Aufwachsen mit zwei Kulturen als Bereicherung

Weiblich, emanzipiert, muslimisch

Mit fünf Jahren kam Gülmihri Aytac aus der Türkei nach Österreich. Sie ist gläubige Muslima, trägt Kopftuch, aber widerspricht den Klischees: Sie ist selbstbewusst, gebildet, engagiert sich für Frauenrechte und kann Beruf und Familie vereinbaren.

Gülmihri Aytac über ihre Patchwork-Identität

Typisch türkisch, typisch österreichisch, typisch Frau, typisch muslimisch - Gülmihri Aytac stellt Kekse und Nüsse auf den Wohnzimmertisch, serviert dazu türkischen Tee, lehnt sich gemütlich zurück auf der hellbeigen Ledercouch. Ihre Wohnung spiegelt die eigene Patchwork-Identität: Elemente türkischer Folklore stilvoll kombiniert mit modernem Design - und das ganze in einer klassischen Wiener Altbauwohnung in einem Mehrfamilienhaus aus der Gründerzeit.

Haremsdame, Opfer oder Extremistin

Mit fünf Jahren kam Gülmihri Aytac mit ihren Eltern aus der Türkei nach Österreich. Heute ist sie 40 Jahre alt, verheiratet, hat zwei Söhne mit fünf und neun Jahren und sie bildet an der Islamischen Religionspädagogischen Akademie (IRPA) muslimische Religionslehrer und Religionslehrerinnen aus. Daneben arbeitet sie noch als Schriftstellerin und Übersetzerin. Gülmihri Aytac ist gläubige Muslima, trägt ein Kopftuch und widerspricht vielen Klischeevorstellungen. Untersuchungen haben ja gezeigt, dass das mediale - und damit auch das gesellschaftlich verbreitete - Bild von muslimischen Frauen von drei Stereotypen geprägt ist: Haremsdame, Opfer und Extremistin. Frauen wie Gülmihri Aytac passen in keine dieser Schubladen: Sie ist selbstbewusst, gebildet, engagiert sich für Frauenrechte und versucht Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen.

"Ich benehme mich europäisch genug"

Für die Idee von einem "Europäischen Islam" kann sie sich nicht begeistern. "Ich wüsste gar nicht, wie der aussehen soll", meint sie. Der Islam umfasse eine Vielzahl von Geboten, Verboten, Lebensanleitungen, ethischen Richtlinien, die einfach überall gültig seien. "Das ist auch eine der Stärken für mich in dieser Religion", meint Aytac. Zeit und Ort müssten bei der Umsetzung dieser Gebote ohnehin immer berücksichtigt werden.

Seit 1400 Jahren gäbe es den Islam und nie hätte er Beinamen wie "gemäßigter Islam", "politischer Islam" oder "europäischer Islam" nötig gehabt. Aytac sieht in den Forderungen nach einem europäischen Islam eher eine Form von Kontrolle: "Ich glaube, das ist für jeden Menschen unangenehm, wenn er das Gefühl hat, ich soll jetzt gezähmt oder kontrolliert werden." Sie sieht darin auch keine Notwendigkeit: "Ich denke, ich benehme mich europäisch genug in diesem Umfeld, so dass ich mich wohl fühle und die Menschen sich mit mir wohl fühlen und das ist für mich auch ein Gebot meiner Religion und eine andere Kategorisierung ist da nur hinderlich."

Eingeredetes Problem

Das Aufwachsen mit zwei Kulturen hat Gülmihri Aytac weniger als Problem, sondern vor allem als Bereicherung erfahren. Daraus könne auch Stärke erwachsen, ein Mehr an Wissen und Einfühlungsvermögen in andere. Aytac hat aber auch die Erfahrung gemacht, dass diese Eigenschaften und Fähigkeiten nur wenig gewürdigt werden. Die Probleme würden oft von außen hineininterpretiert, meint die gebürtige Türkin: "Es war immer die Rede von der zweiten Generation, die zwischen zwei Stühlen sitzt, sich nicht zwischen den Kulturen entscheiden kann oder keine dieser Kulturen kennt. Da hat man jungen Menschen Probleme angehängt, die sie so oft gar nicht wahrgenommen hätten, wenn man ihnen das nicht eingeredet hätte."

Kulturelles Patchwork

Seit ihrer Kindheit hätte sie erlebt, dass türkische und österreichische Kultur in ihrem Alltag verschmolzen seien, erzählt Gülmihri Aytac. Sie empfinde es als Bereicherung, verschiedene kulturelle Prägungen in ihrem Leben erfahren zu haben: "Für mich ist es ein Reichtum, eine Vielfalt. Ich möchte mich nicht entscheiden, noch dazu in einer so schnellen Zeit, in dem man via Fernsehen jede Menge verschiedener Kulturen mitbekommt, man mit Menschen aus der ganzen Welt zusammenkommt und von jedem ein bisschen etwas aufschnappt, das einem gefällt, um sich daraus die eigene Kultur zu bauen. Das ist für mich eine Bereicherung und das möchte ich meinen Kindern auch so mitgeben."

Hör-Tipp
Tao, Donnerstag, 11. Juni 2009, 19:05 Uhr