Das Verhängnis zweier Menschen
Kurze Geschichte von der ewigen Liebe
Die ungarische Literatur des 20. Jahrhunderts ist ein unerschöpfliches Reservoir für Wiederentdeckungen. Einer dieser Autoren ist Szilárd Rubin, dessen Roman "Kurze Geschichte von der ewigen Liebe" in Ungarn 1963 veröffentlicht wurde.
8. April 2017, 21:58
Verwunderlich, ist dass dieser Roman in einem kommunistischen Land überhaupt erscheinen konnte, denn es fehlt ihm nicht nur jede positive Perspektive, sondern er behandelt auch einen Stoff, der eigentlich als tabu galt: die Übernahme der Herrschaft durch die kommunistische Partei und die Internierung der Ungarn-Deutschen, der sogenannten Donauschwaben.
Erstaunlich für einen Roman aus dem sehr Hauptstadt-zentrierten Ungarn: Er spielt nur zum Teil in Budapest, hauptsächlich aber im Süden des Landes, im Komitat Baranya, in den Städten Pécs, Mohács und Szekszárd. Damit beleuchtet er etwas, was man sich in vielen postkommunistischen Staaten als Romanstoff wünschen möchte: die Auswirkung der kommunistischen Machtübernahme in der Provinz, auf die Mikrokosmen einer Familie, einer Jugendclique, einer intimen Beziehung.
Ein ungleiches Paar
Das alles sickert quasi nebenbei und sehr beiläufig ein in diesen Roman, der, wie der treffende Titel sagt, eine "Kurze Geschichte von der ewigen Liebe" ist. Ewige Liebe ist hier kein rosarotes Klischee, sonder eine Drohung - das Verhängnis zweier Menschen, die einander verfallen sind und sich noch durch ihre gegenseitigen Verletzungen intensiver aneinander binden.
Sie sind ein ungleiches Paar von Anfang an: Orsolya Carletter, die ungarndeutsche Apothekertochter, und Attila Angyal, genannt Till, der hoffnungsvolle junge Dichter aus armen Verhältnissen, "ohne Herkunft und Familie, erzogen von seiner Großmutter, dem Marktweib", wie es im Roman heißt. Sein Vater war Jude, ermordet unter der nazideutschen Besatzung. Ganz am Anfang war Till vom Kommunismus begeistert, doch inzwischen ist er ernüchtert.
Dem jungen Mann, der in dieser Nacht die ausgestorbene Straße entlangging, bot sich weder in der Gegenwart noch in der Vergangenheit irgendein Halt, nichts, woran er glauben konnte, keine Feindbilder, zwischen denen sein Herz wählen konnte.
Wie "Chicken Run"
Till gilt Orsolyas Eltern als Parvenü, das lassen sie ihn ständig spüren. Und einer, der in diesen Zeiten überhaupt ein paar Gedichte publizieren konnte, ist ihnen verdächtig. In der dritten Silvesternacht mit Orsolya wird Till bewusst, dass er an der Uni als unzuverlässig gilt und langsam den Boden unter den Füßen verliert. Er weiß:
Noch fungierte die reiche Orsolya als mein Schutzengel - so sehr ich diesen Gedanken, weil er unsere Liebe beschmutzte, auch hasste.
Till sieht bis in die Träume hinein das kommende Ende dieser Liebe und ist sich auch über sein drohendes berufliches Scheitern im Klaren. Im Gespräch mit einem Freund beschreibt er sein Lebensgefühl mit dem amerikanischen Spiel "Chicken Run".
Es geht darum, vor dem heranrasenden Zug möglichst lange auf den Gleisen auszuharren.
Spirale der Verletzungen
Die Liebe zwischen Orsolya und Till wird zu einer Spirale aus Intimität und Verletzung, die sich immer schneller zu drehen beginnt. Während des Studiums in Budapest sorgt Orsolya aufopfernd für Till, doch vor ihren Freundinnen will sie sich nicht mit ihm zeigen, so abgerissen und unrasiert wie er aussieht. Da verfällt er auf eine infame Idee: Er befestigt einen Zettel am Schwarzen Brett der Uni, auf dem Folgendes geschrieben steht:
Orsolya Carletter, Studentin der Pharmakologie, hat ihrem Freund verboten, sich mit ihr zusammen an der Uni zu zeigen, weil er nicht die Mittel hat, sich elegant zu kleiden. Proletarier stinken ihr, die demokratische Universität jedoch nicht! Alle sollen erfahren, dass sie sich in ihrem bourgeoisen Hochmut für ihren Geliebten schämt!
