Reportagen des Autors und Journalisten Joseph Roth
Abreise und Ankunft
"Das bin ich wirklich: böse, besoffen, aber gescheit", schreibt Joseph Roth unter eine Zeichnung aus dem Jahr 1938, die ihn hinter einer Flasche zeigt. Eine Ö1 Sommerserie stellt die Reportagen des "bösen", aber "gescheiten" Autors Joseph Roth vor.
8. April 2017, 21:58
"Aber das Leben marschiert weiter und nimmt uns mit", schreibt Joseph Roth in einem Brief im April 1938 aus dem Pariser Exil an seinen Verlag De Gemeenschap, um diesem mitzuteilen, dass er eine neue Pariser Hoteladresse hat. Er war mit seinem Freund Soma Morgenstern vom Hotel Florida ins Hotel de la Poste gezogen, um hier zu schreiben, zu trinken und Gäste zu empfangen. Es ist seine letzte Anschrift in Paris, vom Hotel aus wird er, nachdem er am 23. Mai 1939 vom Selbstmord des deutschen Schriftstellers Ernst Toller erfahren hat, ins Krankenhaus gebracht, in dem er vier Tage später, nicht einmal 45 Jahre alt geworden, elendig stirbt.
Immer Position bezogen
In der aktuellen Roth-Biografie beschreibt Wilhelm von Sternburg die unterschiedlichen Versionen der Zeitzeugen über das Sterben von Joseph Roth: Die Varianten reichen von falscher Behandlung bis zu vielen Besuchern und Verehrern, die ins Krankenhaus kommen, doch keiner scheint für Joseph Roth interveniert zu haben, der nach Alkohol schreit und an das Bett gefesselt wird.
Was wohl Joseph Roth an der Stelle seiner Freunde getan hätte? Vermutlich hätte er für den anderen protestiert, Position bezogen, so wie er es immer getan hat. In den Hotels wurde das Lesezimmer zu seinem Schreibzimmer, er schrieb immer öffentlich, konnte auch, von an seinem Tisch sitzenden Freunden und Bekannten umgeben, schreiben. Und er hat den Flüchtlingen, die zu ihm ins Hotel kamen, wenn es ging, geholfen.
Jedem Menschen seine eigene Geschichte
Wenn man Joseph Roths Reportagen und Feuilletons liest, dann verändert sich des Lesers Blick auf das Alltägliche. Roths journalistische Texte lassen erkennen, dass jede Person allein oder im Umgang mit anderen eine eigene Geschichte erzählt, die sich auch in der Art des Gehens und Redens und Handelns offenbart. Kleinigkeiten fallen dann dem Leser beim Spaziergang auf: Die Frau mit den drei kleinen Kindern, die wortlos, einander an den Händen haltend in den Park gehen. Es sind nicht ihre Kinder, sondern offenbar ist die Frau Tagesmutter, und die Kinder folgen stumm einem täglichen Ritual.
Joseph Roth, der 1925 zum ersten Mal von der "Frankfurter Zeitung" nach Paris geschickt wird, ist begeistert von der Stadt und bereist die "weißen Städte" wie Lyon, Nimes, Marseille und Nizza. Seine Reisen führen ihn nach Russland, in deutsche Städte und durch Galizien, nach Albanien und nach Polen. Von überall schickt er seine Beobachtungen und Reportagen an die Redaktionen.
Berichte über Elend und Not
Joseph Roth, am 2. September 1894 in Brody, Galizien, geboren, wird von seiner Mutter allein großgezogen, den Vater Nachum, der von einer Geschäftsreise nicht mehr zurückkehrt und am Hof eines Wunderrabbis stirbt, lernt er nie kennen.
Seine journalistische Arbeit beginnt er 1916 als Freiwilliger im Ersten Weltkrieg. Nach dem Krieg arbeitet er in Wien für die neu gegründete Tageszeitung "Der Neue Tag". Er berichtet über das Elend und die Not der Menschen, porträtiert die Obdachlosen, Kriegsheimkehrer und Offiziere, deren Welt aus den Fugen geraten ist. 1920 geht Roth nach Berlin und arbeitet für Berliner Zeitschriften und Zeitungen.
Ab 1933 im Pariser Exil, schreibt er verzweifelt gegen den Nationalsozialismus und den unheilvollen Gang der Zeit an: "Die Tinte ist ebenso vergeblich vergossen wie das Blut. Finden wir uns damit ab, dass die Welt, für die wir einmal zu schreiben gedacht hatten, taub und stupide geworden ist und dass wir nur noch wenig mehr, vielleicht gar nichts in ihr zu suchen haben", schreibt Joseph Roth - vermutlich im Jahr 1938 - in einem Manuskript.
Mehr zu Joseph Roth in oe1.ORF.at
Joseph Roth und sein Rittmeister Baron Taittinger
Schriftsteller im Hotel
Hör-Tipp
Joseph Roth als Journalist, Reiseberichte und Reportagen, Sonntag, ab 5. Juli 2009, 9:30 Uhr
Buch-Tipp
Wilhelm von Sternburg, "Joseph Roth - Eine Biographie", Verlag Kiepenheuer & Witsch
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CD-Tipp
Joseph Roth, "Reportagen & Feuilletons", gelesen von Elisabeth Orth und Cornelius Obonya, erhältlich im Ö1 Shop,
Ö1 Club-Mitglieder erhalten zehn Prozent Ermäßigung.
Hörbuch-Tipp
Joseph Roth, "Das Spinnennetz", ungekürzter Lesung mit Ulrich Matthes, 3 CDs, 227 Min., Diogenes Hörbuch
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