Spurensuche entlang des Marchfeldkanals

Das unbekannte Gewässer

Der Marchfeldkanal garantiert den Bauern des Marchfelds einen stabilen Grundwasserspiegel und damit sichere landwirtschaftliche Erträge. Ganz nebenbei ist durch die Errichtung des künstlichen Gewässers auch ein attraktives Ausflugsziel entstanden.

Das Marchfeld genießt bei vielen Menschen einen eher zweifelhaften Ruf betreffend seiner Attraktivität als Ausflugsziel. Dort irgendwo hinter Wien, wo die Landschaft flach, öd und "ausgeräumt" ist, mag ja einiges an landwirtschaftlichen Produkten wachsen, aber es gibt wenig Gründe, sich in seiner Freizeit dorthin zu begeben.

"Früher hättest da am Sonntag nackert rumrennen können und keinen hätte es gestört, weil da war keiner. Früher war hier die Steppe". So beschreibt ein Bauer aus dem Marchfeld die freizeittouristische Attraktivität seiner Heimat vor einigen Jahren. Seither hat sich im Marchfeld einiges getan: 1992 wurde ein Kanal errichtet und dieser künstliche Flusslauf hat der Gegend nicht nur frisches Wasser zum Bewässern, sondern auch einen grünen Streifen Natur gebracht, der die Menschen aus der Umgebung für allerlei Freizeitaktivitäten anlockt. Vieles hat sich dadurch verändert und - wie es aussieht - zum Guten.

Verlässlichkeit und natürlicher Charme

Der Marchfeldkanal ist ein Zweckbau, der gleichzeitig auch Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten ist. Naturnaher Wasserbau heißt das Prinzip, das in die Tat umgesetzt wurde. Und auch die laufenden Pflegemaßnahmen orientieren sich immer an der Frage: Wie könnte ein natürlicher Fluss an dieser Stelle aussehen? Erstmals in Österreich wurde diese Frage hier vor 25 Jahren zum Leitbild der Planung eines künstlichen Flussbettes. Der Gestaltungswettbewerb fand 1984 statt, im gleichen Jahr wie die Au-Besetzung bei Hainburg, also im Geburtsjahr einer breiteren Ökologiebewegung in Österreich.

Freilich hätte auch damals den Tieren niemand einen neuen Lebensraum für viele Millionen Euro gebaut und auch nicht den Anrainern einen Naherholungsraum, wenn nicht der wirtschaftliche Nutzen des Bauwerks diese Investitionen rechtfertigte.

Die Aufgabe des Kanals ist es, die unterirdischen Wasserspeicher zu füllen, aus denen sich die vielen tausend Bewässerungsanlagen auf den Feldern des Marchfelds speisen. Hier regne es viel zu wenig, meinen die Bauern. Also pumpte man das Grundwasser herauf, mehr und mehr; das war mit leistungsfähigeren Pumpen in den letzten Jahrzehnten möglich. Und es kam wie es kommen musste: Das Wasser im Untergrund wurde zeitweise knapp.

Jetzt gibt es den Kanal, der wie eine riesige Wasserleitung die Donau anzapft, das Wasser in die zuvor vertrockneten Bäche des Marchfelds leitet und an drei Stellen die Möglichkeit bietet, "den Wasserhahn aufzudrehen" und den Grundwassersee wieder anzufüllen. Diese Stellen sind die "Grundwasserversickerungsanlagen", in denen kontrolliert durch Messgeräte und Steuerungen genau so viel Donauwasser ins Grundwasser gelangt, wie für eine Stabilisierung des Grundwasserpegels nötig ist.

Rücksichtsvolles nah-erholen
Das Donauwasser hat eine gute Qualität, die über den Verlauf des Marchfeldkanalsystems erhalten bleiben muss, damit das Grundwasser bei der Versickerung des Oberflächenwassers nicht verschmutzt wird. Im Nahbereich einer großen Stadt ist die Erhaltung der Wasserqualität nur möglich, wenn sich nicht zu viele Menschen und Hunde badend im Gewässer vergnügen. Es blieb daher nichts anderes übrig, als das Baden allgemein zu untersagen.

Zum Radfahren sind die Begleitwege des Kanals ideal geeignet und rücksichtsvolles Paddeln ist gestattet, wenn die Wasservögel im Hochsommer ihr Brutgeschäft abgeschlossen haben. Bereits 1899 gab es in dieser Gegend den ersten Radweg Österreichs.

Historischer Boden
Die nordwestliche Umgebung Wiens ist auch geschichtlich interessant. Allerdings waren die Begebenheiten meistens tragisch, kriegerisch und katastrophal. Pest, Cholera, Malaria, Überschwemmungen und nicht zuletzt Kriegshandlungen entvölkerten diesen Landstrich wiederholt. Die Wiederbesiedlung erfolgte unter anderem auch durch ungarische und bosnische Kroaten, was Ortsnamen wie Deutsch-Wagram erklärt - im Unterschied zu Ortschaften, in denen überwiegend kroatisch gesprochen wurde.

2009 jährte sich zum 200. Mal die Schlacht von Deutsch-Wagram, in der sich die österreichischen Heere mit denen Napoleons entlang des Rußbachs, heute Teil des Marchfeldkanalsystems, schlugen, wobei erneut die Bevölkerung ganzer Dörfer ausgelöscht wurde.

Heute können Besucher an den Ufern dieses künstlichen "Naturraums" die Seele baumeln lassen. "Wenn man die Augen zumacht und auf die Geräusche achtet, die man da links und rechts hört, könnte man glauben, man hätte sich da irgendwo auf dem Amazonas verirrt", meint Wolfgang Neudorfer, Geschäftsführer der Betriebsgesellschaft Marchfeldkanal.

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Marchfeldkanal