Eine überraschend bunte Musikmetropole

Helsinki, archaisch bis elektronisch

Finnlands Hauptstadt Helsinki ist eine überraschend bunte Musikmetropole. Neben der bekannten Qualität klassischer Musik gibt es eine lebendige Szene traditioneller und neuer Musik zu entdecken, die ihre Quellen in archaischen Überlieferungen findet.

Die finnische Musik weist manche Besonderheit auf: "Verrückte" Dinge wie eine Weltmeisterschaft im Luftgitarre-Spielen, den Männerchor der Schreier oder eine Hardrock-Gruppe, die auf Celli spielt.

Andere Musiker schöpfen weniger spektakulär, aber auf sehr individuelle Weise aus dem Schatz einer tausendjährigen musikalischen Tradition, spielen auf archaischen Instrumenten wie Kantele oder Jouhikko und lassen sich vom Runengesang inspirieren, der auch dem Nationalepos Kalevala zugrundeliegt.

Die Akademie der Spielleute

Mitten durch Finnland verläuft eine Kulturgrenze, erklärt der Geiger Arto Järvelä, Vertreter einer berühmten Musikerdynastie aus dem winzigen Dorf Järvelä bei Kaustinen und Mitglied der in Finnland legendären Gruppe JPP. Im Westen dominiert die Tradition der "Pelimannit" - so das finnische Lehnwort für die "Spielmänner", wie sie auch in Norwegen und Schweden verbreitet sind. Vorherrschendes Instrument: Die Fidel, dazu kommen Kontrabass und Harmonium.

Im kleinen Ort Kaustinen, 500 Kilometer nordwestlich von Helsinki, findet seit 1968 eines der größten Folk-Festivals Europas statt. Kaustinen kann als Geburtsort der neuen finnischen Volksmusik gelten. In Kaustinen entstand auch ein Zentrum für Forschung, Ausbildung und Dokumentation. Seine Aufgaben hat inzwischen allerdings die Sibelius-Akademie in Helsinki übernommen. Seit 1983 kann man an der größten Musikuniversität Skandinaviens auf hohem Niveau Volksmusik studieren.

Von Fischen und schönen Jungfrauen

Der Gründer und langjährige Leiter der Volksmusikabteilung, der vor kurzem emeritierte Heikki Laitanen, legte besonderen Wert auf die Erforschung einer noch ältere, schon weitgehend verloren gegangene Tradition, wie sie vor allem im Osten Finnlands länger zu finden war: Der Runengesänge, wie sie im frühen 19. Jahrhundert von Elias Lönnrot aufgeschrieben wurden, der daraus das finnische Nationalepos Kalevala zimmerte.

Begleitet wurden die Gesänge von einem zitherähnlichen Instrument, dessen Erschaffung in der Kalevala beschrieben wird: Aus dem Kieferknochen eines riesigen Hechts und aus den Haaren einer schönen Jungfrau machte der weise Held Väinämöinen demnach Rahmen und Saiten der ersten Kantele. Vor allem in Karelien haben sich alte Volkstraditionen länger gehalten als in anderen Landesteilen, aus Karelien kam auch die national und international phänomenal erfolgreiche Folk-Gruppe Värttinä.

Kantele statt Blockflöte

Tatsächlich waren die ersten Kanteles wohl eher aus Birkenholz und Pferdehaaren, später kamen Kupfer- und Stahlsaiten. Heute erlebt die Kantele eine erstaunliche Renaissance als neues Nationalinstrument: In finnischen Volksschulen hat sie als erstes Instrument die Blockflöte abgelöst, und es gibt ein breites Spektrum neuer Musik für die Kantele, von ernster zeitgenössischer Musik bis zu Pop-Folk mit elektrisch verstärkten Instrumenten.

Auch das Jouhikko, eine Urform der Geige, ist in der jungen Musikszene beliebt: eine Kniegeige mit nur drei Saiten, die nicht auf ein Griffbrett gedrückt, sondern nur in der Luft berührt werden. Der heisere Klang des Jouhikko bereichert heute den Klang vieler Musikgruppen, zuletzt punktete das reine Jouhikko-Ensemble Jouhiorkesteri in internationalen Weltmusik-Bestenlisten. Ihnen allen geht es nicht um einfaches Konservieren, nicht um ein Kopieren der historischen Archivaufnahmen, sondern um Neuschöpfungen, entsprechend Heikki Laitinens Philosophie: Musiker, auch Volksmusiker, sind immer auch Komponisten; die Tradition pflegen heißt Neues schaffen.

Poesie und Erdmaschinen

Aus Heikki Laitinens Schule, der Volksmusikabteilung an der Sibelius-Akademie, kommen heute weltweit renommierte Künstler und Künstlerinnen: Die Akkordeonistin Maria Kalaniemi oder ihr Kollege Kimmo Pohjonen etwa, die für gegensätzliche Richtungen stehen: Maria Kalaniemi für die behutsame, poetische Adaption vor allem finnlandschwedischer Volkslieder, Kimmo Pohjonen für elektronisch verfremdete Klänge und zuletzt brachiales Spiel, bis hin zum Einsatz von "Erdmaschinen" wie Baggern und Traktoren.

Zwischen diesen Polen tut sich ein weites Feld auf, in dem Musikerinnen und Musiker ihren individuellen Umgang mit dem musikalischen Erbe definieren. Das tun sie auf (offenbar) typisch finnische Art: spieltechnisch souverän, und oft genug mit kreativen, überraschenden Ergebnissen.

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 6. Juli bis Donnerstag, 9. Juli 2009, 9:45 Uhr

Links
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