Ein Schicksal in der Zwischenkriegszeit

Das Spinnennetz

Joseph Roths erster Roman, ursprünglich als Fortsetzungsroman in der "Arbeiter-Zeitung" erschienen, behandelt das Schicksal des Leutnants Lohse nach dem Ersten Weltkrieg. Die ungekürzte Lesung des Werks mit Ulrich Matthes ist nun als Hörbuch erschienen.

In der Wiener "Arbeiter-Zeitung" erschien ab dem 7. Oktober 1923 der erste Roman des damals 29-jährigen Joseph Roth. Es ist die Geschichte eines fiktiven, ebenso machtversessenen wie skrupellosen Leutnants namens Theodor Lohse, der zur Zeit der Weimarer Republik in einer rechtsradikalen Geheimorganisation Karriere macht. Titel: "Das Spinnennetz".

Joseph Roths erster Roman, der nun auch in einer ungekürzten Lesung von Ulrich Matthes als Hörbuch erschienen ist, lässt den Autor aus heutiger Sicht als nachgerade beklemmend hellsichtig erscheinen. Drei Tage nach der Veröffentlichung der letzten Folge des Vorabdrucks, am 9. November 1923, putschten Hitler und Ludendorff in München. In Buchform wurde der Roman erst postum, fast drei Jahrzehnte nach dem Tod des Autors, bei Kiepenheuer & Witsch veröffentlicht.

Zurück im Zivilleben

Leutnant Theodor Lohse, enttäuscht aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt, kann sich nicht in das Zivilleben einfügen. Im Triumphzug wollte er auf weißem Ross siegreich aus dem Kriege zurückkehren. Die Realität ist ernüchternd. Er ist eine Null und empfindet plötzlich alle Menschen, denen er begegnet, als Vorgesetzte.

Eine nahezu kindliche Verehrung verbindet ihn mit dem preußischen Prinzen Heinrich, der die Gelegenheit am Schopf ergreift und mit dem devoten Untertanen ein Schäferstündchen auf einem Eisbärenfell verbringt. Als Kompensation legt ihm der Prinz die Rutsche zu einer rechtsradikalen Geheimorganisation namens "S 2".

Eine ebenso große Verehrung hegt Lohse gegenüber dem republikfeindlichen Kriegsveteranen Ludendorff. Als Joseph Roth den Roman schrieb, wusste er noch nicht, wie knapp der Münchner Putsch bevorstand.

Bedenkliche Entwicklung

Lohse kommt mit dem aus Wien stammenden Philosophen und Publizisten Arthur Trebitsch - einer realen Figur - in Kontakt. Der überspannte Trebitsch, stets an der Schwelle zur Psychose, war Jude und paradoxerweise ein glühender Antisemit, der von Hitler geschätzt wurde. Im Dienste des Detektivs und rechtsradikalen Geheimdienstlers Klitsche wird Lohse zu einem Spion und - wie sich bald herausstellt - zu einem gefährlichen Doppelagenten. Abseits seines Sozialisten- und Judenhasses ist Machterwerb Lohses einzige Maxime.

Er ermordet seinen Chef Klitsche, in dem er ein Hindernis für die Karriere sieht. Die Bluttat wird vertuscht. Bei öffentlichen Auftritten der Rechtsradikalen übernimmt er mit seiner Schlägertruppe den sogenannten Saalschutz. Er ist auch an der blutigen Niederschlagung eines Landarbeiterprotestes beteiligt.

Theodor Loses Spinnennetz hat jedoch Schwachstellen. Eine davon ist die Zusammenarbeit mit dem geschickt operierenden Doppelspion Benjamin Lenz, einem Juden aus Lodz, mit dem er sich notgedrungen verbünden muss. Lenz versorgt nicht nur Lohse mit Meldungen, sondern auch dessen Gegner. Er weiß auch über den Mord an Klitsche Bescheid. Ihm gegenüber ist der mächtige Lohse machtlos.

Hörbücher, Montag, 1. Juni 2009, 18:15 Uhr

Hörbuch-Tipp
Joseph Roth, "Das Spinnennetz", ungekürzter Lesung mit Ulrich Matthes, 3 CDs, 227 Min., Diogenes Hörbuch