Rote Zahlen trotz Boom der sozialen Netzwerke
Reale Verluste mit virtuellen Kontakten
Auf Facebook, Myspace und Co. veröffentlichen viele Menschen ungehemmt Details aus ihrem Privatleben. Die Betreiber der sozialen Netzwerke haben also Zugriff auf viele persönliche Daten. Werden sie diese in Zukunft gewinnbringend verwerten?
8. April 2017, 21:58
Mit Freunden rund um den Globus plaudern, Bekannte von früher wiederfinden oder neue berufliche Kontakte knüpfen, Fotos und Videos austauschen, schnell zum Thema des Tages Stellung nehmen oder einfach nur nachschauen, ob die neue Flamme auch gerade im Internet surft - all das kann man mit sozialen Netzwerke im Internet. Man registriert sich, gibt sich einen Benutzernamen, erstellt ein Profil, also eine Art Steckbrief mit persönlichen Daten, dem eigenen Werdegang, Hobbies und Lieblingsbeschäftigungen und schon kann das Nachrichten verschicken, Hochladen oder Kontakte knüpfen losgehen. Dieses Netzwerken im Internet erfreut sich immer größerer Beliebtheit.
Millionen von Nutzern weltweit
Myspace und Facebook haben bereits über 200 Millionen User, auf Youtube werden pro Minute weltweit 25 Stunden Videomaterial hochgeladen, das Tagebuch-Netzwerk Twitter, über das SMS-artige, 140 Zeichen lange Einträge veröffentlicht werden können, ist in einem Jahr von 1,6 Millionen auf 32 Millionen User und Userinnen gewachsen, allein in den vergangenen drei Monaten um 280 Prozent. Für Erich Holzbauer von Knallgrau, einer österreichischen Agentur die sich auf Kampagnen in Internet-Netzwerken spezialisiert hat, liegt der Erfolg von Facebook oder Twitter daran, dass soziale Netzwerke viele Internet-Angebote miteinander verknüpft haben und so einen umfassenden zwischenmenschlichen Austausch möglich machen. Google-Österreich-Chef Karl Pall führt den Erfolg von sozialen Netzwerken im Internet darauf zurück, dass sich jeder einfach, spontan und authentisch einbringen kann. Auch über große Distanzen hinweg könne es leicht zu einem Austausch kommen, Gleichgesinnte seien rasch gefunden.
Mehr "Weak Ties"
Gerit Götzenbrucker vom Institut für Publizistik und Kommunkationswissenschaft der Universität Wien führt den Erfolg von sozialen Netzwerken auch auf ihre zunehmende soziale Funktion zurück. Man könne sich selbst einen Spiegel vorhalten, sich mit anderen Nutzern vergleichen und so das eigene Profil schärfen. Darüber hinaus biete die einfache Handhabung in Internet-Netzwerken die Möglichkeit, mehr "Weak Ties" einzugehen als bisher. Diese lockeren Beziehungen können schnell aktiviert werden und im Bedarfsfall etwa dabei helfen, einen Job zu finden.
Business-Netzwerke bieten darüber hinaus die Möglichkeit, sich beruflich ins Gespräch zu bringen, sagt Thorsten Vespermann, Sprecher der Xing AG. Xing hat mittlerweile knapp acht Millionen User und Userinnen, diese tauschen sich über neue Vertriebswege aus, bilden Interessensgruppen oder finden für offene Stellen im Netzwerk die passenden Köpfe, so Vespermann.
Freizügigkeit kann Job kosten
Neben diesen Vorteilen können soziale Netzwerke ihren Nutzern aber auch Nachteile bringen - und zwar dann, wenn sie pikante Informationen preisgeben oder peinliche Fotos oder Videos hochladen - die Palette reicht dabei von inkrimminierenden politischen Äußerungen über Angaben zu sexuellen Neigungen bis hin zu Videos von Saufgelagen. All das kann später das Leben erschweren oder gar den Arbeitsplatz kosten. Trotzdem hat Götzenbrucker bei einer Recherche mit ihren Studenten und Studentinnen auf Facebook kürzlich auf Anhieb 600 Profile mit selbstbeschädigenden Inhalten gefunden - obwohl jeder selbst entscheiden kann, wer was sehen darf, alle sozialen Netzwerke bieten dementsprechende Schutzmechanismen an.
Google-Geschäftsführer Pall führt diese Freizügigkeit darauf zurück, dass soziale Netzwerke ein neues Medium sind. Auch Internet-Experte Holzmann glaubt, dass bei den Nutzern noch das Bewusstsein fehle, dass theoretisch 6 Milliarden Menschen sehen können, was man schreibt oder hochgelädt. Für Kommunikationswissenschafterin Götzenbrucker liegt die Freizügigkeit der Nutzer auch an der Intimität der Technologie; jeder sitze alleine vor seinem Computer und denke das große Netzwerk gar nicht mit. Darüber hinaus glaubt Götzenbrucker nur bedingt an den Lernwillen der Internet-Nutzer, soziale Netzwerke sind und bleiben aus ihrer Sicht eine Spielwiese, auf der es sich zu produzieren gilt.
Big Brother is watching you?
Aber auch, wenn man sein Profil nur eingeschränkt freigibt und die Daten, Fotos oder Videos nur wenigen Freunden zugänglich macht - einer kennt alles, was man gespeichert hat: der Betreiber des sozialen Netzwerkes. Mit der Registrierung stimmt man nämlich den allgemeinen Geschäftsbedingungen zu. Diese werden zwar so gut wie nie gelesen, man überträgt damit dem Betreiber aber zumeist das Recht auf alle Inhalte, die man im Netzwerk hochlädt - und es ist davon auszugehen, dass damit früher oder später Geld gemacht wird - denn alle großen sozialen Netzwerke schreiben bisher rote Zahlen - nur die Business-Netzwerke können ein erfolgreiches Geschäftsmodell vorweisen, bei Xing etwa sind bereits fast ein Zehntel der User und Unserinnen bereit, für erweiterte Dienste monatlich zu bezahlen.
Das größte wirtschaftliche Potenzial der anderen sozialen Netzwerke liegt, laut Experten, im großen Wissen, das die Betreiber von Internet-Netzwerken über ihre User und Userinnen haben. Erich Holzbauer etwa rechnet künftig mit ganz neuen Werbeformen, die den Usern und Userinnen punktgenau jene Produkte anpreisen, für die sich interessieren. Auch Gerit Götzenbrucker geht davon aus, dass die extrem zielgruppenorientierte Werbung deutlich zunehmen wird und zwar so, dass sie die Nutzer gar nicht als Werbung wahrnehmen.
Hör-Tipp
Saldo, jeden Freitag 9:45 Uhr
Links
Facebook
Myspace
Twitter
Youtube
Xing
Google
Knallgrau - Agentur für Social Media
Institut für Publizistik der Universität Wien