Spannendes Gastspiel der Stuttgarter Oper

Legendärer "Parsifal"

Vor kurzem ist zum ersten Mal der Mitschnitt eines Gastspieles der Stuttgarter Oper in Paris erschienen. Dieser "Parsifal" vom März 1954 ist ein eindrucksvolles Dokument mit einigen der führenden Wagner-Sänger der 1950er und 60er Jahre.

Martha Mödl als Kundry

Insgesamt zeigt diese Produktion, wie ausgeglichen Wagner damals besetzt werden konnte - und das mit den hauseigenen Kräften eines Theaters. Heute müssten für ein vergleichbares Ergebnis Solisten aus vielen Ländern zusammengebracht werden, ohne dass eine vergleichbare Qualität garantiert wäre.
(Christoph Vratz, Opernwelt)


Frankreich und Richard Wagner: ein spannendes Stück Musik-, besser gesagt Kulturgeschichte. Schließlich hat Wagner außer in seiner Heimat kaum in einem anderen europäischen Land mehr Staub aufgewirbelt als eben in Frankreich, wo die Menschen geradezu süchtig, ja fast verrückt wurden nach seiner Musik.

Wagners Affinität zu Frankreich

"In diesem Werk steckt genug Musik für ein ganzes Jahrhundert" soll der Komponist Emmanuel Chabrier einmal verzweifelt nach einer Tristan-Aufführung ausgerufen haben: "Der Mann hat uns nichts mehr zu tun übrig gelassen!"

Und auch Wagner selbst hatte eine große Affinität zu Frankreich: Nicht weniger als zehn kürzere und längere, bis zu dreijährige Aufenthalte verbrachte er zwischen 1839 und 1867 in Frankreich - schließlich wollte er in Paris ja Karriere machen, das zu dieser Zeit als Dreh- und Angelpunkt der gesamten musikalischen Welt gegolten hat.

Tannhäuser-Skandal 1861

Kurioserweise war es ausgerechnet der berüchtigte "Tannhäuser-Skandal" von 1861, der als Geburtsstunde des sogenannten "Wagnérisme" gilt. Zwar blieb Wagner bei vielen seiner französischen Komponisten-Kollegen weiter ein Reibebaum, doch Dichter wie Baudelaire, Verlaine oder Mallarmé sahen in Wagners Werken den Anbruch einer neuen Ästhetik und betrachteten ihn selbst als den einzigen Meister einer neuen Kunst.

1885 erschien in Paris gar eine eigene literarische Zeitschrift, die "Revue Wagnérienne", über die der spätere Nobel-Preisträger Romain Rolland folgendes geschrieben hat: "Mit einem Wort, es war das ganze Weltall, das durch die Gedanken von Bayreuth gesehen und beurteilt wurde. Wenn dieser Wagner-Wahnsinn auch nur eine Dauer von drei oder vier Jahren wie diese kleine Revue hatte, so hat Wagners Geist fast die gesamte französische Kunst zehn bis fünfzehn Jahre lang beherrscht."

Stuttgart als "Winter-Bayreuth"

Dennoch hat eine gewisse Wagner-Euphorie auch noch im Frankreich des 20. Jahrhunderts geherrscht, und selbst politisch heikle Gastspiele nach den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges wurden zum Großteil mit Begeisterung aufgenommen. So gastierte etwa die Württembergische Staatsoper Stuttgart bereits 1952 mit "Tristan und Isolde", und kam im März 1954 neuerlich nach Paris, diesmal mit "Parsifal".

GMD Ferdinand Leitner stand dabei am Pult, leitete das hauseigene, zum Großteil weltberühmte Solistenensemble und den Chor, nur das Orchester wurde von den Gastgebern beigestellt: das "Orchestre de l'Operá de Paris". Martha Mödl und Wolfgang Windgassen waren bei diesem Gastspiel Kundry und Parsifal, Gustav Neidlinger, der legendäre Bayreuther Alberich, gestaltete den Amfortas und der Bassist Otto von Rohr, ebenfalls ein hochrangiger Vertreter des Stuttgarter Ensembles, bot eine nicht minder eindrucksvolle Leistung als Gurnemanz. Kein Wunder, dass Stuttgart zu dieser Zeit das Ehrenprädikat "Winter-Bayreuth" für sich in Anspruch nehmen konnte.

