Begeisterter Stehplatzgeher

Eberhard Wächter

Für Eberhard Wächter ist nach der Sängerkarriere vor allem ein Ziel im Vordergrund gestanden: Wiener Operndirektor zu werden. Ein Wunsch, der auch in Erfüllung gegangen ist, dem der Tod jedoch nach nur wenigen Monaten ein Ende gesetzt hat.

Ich bin ein sehr großer Verfechter des Buhrufens. Ich finde, man soll, wenn einem etwas nicht gefällt, ohne weiteres seinem Unmut Luft machen.

Eberhard Wächter - ein Name, der in der Geschichte der Wiener Staatsoper stets einen Sonderplatz einnehmen wird. In erster Linie natürlich als herausragender Gesangskünstler in rund drei Jahrzehnten, aber ebenso als kürzest dienender Direktor des Hauses - wenn man diverse Interimslösungen ausklammert. Schließlich ist er nicht einmal sieben Monate nach seinem mit Spannung erwarteten Amtsantritt ganz plötzlich bei einem Spaziergang durch den Wienerwald gestorben.

Visionen oder Utopien?

Aber künstlerische Leistungen sind ohnehin nicht mit dem Zollstock zu messen und längere Amtszeiten keineswegs mit künstlerischen Höchstleistungen gleichzusetzen. Ohne Zweifel aber hat Eberhard Wächter trotz der Kürze seines Wirkens künstlerische Wahrheiten ausgesprochen, Visionen - manche würden vielleicht sagen Utopien - geäußert und auch Weichen für die Zukunft gestellt, die zumindest die Richtung gewiesen haben.

Welchen Weg das Haus aber schließlich unter seiner Oberleitung genommen hätte, muss hingegen Spekulation bleiben. Dass er, würde er noch leben, heute immer noch dessen Direktor wäre, ist jedoch mit größter Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Benötigt man dazu doch "ein Herz aus Stein hinter einem harten Äußeren", wie sich Sir Rudolf Bing selbst charakterisiert haben soll (Zitat Birgit Nilsson), der nicht weniger als 22 Jahre Generalmanager der MET gewesen ist.

Autoritär und populär

Eberhard Wächter hingegen war in seinem Führungsstil zwar autoritär, doch im Grunde genommen nicht herzlos, immerhin hatte er von seiner Tätigkeit im Solistenverband und Betriebsrat her durchaus auch soziale Kompetenzen mitgebracht. Auch mit dem Publikum, das ihn noch immer als großen Künstler verehrte, konnte er gut umgehen, kannte keine Arroganz und bestach durch seinen ansteckenden Humor, gepaart mit einer gehörigen Portion Sarkasmus.

Etwa wenn er bei einem Publikumsgespräch auf die Klage einer älteren Dame, die sich über angeblich ungewaschene Studenten (und Restkartenbezieher) in ihrer Loge beschwerte, antwortete: "Ich weiß nicht, ich glaube, wenn wir in einer Diktatur leben würden, würd' ich die Leute zwangsweise waschen lassen." Und zum leidigen Thema Inszenierungen meinte er: "Die müssen normaler werden. Zum anderen soll das Publikum keine Gebrauchsanweisung mehr benötigen, um eine Inszenierung zu verstehen. Und vielleicht das Wichtigste: Sie muss dem Direktor gefallen."

Begeisterter "Stehplatzler"

Geboren wurde Eberhard Wächter am 9. Juli 1929 in Wien, hier wurde er musikalisch ausgebildet - als Sänger von Elisabeth Rado - und hier hat er auch seine Sängerlaufbahn begonnen, am 20. Mai 1953 als Silvio in Leoncavallos "Bajazzo" an der "Wiener Staatsoper in der Volksoper", also in einem der Ausweichquartiere des damals noch nicht wiedereröffneten Hauses am Ring, das im Krieg ja weitgehend zerstört worden war.

Helge Rosvaenge hat in dieser Vorstellung den Canio gesungen, eines der großen Idole des von Jugend auf begeisterten Stehplatzbesuchers Eberhard Wächter: "Für mich war Oper eine reine Gefühlssache", hat Wächter in einer Matinee der "Opernfreunde" einmal erzählt: "Eine Begeisterung, die einen erfasst hat, ohne dass man darüber nachgedacht hat, warum, wieso und weshalb. Man musste sich jeden Tag stundenlang anstellen für den Stehplatz, und wir sind da gestanden und haben nur über die Oper geredet. Man kann das heute kaum schildern, was das für eine Begeisterung war!"

Weltstar bis auf Widerruf

Diese vielleicht naive Begeisterung wollte Wächter schließlich dann auch als Direktor wieder in die Oper zurückbringen, selbst wenn sich dort die Zeiten seit seinen eigenen Stehplatzjahren und seinen ersten großen Erfolgen grundlegend geändert hatten. Bereits wenige Jahre nach seinem Debüt hat schon seine Weltkarriere begonnen, ihn an die Scala und an die MET gebracht, nach Salzburg und Bayreuth, doch bereits in den späten 1960er Jahren hatte er das Reiseleben satt.

Wächter hat seine Karriere dann ganz bewusst heruntergefahren, fest entschlossen, von nun ab hauptsächlich in Wien zu bleiben, hier zu singen, selbst auf die Gefahr hin, seinen bereits errungenen Status als Weltstar damit zu opfern. Parallel dazu gab es eine Stimmkrise, ebenso Versuche im Charakterfach, doch bereits als Anfangsfünfziger hat er entschieden, seine Gesangskarriere langsam auslaufen zu lassen.

Der Operndirektor

Plötzlich aber gab es eine neue Herausforderung: Operndirektor. 1987 übernahm er mit großem Erfolg die Volksoper und ab 1. September 1991 schließlich in Personalunion auch das Haus am Ring. "Seine letzte Rolle war, auch wenn sie ihm "einen Lebenstraum erfüllte", die "heikelste" schrieb der "Spiegel" wenige Monate später nach seinem so unerwarteten Tod mit nur 62 Jahren:

Zusammen mit dem Ex-Impresario Ioan Holender versuchte der Ex-Sänger, nach der Volks- nun auch noch die Staatsoper seiner Geburtsstadt Wien zu konsolidieren. Richtig schön wie früher, als der Pennäler Eberhard selbst vor Ort zur berüchtigten Stehplatz-Claque gehörte, sollte es im Singtempel wieder werden; hauseigenes Ensemble statt jettender Stars, solide statt kühne Inszenierungen, Spielpläne nach bürgerlichem Gusto. Das Konzept spaltete ganz Opern-Österreich, Primadonnen sagten schon ab, der Musikchef Claudio Abbado schmiss hin. Dabei wollte Wächter nur den Glanz jener Ära auffrischen, die er, als hell timbrierter Bariton, selbst mitgeprägt hatte. Ob als Don Giovanni, Amfortas oder Barbier von Sevilla, ob in Wien oder in der Welt - der "Herr Baron", wie sich der Sänger gern titulieren ließ, hatte stets auf Noblesse in Stimme und Statur gehalten.

Hör-Tipp
Apropos Oper, Dienstag, 7. Juli 2009, 15:06 Uhr