Mahlers faszinierender Nachfolger als Staatsopern-Chef

Zum 20. Todestag Herbert von Karajans

Der Mythos lebt: Herbert von Karajan, einer der bedeutendsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts, dessen 20. Todestag sich nun jährt. Er war Vorbote einer neuen Zeit und hat seine Karriere als Architekt eines internationalen Kultur-Imperiums aufgebaut.

Herbert von Karajan war ein Macht-Mensch, ist aber selbst so lange Spielball der Mächtigen gewesen, dass er Zeit hatte, das Handwerk zu lernen und sich das nötige Instrumentarium zum Aufbau und zur Ausübung von Macht sukzessive anzueignen.

Von seinem Vorbild Toscanini lernte er im Orchester Präzision zu erzielen, von Furtwängler, sie zugunsten meditativer Ruhe und großer Gestaltungsbögen wieder zu relativieren. Wie Stokowski registrierte und reagierte er auf die Neuerungen der technischen Entwicklung und arbeitete an der Stilisierung seiner Persönlichkeit und wie Goebbels nutze er die Macht der Medien und die Möglichkeiten der Propaganda.

Karajan hat ein Imperium aufgebaut. Es entsprach zwar nicht der Dimension seiner Visionen, hielt aber doch - mit Abstrichen - mehrere Jahrzehnte den Unbilden kulturpolitischer Anfeindungen stand.

"Generalmusikdirektor Europas"

Als sein eigentliches Ziel hat er die Konstruktion eines Opern-Trusts bezeichnet, einen Verbund der wichtigsten Häuser der Welt, die durch die Vernetzung von Ressourcen - künstlerischer wie technischer -- Produktionen schaffen sollten, um sie dann quer durch die Opernwelt zirkulierten zu lassen. Das ist ihm nicht gelungen.

Aber das ironische Diktum vom "Generalmusikdirektor Europas", mit dem man Karajans Machtposition gerne etikettiert hat, war dennoch zu kurz gegriffen. Auf dem Höhepunkt seines multinationalen Einflusses wäre "Generalintendant Europas" das Mindeste gewesen. Und der Begriff "Europa" als Einschränkung hätte eine gewisse Berechtigung gehabt, weil er zwar weltweite Tourneen mit verschiedenen Orchestern unternommen hat, aber bei weitem nicht jene Ambitionen auf eine amerikanische Karriere erkennen ließ, wie etwa Toscanini vor ihm, oder Sawallisch, Masur, Eschenbach und Welser-Möst nach ihm. Gastdirigate waren für Karajan eine seltene Ausnahme.

Gustav Mahlers Erbe

In der Phase seiner Wiener Staatsopern-Direktion war er in dieser Funktion nicht nur ein Nachfolger Gustav Mahlers - und zwar der künstlerisch faszinierendste, sondern darüber hinaus sowohl der direkte künstlerische Erbe Furtwänglers in Berlin, als auch der Verantwortliche für eine gegenwartsbezogene Umsetzung der Salzburger Festspielidee Max Reinhards. Und als ein Hauptdirigent und Regisseur der Mailänder Scala, de facto auch Nachfolger Toscaninis. Also nochmals - streng chronologisch:

1955 wurde er Chef der Berliner Philharmoniker, die ab 1967 auch das Orchester seiner Salzburger Osterfestspiele wurden, 1956 übernahm er den Vorsitz des Salzburger Festspieldirektoriums und vom Festspielsommer 1957 an jedes Jahr mehrere künstlerische Aufgaben bis zu seinem Tod.

Am 1. Januar 1957 begann seine Tätigkeit als künstlerischer Leiter der Wiener Staatsoper. Hier hat er insgesamt 257 Aufführungen dirigiert und 14 Mal Regie geführt. Teilweise parallel dazu wurde die Mailänder Scala etwa ein Vierteljahrhundert lang Karajans zweitwichtigstes Opernhaus, wo er insgesamt 184 Aufführungen dirigiert hat - einschließlich der Konzerte. Von 13 Opernproduktionen hat er auch hier die Regie übernommen.

Schritt für Schritt - von Ulm nach Berlin

20 Jahre lagen zwischen Karajans Vorkriegs-Debüt im Wiener Haus am Ring und seinem ersten Dirigat in seiner Funktion als Staatsopern-Direktor. Das "Tausendjährige Reich" war sein erstes Hindernis. Auch eine Parteimitgliedschaft nützte nichts, wenn man nicht in Hitlers Gnade stand und einen so mächtigen künstlerischen Gegner hatte, wie Wilhelm Furtwängler. Da konnten sogar Erfolge im Sand verlaufen.

