Eine galizische Biografie

Die vier Leben des Adam Zielinski

Der Autor Adam Zielinski feiert am Montag seinen 80. Geburtstag. Seine Lebensgeschichte ist dramatisch und bewegend. In Galizien geboren, verlor im Krieg beide Eltern. Seit 1957 lebt er in Österreich. Am Sonntag wird Adam Zielinski im Alten Rathaus in Wien geehrt.

Adam Zielinskis über die Schatten der Vergangenheit

In einer Dachterrassenwohnung in Döbling, im 19. Wiener Gemeindebezirk, sind die Arbeitsräume des Schriftstellers Adam Zielinski. Schriftsteller ist er erst seit seinem 60. Lebensjahr. Davor war er Arbeiter, Rundfunkredakteur und vor allem ein erfolgreicher Unternehmer. Wenn man ihm zuhört, hat man das Gefühl, einem Menschen mit vier Leben gegenüberzusitzen.

Am 22. Juni 1929 im galizischen Städtchen Drohobycz, südlich von Lemberg, geboren ist Adam Zielinski stolz darauf, dass er aus der Landschaft der großen Schriftsteller Joseph Roth, Manes Sperber und Bruno Schulz stammt.

Die jüdische Kultur Galiziens ist dem Schriftsteller wichtig und in lebhafter Erinnerung, aber wirklich verwurzelt war er nicht in ihr. Sein eigenes Judentum ist ihm erst dann wirklich zu Bewusstsein gekommen, als es lebensbedrohend war, Jude zu sein.

"Der Ort, an dem man geboren wird, determiniert, stigmatisiert sogar nachdrücklich Sprache, Tradition, Lebensart, das Denken, Reagieren, den Glauben. Kurzum: alles!" Mit diesen Sätzen beginnt Adam Zielinskis Roman "Die Rückkehr", in dem er das wechselvolle Schicksal der galizischen Familie Baltycki durch ein halbes Jahrhundert verfolgt. Auch für Zielinski selbst ist Galizien mehr als eine geografische Bezeichnung - es ist eine Lebensform, der er sich verbunden fühlt. Von ihr will er etwas retten - in seiner Literatur und in seinem eigenen Leben.

Am 1. September 1941 wurde die Idylle jäh unterbrochen; Adam Zielinskis Kindheit war zu Ende. Als Zwölfjähriger musste er mit eigenen Augen mit ansehen, wie sein Vater von den nationalsozialistischen Besatzern verhaftet wurde. Die Elite des kleinen Städtchens Stryj, in dem die Familie damals lebte, wurde nur zehn Tage nach der Okkupation durch Hitler-Deutschland exekutiert, um revolutionäre Tendenzen im Keim zu ersticken. Die Erinnerung daran, wie sein Vater, der Rechtsanwalt und ehemalige K.u.k-Offizier von der Gestapo vor seiner Ermordung misshandelt wurde, kann Adam Zielinski bis heute nicht vergessen. Von den 19.000 jüdischen Bewohnern, die das kleine Städtchen Stryj damals hatte, haben nur 21 überlebt.

Adam Zielinski sollte bald darauf auch seine Mutter verlieren. Ihre Familie war in der Nähe von Ternopol, als Hitler der Sowjetunion den Krieg erklärte und die Wehrmacht auch den Ostteil Polens besetzte. Die ganze Familie der Mutter wurde grausam ermordet. Mit 13 Jahren war er Vollweise, ganz auf sich allein gestellt und selbst nur knapp und durch Zufall dem Lagertod entkommen.

60 Jahre danach ist Adam Zielinski spürbar bewegt, wenn er erzählt, was er damals erlebt und wie er überlebt hat. Seine Trauer gilt den Eltern und der Familie, aber auch einer Kultur und Lebensform. In der galizischen Provinz konnte man durchaus Weltbürger sein. Von Russland bis Wien reichten die kulturellen Einflüsse, Opern und Operetten gehörten ebenso zu seiner Kindheit wie Tschaikowski, und dass man neben der polnischen Literatur zumindest auch die russische las, war selbstverständlich. Mit der Okkupation durch Nazi-Deutschland war diese Welt in wenigen Stunden vernichtet. Zielinski bedauert nach wie vor die Vernichtung dieses Klein-Europa, wie er es nennt, in dem gezeigt worden ist, wie mehrere Kulturen und Religionen friedlich miteinander leben können. "Schade, dass das nicht mehr der Fall ist."

Wenn sich Adam Zielinski erinnert, klingt wohl vieles heute einfacher, als es damals war. Überleben ist schwer genug, aber mit seinen Erlebnissen weiterleben zu können, ist ein noch längerer und schwierigerer Prozess. Vor allem eines verwundert: Aus Adam Zielinski sprechen weder Rache noch Hass.

