Immer mehr psychische Erkrankungen

Wenn Arbeit krank macht

Die Krankenstandstage in Österreichs Betrieben sind seit Jahren rückläufig. Nur die Krankenstände aufgrund psychischer Leiden sind rasant angestiegen. Ist das eine Folge der Enttabuisierung oder macht uns die Arbeit tatsächlich psychisch krank?

"Zynisch bin ich geworden, das war heftig! Es ist mir alles auf die Nerven gegangen, was die Patienten an mich herangetragen haben und ich hab schnell mal gesagt: Lassen Sie mich in Ruhe!" So kannte sich die Physiotherapeutin Veronika S. gar nicht. Und ihre Patientinnen, Patienten und auch Kolleginnen und Kollegen nicht. Im Gegenteil: Die 46-jährige Mitarbeiterin eines geriatrischen Tageszentrums war für alle stets ansprechbar und verfügbar. Immer zu geben, das werde in ihrem Beruf als selbstverständlich angesehen, sagt Frau S. Irgendwann konnte sie nichts mehr geben. Diagnose: Burnout. Fast ein Jahr lang musste sie pausieren.

Rasanter Anstieg psychischer Erkrankungen

Während die Krankenstandstage in Österreich im Allgemeinen rückläufig sind, nehmen die Fehlzeiten aufgrund psychischer Krankheiten wie Depressionen oder Burnout stark zu: von 1991 bis 2007 um 125 Prozent. Sie stellen mittlerweile bei den Männern die zweithäufigste, bei den Frauen die häufigste Ursache für Invaliditätspensionen dar.

Begriffe wie Stress und Burnout werden so inflationär verwendet, dass sie zu einer Verharmlosung der tatsächlich sehr schwerwiegenden Erschöpfungskrankheit "Burnout" führen. Der Psychiater Günther Possnigg nennt die Faktoren, die gegeben sein müssen, um von einem echten Burnout zu sprechen: "Erschöpfung, schlecht Kontakt mit Menschen aufnehmen zu können und personelle Distanziertheit bis zu Dissoziation, das heißt, jemand fühlt sich nicht mehr im Körper."

Menschen sind davon betroffen, die das für sich nie für möglich gehalten hätten. Wie zum Beispiel Manfred K., ein engagierter Mitarbeiter in führender Position eines Dienstleistungsunternehmens. Herr K. sollte Mitarbeiter umschulen, um Kündigungen zu vermeiden. Doch nach einiger Zeit änderte das Unternehmen seine Strategie und Herr K. sollte sozusagen mithelfen, die Menschen loszuwerden. "Mit diesem Auftrag konnte ich mich überhaupt nicht mehr identifzieren, und das hat letztlich auch ins Burnout geführt", sagt der Mittvierziger heute, nach einem Jahr Arbeitsunfähgkeit, Psychotherapien und einer zerbrochenen Ehe.

Personen und Arbeitsbedingungen als Risikofaktoren

Faktoren, die Erschöpfungskrankheiten fördern, gibt es viele. Und oft wirken sie zusammen. Da wären einmal die Persönlichekeitsfaktoren, sagt Barbara Haider-Novak vom Beruflichen Bildungs- und Rehabilitationszentrum BBRZ: "Oft ist es so, dass die Menschen, die an Burnout erkranken, am Anfang Mitarbeiter sind, die sich ein Arbeitgeber wünscht, weil sie engagiert sind, die Arbeit sehr wichtig nehmen und sich hineinknien." Die Gefahr sei, so Haider-Novak, wenn diese Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nicht auf ihre Ressourcen achten, ihre Belastungsgrenzen übersehen und es dann zum Zusammenbruch kommt.

Sehr häufig spielen aber auch Faktoren des Arbeitsplatzes mit: Monotone Arbeit unter Zeitdruck, wenig Erfolgserlebnisse, Personalmangel und dadurch fehlende Entlastungsmöglichkeiten, aber auch unklare Vorgaben und vor allem mangelnde Anerkennung seitens der Vorgesetzten, alles gepaart mit hohem Arbeitsdruck, können die Menschen direkt ins Burnout führen.

Burnout wird als Schwäche gesehen

Burnout entsteht nicht plötzlich, sondern in vielen Stufen. Die meisten Betroffenen reagieren erst sehr spät. Aber auch viele Führungskräfte erkennen offenbar sehr lange nicht, wie schlecht es ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen geht. Die Sozialarbeiterin Romana Endrich von der Beratungsstelle "Service Arbeit und Gesundheit" des BBRZ, vermutet einen der Gründe hierfür in der Tatsache, dass Führungskräfte oft selbst von Burnout betroffen sind, trotzdem weiterarbeiten und daher wenig Verständnis aufbringen, wenn jemand die Grenzen ziehen möchte. Und: "Viele Manager sehen Burnout leider nach wie vor als personenbezogenes Problem an, das heißt, als etwas, das mit geringer Belastungs- und Leistungsfähigkeit zu tun hat." Nur wenige Führungspersonen, so Endrich, würden auf die Verhältnisse im Betrieb schauen und wie man diese verbessern könne.

Kündigung oder Frühpension?

Viele Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen sehen daher nur die Kündigung als Weg, und viele Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen wiederum die Antragstellung auf Berufsunfähgikeits-, beziehungsweise Invaliditätspension. Doch immer seltener wird diesen Ansuchen auch stattgegeben und die Betroffenen geraten in die Falle: "Zu krank für die Arbeit, zu gesund für die Pension."

Hier setzt das "Service Arbeit und Gesundheit" des BBRZ an, das sowohl Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen als auch Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen bei der Suche nach Alternativen unterstützt. Ziel ist es, die Arbeitsfähigkeit zu erhalten und entweder durch Umgestaltung der alten Arbeitsbedingungen, oder durch Umschulungen, Ausbildungen und berufliche Rehabilitation neue, befriedigende Arbeitsverhältnisse zu schaffen.

Hör-Tipp
Journal Panorama, Donnerstag, 28. Mai 2009, 18:25 Uhr

Links
Dr. Günther Possnigg
BBRZ - Berufliches Bildungs- und Rehabilitationszentrum
Service Arbeit und Gesundheit
Rotes Kreuz - Forschungsinstitut
Wirtschaftskammer Österreich - Abteilung für Sozialpolitik und Gesundheit