romantisches Buch. Jedenfalls beginnt dieser Roman wie alle Liebesgeschichten beginnen: im Wunsch, das Begehren in etwas Poetisches, also Unvergängliches zu kanalisieren.

Dem Laster des Schreibens erlegen

Was könnte sich besser dafür als die klassische Form der Anbetung – also ein Gedicht - eignen? Das Gedicht, um das es hier geht, hat natürlich ein Mann verfasst und es Mieze, der weiblichen Hauptfigur dieses Buches, gewidmet. Und selbstverständlich heißt der Mann, wie alle serbischen Männer aus dem Volk heißen: Rade ist sein Vorname. Doch sein sendungsbewusster Nachname lautet Proust und ist so wenig ernst gemeint wie es Schnee im August geben kann.

Der 1962 in Serbien geborene Autor Vladan Matijević ist in seiner Heimat ein bekannter Lyriker und Romancier. Er sagt von sich, er lebe das Leben eines Autors aus dem Mittelalter, schreibe altmodischerweise immer zuerst mit der Hand, sei wohnhaft in einer kleinen Provinzstadt, genauer: an ihrer Peripherie. Mit 20 habe er seinen ersten Gedichtband veröffentlicht. "Ich wollte allerdings kein Schriftsteller werden", sagt er von sich und habe alles getan, um es zu vermeiden.

Er hat sein Studium abgeschlossen, ist Ingenieur geworden und hat eine Anstellung in einer Fabrik gefunden. Trotzdem war er getrieben, Schriftsteller zu werden. Mit 29 sei er endgültige dem Laster des Schreibens erlegen, diesmal der Prosa, und habe erneut veröffentlicht. Er versuche aber, so wenig wie möglich zu schreiben. Heute arbeitet der Autor in einem Museum, für das er eine Essayreihe über Malerei herausgibt. Sein unkonventioneller Umgang mit Form und Sprache lässt auf eine gewisse Kühnheit schließen. Belohnt wurde er dafür mit vielen Preisen, beispielsweise mit dem sehr angesehenen Ivo-Andrić-Preis und dem NIN-Preis, der den renommiertesten Kritikerpreis Serbiens stellt.

Humorvolle "Freudenlektion"

Zwischen Slapstick und surrealem Begehrensmanifest ist sein hier vorliegendes Buch angesiedelt und pendelt sich ein zwischen der Banalität des Tragischen und der Tragik des Banalen in der zwischenmenschlichen, vor allem in der sexuellen Begegnung. Der Trieb also und die unbezwingbare Woll-Lust sind die eigentlichen Protagonisten dieses sinnlichen und verwirrenden Romans, den man wahrscheinlich am besten an einem Sommertag in Meeresnähe lesen sollte, um sich sprichwörtlichen schnell wieder abkühlen zu können.

"Die Abenteuer der Mieze A." - im Original lautet der Titel "Freudenlektion" - ist ein sehr humorvolles, gewiss aber auch ein vergängliches Buch. Bedauerlicherweise möchte man keine einzige Zeile noch einmal nachlesen, aber es hat gerade deshalb eine ganz eigene Sogwirkung. Der stellenweise vulgär-gestelzte, aber anziehende Witz, von dem der Autor offenbar ein ganzes Vorratslager hat, sprudelt und entfaltet sich am besten, wenn man das Buch liest, ohne irgendeine Pause einzulegen.

Wie bei vielen surrealen Texten kommt diese Wirkung deshalb zustande, weil man sich als Leser der absurden Logik so am besten ausliefern und auf diese Weise von ihr am meistern profitieren kann. Ein wenig erinnert das erzählerische Tableau, die Art, wie der Autor hier aus dem Vollen schöpft, an die überbunten Filme des Spaniers Pedro Almodovár, der auch jede Möglichkeit der Übertreibung nutzt, um die grotesken Momente zwischen zwei Menschen vor allem in der erotisch-sexuellen Begegnung hervorzuheben. Andererseits wirkt der hier porträtierte Lokalpoet Rade wiederum wie eine Figur wie aus einem Film des Bosniers Emir Kusturica.

Vergebliche Liebesmüh'

Rade Proust umgarnt Mieze mit allen möglichen Witzigkeiten und Verrücktheiten. Sie hört seinen Komplimenten und Schmeicheleien gerne zu. Er darf alles, nur berühren darf er sie nicht. Also versteigt er sich auf die Poesie. Bei ihr zählt aber nur physische Kraft und von der hat der Poet Rade offenbar einfach zu wenig.

Eigentlich gibt es kaum jemanden, mit dem Mieze in diesem Buch nicht geschlafen hat, der Autor liefert in einem Kapitel sogar ein Register ihrer Bettgenossen, mit Namen und Berufsangaben. Aber der Dichter Rade Proust schafft es nicht einmal ansatzweise, dieser verwöhnten Frau mehr als eine liebe Umarmung abzuringen.

Mirko Djordjević hingegen hat ganz andere Aussichten, in den Genuss von Miezes Reizen zu kommen, sogar bei Tageslicht, auf einer Motorhaube. Der Chemiker der Milchzentrale wiederum, Stojko Cukavac, lässt für die unermüdlich lüsterne Dame ein Brahms- und Bach-Konzert spielen und in ihn verliebt sich Mieze natürlich.

Keine Rettung in Sicht

Die Humoreske überwiegt in allem, rattert durch die Sätze wie ein Zug voller Geschichten. Vor diesem Hintergrund leuchtet es ein, dass Mieze von Rade Proust nicht nur wegen seiner fehlenden Männlichkeit, sondern auch wegen seiner fehlenden Perversion enttäuscht ist. Und sie habe bisher, heißt es an einer Stelle, immer gedacht, alle Künstler seien Perverse. Deshalb wolle sie lieber keine weiteren Dichter kennen lernen.

Bezeichnenderweise kann Mieze nichts mit Entwicklungsromanen anfangen. Sie habe einfach keinen Gefallen an "Don Quijote" finden können, wird einmal gesagt. Genauso wenig mochte sie den "Wilhelm Meister". Der einzige Roman, der sie von Anfang bis zum Schluss gelesen habe, das sei "Effi Briest" gewesen - es ist die Geschichte einer Ehebrecherin mit kindlichem Wesen.

Mieze hingegen heiratet nicht einmal. Die Leere, der sie mit Frivolität und Wollust unbewusst zu entkommen sucht, hat keine dramatisch-existenzielle Ebene wie im berühmten und soeben neu verfilmten Gesellschaftsroman von Theodor Fontane. Aber auch hier bleibt die Frau allein und auf sich selbst zurückgeworfen zurück - nur kann in diesem Buch Mieze niemand retten, weil sie nicht einmal selbst es weiß, dass sie gerettet werden muss.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Vladan Matijević, "Die Abenteuer der Mieze A.", aus dem Serbischen übersetzt von Patrik Alac, SchirmerGraf Verlag

Link
SchirmerGraf - Die Abenteuer der Mieze A.