Ein bildbasiertes Internetforum

4chan

In den Industrieländern sind alle, die heute 25 oder jünger sind, als erste Generation mit dem Internet aufgewachsen. Was geschieht, wenn man diesen Internet-Natives einen Ort gibt, an dem dazu eingeladen wird, völlig anonym und ungefiltert zu kommunizieren?

4chan.org nennt sich der Ort an dem dazu eingeladen wird, völlig anonym und ungefiltert zu kommunizieren. Dieser Ort lässt tief in die Abgründe der juvenilen Seele blicken, bringt aber auch großes kreatives Potential zum Vorschein.

Während 4chan hierzulande zumindest bei Erwachsenen nahezu unbekannt ist, taucht die Seite in den USA seit etwa einem Jahr regelmäßig in den großen Medien auf. Das Time Magazin etwa hält chan.org für den wichtigsten Pop-kulturellen Hotspot des Internets.

Kulturelle Artefakte aller Art

Im Zentrum der Berichterstattung über 4chan stehen meist sogenannte "Memes". Im Internetkontext sind das kulturelle Artefakte aller Art, die wie ein guter Witz weiter getragen, variiert und immer weiter getragen werden. Eines der ältesten und bekanntesten 4chan-Memes ist etwa Rickrolling. Dabei wird ein anscheinend interessanter Links gepostet, der aber immer nur auf dasselbe Youtube-Musikvideo des 80er-Jahre-Stars Rick Astley verweist.

"Moot" nennt sich der junge Mann der 4chan als 15-jähriger gegründet hat. Christopher Poole, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, ist heute 21 und wurde gerade bei einer Onlinewahl des Time Magazins mit fast 17 Millionen Stimmen zur einflussreichsten Persönlichkeit des Jahres 2009 gewählt. Die 4chan-User haben damit wieder einmal gezeigt, was sie als sehr große und dynamische Gruppe von Internet-versierten jungen Menschen bewegen können.

Japanische Bildplattform als Vorbild

Am technischen Aufbau liegt es jedenfalls nicht, dass die Seite, und vielen andere die nach ihrem Vorbild entstanden sind, so viele Benutzer anziehen. Der entspricht dem Stand von vor über zehn Jahren. Eigentlich ist 4chan ein ganz normales Forum, mit verschiedenen Unterkategorien, wo User ständig neue Themen starten, zu denen dann jeder seinen Beitrag posten kann. Allerdings müssen neue Threads mit einem Bild gestartet werden, und alles geht auf Grund der hohen Nutzerzahlen rasend schnell.

Die Verwendung der veralteten Technik beim Start von 4chan ist auf die Vorliebe des damals 15-jährigen Christopher Poole für populäre japanische Kultur zurückzuführen. Er wollte eine englischsprachige Kopie der Bildertausch-Plattform Futaba Channel errichten.

Futaba war 2001 aus dem berühmten japanischen Mega-Forum Ni Channeru hervorgegangen, und wurde rasch zu einer riesigen Sammlung von Mangas und anderen Spielarten japanischer Grafik. Der Schatz ist aber für alle, die japanischen Text nicht lesen können, nur sehr eingeschränkt zugänglich.

Christopher Poole übernahm für sein Projekt alle wesentlichen Features von Futaba Channel. Unter anderem das Konzept des anonymen Postens, das im japanischen Kontext große Bedeutung hat. Anonymität erlaubt den japanischen Nutzern von Ni Channeru jedes Thema anzusprechen, ohne um ihre Reputation oder den guten Namen ihrer Familie fürchten zu müssen.

Keine Tabus

Im Falle 4chans - im westlichen kulturellen Kontext - bringt Anonymität oft die dunkle Seite der User zum Vorschein. Besonders augenscheinlich wird das auf 4chans /b/-Random-Board, auf dem ohne thematische Vorgaben gepostet werden darf. /b/-Random ist legendär, und verzeichnet momentan etwa 350.000 Posts pro Tag.

Tatsächlich gibt es auf /b/-Random kein Tabu, das es nicht wert wäre gebrochen zu werden, kein Thema, das nicht Anlass bieten würde, es in höchst zynischer Weise in Wort und Bild zu behandeln. Der schlechte Geschmack und der politisch unkorrekten Humor scheinen die viele jungen User nicht abzustoßen – ganz im Gegenteil. 4chan hat eine durchaus internationale Fangemeinde, auch viele europäische Staaten in denn nicht Englisch gesprochen wird sind stark vertreten.

Missverständnisse vorprogrammiert

Doch selbst auf /b/-Random gibt es klare Grenzen. Etwa die Abwehr von Kinderpornographie wird von den Administratoren sehr ernst genommen. Dabei werden sie auch von weiten Teilen der Community unterstützt.

Dennoch findet sich auf 4chan manches, was außerhalb der USA nicht unbedingt legal sein dürfte oder Anlass zu Missverständnissen bietet: Witze über Pädophilie, einschlägige japanische Comiczeichnungen, oder Handyfotos jugendlicher Ex-Freundinnen in anzüglichen Posen.

Derartige Inhalte könnten auch der Grund dafür sein, dass 4chan auf einem Entwurf für eine australische Kinderpornographie-Sperrliste aufgetaucht ist. Christopher Poole kann das Missverständnis zum Teil nachvollziehen, hält die angedrohte Sperre deswegen aber für genauso ungerechtfertigt. Die australischen Fans würden im Fall einer tatsächlichen Sperre wohl einfach auf eine der vielen Nachahmerseiten weiter ziehen.

Hör-Tipp
Matrix, Sonntag, 7. Juni 2009, 22:30 Uhr

Links
4chan
youTube - Rick Roll
Time Magazine

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