Das zweite Leben nach dem Krieg
1945, als der zweite Weltkrieg zu Ende war, begann für Adam Zielinski in Krakau das zweite Leben. An der Universität Krakau hat Adam Zielinski in den Jahren 1947 bis 1954 Sozialwissenschaften und Journalistik studiert. Danach hat er noch in Warschau ein Publizistik-Studium abgeschlossen - mit einer Diplomarbeit über Indien. Sie war der Anfang seines Interesses für Asien.

Bereits ab 1952 arbeitete Zielinski beim polnischen Rundfunk in Krakau. Im so genannten "polnischen Herbst" von 1956 schien zunächst eine gewisse politische Liberalisierung des kommunistischen Systems möglich. Zielinski wurde vom Rundfunk die Möglichkeit angeboten, entweder nach Moskau oder nach Paris zu gehen.

Er hat sich für Moskau entschieden, um das Paradies der Arbeiter und Bauern zu studieren, wie er sagt, doch schon kurz nach seiner Ankunft war ihm klar, dass er emigrieren wolle. Adam Zielinski und seine Frau nutzten das historische Fenster und reisten 1957 nach Österreich aus.

In Österreich fühlte er sich schnell von verschiedenen Milieus akzeptiert. Auch seine Frau Sophie konnte Fuß fasten - sie hat im Jahr 1960 das Lektorat für die polnische Sprache an der Universität Wien mitbegründet. Gerne erinnert sich Adam Zielinski an viele Gespräche mit Studenten und Interessierten im Familienkreis.

Anders war es im unbekannten Milieu. Wenn man seinen Akzent hörte, kam schnell die Frage, woher er denn stamme und was er hier mache. Fremdenhass und Antisemitismus in Östereich - auch das ist eines der literarischen Themen von Adam Zielinski; es prägt seine Romane "Fluchtpunkt" und "Abgründe tun sich auf".

Das dritte Leben als Unternehmer
Unmittelbar nach seiner Emigration nach Österreich hat er sich in einer Wiener Firma vom Arbeiter über den Posten des Finanzreferenten bis zum Vorstandsmitglied hochgearbeitet. Sein Ziel war jedoch die Selbständigkeit. Dass er sie erreichen konnte, hängt auch mit Zufällen und Fügungen zusammen.

Der indische Botschafter in Wien, mit dem Adam Zielinski über seine Warschauer Diplomarbeit diskutierte, brachte ihn mit einem chinesischen Diplomaten zusammen. Aus den Gesprächen entstand eine Einladung in die Stadt Kanton - es war die erste von 138 Reisen nach China. Damals gab es noch kaum Handelsbeziehungen zwischen Österreich und China, und Zielinski erkannte mit großem Spürsinn die Chance, die sich ihm bot.

1961 gründete er sein Unternehmen "Compensa", das seine Umsätze hauptsächlich mit Ostasien, vor allem mit China machte. Auch dieses Land hat literarische Spuren im Werk Zielinskis hinterlassen: im Buch "Am Lowarei-Pass und andere Reisen".

Durch den Ostasienhandel entstanden auch enge Kontakte mit Jugoslawien, die sich sogar in einem Roman niederschlugen: "Im freien Fall" thematisiert das Ende Jugoslawiens. Wann Adam Zielinski bei all dem noch Zeit fand, 1982 in den USA ein Doktoratsstudium der Politologie mit einer Dissertation über die Entwicklung Chinas abzuschließen, wird wohl sein Geheimnis bleiben.

Das vierte Leben als Schriftsteller
28 Jahre führte Zielinski seine Firma erfolgreich, im Jahr 1989 - er war damals 60 Jahre alt - hat er sie geschlossen. Noch einmal fing er neu an: sein viertes Leben als Schriftsteller. Er spürte die Berufung, von einer Welt zu erzählen, die nicht mehr existiert.

1989, als der Eiserne Vorhang in Europa fiel, war kein schlechtes Jahr, damit zu beginnen. Da war auch Galizien wieder interessant, nicht nur in Österreich. Er hätte vielleicht nicht weiter geschrieben, wenn er nicht Erfolg gehabt hätte, bekennt Adam Zielinski. Die Krönung dieses Erfolges, von dem etliche Literaturpreise zeugen, ist die zehnbändige Werkausgabe, die 2004 im Wieser Verlag erschienen ist.

Wenn Adam Zielinski an die Zukunft denkt, hat er vor allem das neue Europa im Kopf, das zu einander findet. In der Kultur geht ihm das nicht schnell genug. Er wünscht sich einen großen europäischen Literaturpreis und eine Edition der zentralen Werke europäischer Literatur in allen, auch in den kleinen Sprachen. Dass die alte Teilung Europas noch immer in vielen köpfen spukt, kann er nicht verstehen.

Hör-Tipp
Menschenbilder, Sonntag, 21. Juni 2009, 14:05 Uhr

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Adam Zielinski