Gesellschaftskritische Kunst

Ronen Eidelman

Der israelische Künstler Ronen Eidelman liebt es, in gesellschaftlichen Wunden aller Art zu wühlen, Kollisionen sind dabei nicht ausgeschlossen: In seinen Kunstprojekten erinnert er an die Vertreibung der israelischen Araber.

In der Ausstellung "Overlapping Voices", die voriges Jahr im Essl Museum in Klosterneuburg zu sehen war, präsentierte Eidelman sein Projekt "Die Geister von Manshia". Manshia war ein arabisches Stadtviertel in Tel Aviv, nach dem Unabhängigkeitskrieg von 1948 flüchteten seine Einwohner und Einwohnerinnen beziehungsweise wurden sie von dort vertrieben, die Häuser wurden abgerissen.

Manshia liegt quasi vor Ronen Eidelmans Haustür, und diese räumliche Nähe war der Anlass für ihn, sich mit der Geschichte des Viertels zu beschäftigen. Die arabische Vergangenheit ist im allgemeinen Bewusstsein von Israels Metropole heute kaum mehr präsent, und so versuchte Eidelman, die Geister von Manshia nicht zu erwecken, nicht auszugraben, sondern in Erinnerung zu rufen.

Umrisse wie nach einem Mord

Die Idee dazu kam ihm auf dem Fußballplatz, als er zuschaute, wie mit einem Markierungsgerät die weißen Linien gezogen wurden. Er nahm so ein Gerät und zeichnete damit im Tel Aviver Charles Clore Park den Grundriss von Manshia aus der Zeit vor 1948 nach: die Gassen, die Umrisse der Häuser, die Straßennamen.

"So konnte man sehen, was früher da war, aber dennoch weiter Fußball spielen oder picknicken", erklärt Eidelan. "Die weiße Linie hat auch noch andere Bedeutung: Genauso wird von der Polizei die Lage eines Mordopfers gekennzeichnet. Schließlich ist hier auch ein Mord passiert: an einem Stadtviertel, an einer Kultur, an einer Gemeinschaft."

An Vertriebene erinnern

Das Projekt war geeignet, mehrfach zu provozieren: durch die Erinnerung an die Naqba, an die Vertreibung der Araber bei der israelischen Staatsgründung, und durch die Analogie zu den Spurensuch-Projekten in deutschen und österreichischen Städten, wo an andere Vertriebene erinnert wird: an die jüdischen Bewohner und Bewohnerinnen, von denen viele, sofern ihnen die Flucht glückte, sich in Israel niederließen, auch in der Nähe von Manshia.

Ist das für ihn jetzt vergleichbar: die Flucht der Juden vor der Shoah, und die der palästinensischen Araber von 1948? Eidelman, der als Verräter beschimpft und beschuldigt wurde, den Feinden Israels zu nützen, will das nicht bewerten, sondern Fragen stellen und die dunklen Seiten beleuchten, sagt er.

Die weißen Kreidestriche auf dem Asphalt von Manshia waren ein temporäres Projekt. Sie verblassten langsam, und als der erste Regen kam, da verschwanden sie vollständig. Ronen Eidelman war das sehr recht, er wollte ohnehin kein dauerhaftes Denkmal schaffen, denn mit der Mahnmalkultur hat er auch so seine Probleme: "Dauerhafte Mahnmale sind ein Problem, denn wenn sich die Gegenwart ändert, dann ändert sich auch die Geschichte. Und wer weiß, ob ein Mahnmal, das für heute gut ist, auch gut für morgen ist."

Jüdischer Staat in Thüringen

Nicht nur in Israel, auch in Deutschland sorgte Ronen Eidelman für Unruhe. Als Abschluss eines Aufenthalts an der Bauhaus-Hochschule in Weimar entwickelte er im Vorjahr das Projekt "Medinat Weimar", das einen Ausspruch des iranischen Präsident Mahmud Ahmadinejad aufgriff. Der hatte einmal gemeint, wenn schon Deutschland und Österreich den Holocaust verursacht hätten, dann sollte doch der jüdische Staat dort errichtet werden und nicht auf Kosten der Palästinenser.

Ausgerechnet vor dem Nationaltheater in Weimar, der Weihestätte der deutschen Klassik, dort, wo einst die Verfassung der Weimarer Republik ausgerufen wurde, und wenige Kilometer vom KZ Buchenwald entfernt, proklamierte Eidelman am 22. Juni 2008 den jüdischen Staat Thüringen. Bei der Veranstaltung gab es koschere Bratwürste, und es wurden Plakate hochgehalten, auf denen stand "Kommt zurück! Jetzt ist es sicher!"

"Ob jüdisches Trauma, deutsche Schuld, Nahostkonflikt, ostdeutsche Depression oder andere Weltprobleme - Medinat Weimar löst alles auf einmal." So lautet eine der 13 Thesen zum Medinat Weimar - Medinat ist hebräisch und heißt "Republik". Der neue jüdische Staat würde allen nützen, wird da dekretiert: dem Frieden im Nahen Osten, weil sich dann die jüdischen Siedler nicht mehr in den palästinensischen Gebieten ansiedeln müssten, den Deutschen, weil sie durch die Ansiedlung von Juden bereichert würden, und ganz konkret dem Osten Deutschlands, der ja bekanntlich unter Bevölkerungsschwund leidet.

Widersprüche zuspitzen

Das Projekt Medinat Weimar ist ein Rundumschlag: gegen den deutschen Antisemitismus, gegen die Vorstellung ethnisch reiner Nationalstaaten, gegen das zionistische Projekt der jüdischen Besiedelung arabischen Bodens, gegen falschen Philosemitismus und ritualisierten Antifaschismus.

Eidelman legt sich mit allen an, er spielt ein Vorurteil gegen das andere aus und spitzt somit alle Widersprüche zu. In Thüringen sahen sich die Rechtsextremen darin bestätigt, dass die Juden nie genug bekämen. Und aus der Gutmenschen-Fraktion befürchtete mancher eine Störung der fragilen deutsch-jüdischen Beziehungen.

"Das war für alle eher verwirrend", erinnert sich Eidelman. "Der Rektor der Uni etwa hatte Angst, dass er, wenn er mein Projekt unterstützt, beschuldigt würde, israelfeindlich zu sein. Auf der anderen Seite, wenn er mein Projekt nicht unterstützte, von dem ich ja sagte, es sei pro-jüdisch, dann konnte er der Zensur an einem jüdischen Projekt beschuldigt werden. Schließlich hat er dann erklärt, dass die Uni in keine wie immer geartete Verbindung mit dem Projekt gebracht werden möchte."

Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 4. Juli 2009, 17:05 Uhr

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