Interessantes Tondokument

Ein Mitschnitt dieses denkwürdigen Gastspieles ist nun bei der "Edition Günter Hänssler" erstmals auf CD erschienen, in durchaus hörenswerter Klangqualität, lediglich das Booklet scheint etwas spärlich und beschränkt sich mehr oder weniger auf eine Werkeinführung und kurze Biographien der Protagonisten.

Über die näheren Umstände dieses Gastspieles, über die plötzliche Herkunft der Bänder und zeitgenössische Kritiken ist leider nichts zu erfahren.

Bühnenphänomen Martha Mödl

Martha Mödl (Kundry) gilt neben Wolfgang Windgassen natürlich das hauptsächliche Interesse an dieser neuen Publikation, gehörte sie doch zu den zentralen Künstlerpersönlichkeiten dieser Zeit - und weit darüber hinaus. Ihre aktive Laufbahn hat nicht weniger als sagenhafte 59 Jahre gedauert und das trotz der Tatsache, dass sie eigentlich als Spätberufene gelten muss.

Zunächst hat sie nämlich als Bürokraft gearbeitet und sich erst sehr spät zu einer -im übrigen äußerst kurzen - Gesangsausbildung entschieden. Debütiert hat sie mitten während des Krieges, und da war sie schon 30. Dafür ist sie dann noch in ihrem Todesjahr auf der Bühne gestanden, als Gräfin in "Pique Dame", im Jahr 2001, wo sie also bereits 89 Jahre alt war.

Pragmatiker Windgassen

Wolfgang Windgassen, einer ihrer häufigsten Bühnenpartner, sang bei diesem Gastspiel die Titelpartie, ein Tenor, der im Gegensatz zur Mödl aus einer berühmten Künstlerfamilie stammte, und in den sie eine Zeitlang auch sehr verliebt war, wie sie in ihren Erinnerungen gesteht.

"Er war ein phantastischer Sänger und Kollege", erzählt sie in ihren von Thomas Voigt aufgezeichneten Erinnerungen, dennoch "beim Singen waren wir nicht auf einer Linie - er nicht auf meiner, ich nicht auf seiner. Da hatte niemand schuld, das war wie bei den Königskindern, die nicht zusammenfinden." Und die Mödl – als Künstlerin stets eine Art Gesamtkunstwerk - erläutert die Gegensätze zwischen ihr und Windgassen an Hand eines gemeinsamen Auftretens an der MET, deren Wagner-Inszenierungen sie als einen "einzigen Witz" bezeichnet: "Das fing schon bei den Kostümen und Perücken an. Ich hatte zum Glück meine Sachen dabei, aber der Windgassen hat alles angezogen, was man ihm hingelegt hat. Wie ich ihn zum ersten Mal als Jung-Siegfried gesehen hab, hab ich einen Lachanfall bekommen. Er war doch nun wirklich ein stattliches Mannsbild, aber mit der blondgelockten Perücke und dem Fell hat er ausgeschaut wie ein Marzipanschwein!"

Traumpaar-Mythos

So unterschiedlich kann es also auch bei vermeintlichen "Traumpaaren" der Oper zugehen, zu denen die Mödl und Windgassen in den 1950er Jahren zweifellos gezählt haben. Zum Glück spiegeln das die akustischen Dokumente nicht wider, der gegenständliche "Parsifal" aus Paris kann daher als willkommene Bereicherung der (stattlichen) Diskographie dieses Werkes angesehen werden.

Hör-Tipp
Apropos Oper, Dienstag, 30. Juni 2009, 15:06 Uhr

CD-Tipp
Richard Wagner, "Parsifal", Ferdinand Leitner (Dirigent), Chor der Württ. Staatsoper Stuttgart, Orchestre de l'Opera Paris, Profil, PH 09009