Till versteckt sich, um Orsolyas Erniedrigung auskosten zu können. Danach schämt er sich für seine Tat, mit der er ihre Verhaftung hätte bewirken können. Weinend bittet er um Verzeihung und stößt sich die Schere in den Oberschenkel. Er will um alles in der Welt mit Orsolya vereint sein und genießt gleichzeitig seine Macht über sie.
Ruine der Liebe
Die äußeren Umstände der beiden verändern sich: Till kann den schlechten, jedoch systemkonformen Roman "Agenten der Hölle" veröffentlichen und besitzt auf einmal ziemlich viel Geld. Bald folgt auch ein Filmvertrag. Er hat das für Orsolya getan, doch sie verachtet ihn dafür und die Liebe der beiden ist längst nur mehr eine Ruine. Einmal schlafen sie wieder miteinander, und Till weiß:
Mehr als Verzückung trieb mich der Wunsch, dem Mann, der mir als Liebhaber nachfolgen würde, nichts zu hinterlassen als einen zerrissenen, abgetragenen Handschuh, den keiner mehr anziehen mochte.
Nach dem Studium geht Orsolya nach Szekszárd, Till bleibt in Budapest. Abstand, um vielleicht noch einmal neu anzufangen, ist die Devise.
Kein Ausweg
Ein Kapitel später sind Till und Orsolya in den Flitterwochen, um sich gegenseitig noch mehr zu demütigen. "Für uns gibt es keinen Ausweg. Auf der ganzen Welt nicht!", stellt Orsolya fest. Und Till muss einsehen: "Der Mensch, den ich für den Sternenglanz meiner Jugend gehalten hatte, war nichts weiter als ein Blindenhund." Orsolya hat ein Angebot: Wenn Till mit der Scheidung einverstanden ist, wird sie wieder seine Geliebte sein.
Später stöbert Till Orsolya in einem kleinen Dorf nahe Budapest auf. Orsolya will heiraten: einen Militäringenieur und aufrechten Kommunisten. Till provoziert eine dramatische Szene zu dritt, es wird ein endgültiger Abschied. Till sucht noch einmal die alten Jugendfreunde auf, sie sollen auf Orsolya einwirken, damit sie wieder zu ihm zurückkehrt. Doch dabei trifft er auf biedere Spießer.
Zwanzig Jahre später sollte er Orsolya noch von Ferne sehen: Am Flughafen als Gattin des ungarischen Militärattaches in Ulan Bator.
Plastisches Epochenpanorama
Das Ende des Romans spielt in einer Zeit, die zu seiner Entstehung noch in der Zukunft lag: 1976 besteigt Till ein Schiff in Koblenz. Auch dort stößt er auf Spuren seiner Jugend, doch jetzt ist sein Blick abgeklärt und analytisch, und so wird er ein glaubwürdiger Erzähler seiner eigenen Geschichte.
Außergewöhnlich und 46 Jahre nach seinem ersten Erscheinen ganz ohne Patina ist dieser Roman gerade durch seine glasklare und völlig unideologische Analyse, die dennoch nie in Versuchung gerät, das Liebesdrama auf irgendeine Erklärbarkeit zurechtzustutzen. Und diese "Geschichte von der ewigen Liebe" ist - auch hierin hat der Titel Recht - tatsächlich eine erstaunlich kurze, denn ihr Autor verfügt über eine ebenso unauffällige wie raffinierte Ökonomie des Erzählens: Harte Schnitte überspringen mehrere Jahre, doch einzelne Szenen werden in quälender Langsamkeit und Genauigkeit vorgeführt.
Immer wieder kommen die kleinsten Details in den Blick: Düfte, Kleidungsstücke, Interieurs, eine Uhr. Die Details, die Till quälen, machen seine Erzählung zu einem plastischen Epochenpanorama, dem man sich nicht entziehen kann. Erstaunlich, dass dieser Roman 1963 in Ungarn erscheinen konnte, kein Wunder, dass man ihn damals verschwiegen hat, doch unbegreiflich, dass es nach der Wende noch 20 Jahre gebraucht hat, ihn wiederzuentdecken.
Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
Buch-Tipp
Szilárd Rubin, "Kurze Geschichte von der ewigen Liebe", aus dem Ungarischen übersetzt von Andrea Ikker, Rowohlt Verlag
Link
Rowohlt - Kurze Geschichte von der ewigen Liebe