Doch eine von Karajans wichtigsten Eigenschaften war: Geduld. Er konnte warten, denn er wusste, seine Zeit wird kommen. Und die Zeit des Wartens nutzte er zum Lernen. Er lernte nicht nur von Toscanini und Furtwängler, den er ebenso bewunderte, sondern auch, wie man in Provinztheatern mit minimalsten Ressourcen brauchbare Ergebnisse erzielt.

Karajan begann 1929 in Ulm sein erstes Engagement, setzte mit einem zweiten 1934 in Aachen fort und debütierte 1937 an der Wiener Staatsoper mit "Tristan und Isolde" - zwar mit Erfolg, doch ohne Folgen. Dann im Jahr darauf: in Berlin. Dort wurde er als Sensation gefeiert. Als Wunder. Und weiter verpflichtet. Zwar nur ausnahmsweise bei Furtwänglers Berliner Philharmonikern, häufiger aber vom Opernchef Tietjen. Der ermöglichte auch einen kulturpolitischen Seitensprung: Die Nutzung des Opernorchesters, also der Staatskapelle Berlin, für Konzertzyklen. Mit den ersten Engagements in Italien, aber mit nur vier Opern-Produktionen an der Lindenoper, verbrachte Karajan die Kriegsjahre.

Mächtiger Gegner Wilhelm Furtwängler

Auch danach wurde seine Karriere in Wien und Salzburg vom übermächtigen Konkurrenten Furtwängler bis zu dessen Tod ausgebremst. Als für die Wiedereröffnung des einst zerbombten Hauses im Jahr 1955 ein neuer Direktor gesucht wurde, zog man ihm zunächst Karl Böhm vor.

Doch die Ära Böhm dauerte nur ein Jahr. Inzwischen hatte sich Karajan Dirigent eines bemerkenswerten Scala Gastspiels von Donizettis "Lucia di Lammermoor" - mit Maria Callas und Giuseppe di Stefano - als potentieller Nachfolger empfohlen. Mehr noch. Er hat sich als zukunftsorientiert erwiesen, denn nicht nur die Originalsprache sollte in der Karajan-Ära zum Opern-Alltag werden, sondern auch eine enge Zusammenarbeit mit der Mailänder Scala, einschließlich eines regen Sängeraustausches.

Geglückte Kabale oder: Wiener Opernränke

Gestolpert ist der Macht-Mensch Karajan als Wiener Staatsopernchef - er vermied ja immer das Wort Direktor und fühlte sich "nur" als künstlerischer Leiter angesprochen - über die eigene, mangelhafte Handhabung des Instrumentariums seiner Macht. Er liebte die Drohgebärde und die hatte aufgrund seines Marktwertes auch beachtlichen Effekt. Als in seiner Abwesenheit 1961 bei einer gewerkschaftlichen Auseinandersetzung eine Einigung zwischen den Bundestheatern und der Gewerkschaft erzielt wurde, drohte er mit Rücktritt, weil er sich übergangen fühlte. Auf sein Verlangen hin wurde ihm ein Kodirektor zur Seite gestellt und nach dessen Rücktritt ein weiterer, Egon Hilbert, ein geschickter Jurist, der sich einen hieb- und stichfesten Vertrag zurechtzimmerte.

Dann kam 1963 der Skandal mit der Absage der "Boheme"-Premiere, wegen des Maestro suggeritore, eines in der Scala selbstverständlichen, mit-dirigierenden Souffleurs, was zu gewerkschaftlichem Protest führte. Und es kamen die Auseinandersetzungen zwischen Karajan und seinem neuen Kodirektor, bis dieser einen raffinierten Coup startete: Kraft seiner Planungshoheit setzte Hilbert die Wiederaufnahme von Karajans "Tannhäuser"- Produktion am gleichen Abend an, an dem ein Festwochengastspiel der Berliner Philharmoniker unter ihrem Chef geplant war. Karajan merkte es zu spät. Bevor er protestieren konnte, hatte Hilpert schon Oscar Danon als "Tannhäuser"-Dirigenten engagiert. Und Karajan - im Glauben, Hilpert würde durch seinen Vertrag gezwungen sein, mitzuziehen - erklärte seinen Rücktritt. Doch mit dessen Annahme war Hilbert - von Karajan ungewollt - als Alleindirektor inthronisiert.

Wie zu erwarten, wurde der "Tannhäuser" unter Danon durch laute Publikumsproteste gestört. Und als Karajan noch einmal als Dirigent von Beethovens "Fidelio" als Pult trat, geriet der Zuschauerraum außer Rand und Band. Karajan war gerührt, doch es gab nichts mehr zu ändern. In der Szene, in der Florestan an Rocco die Frage stellt: "Wer ist der Gouverneur dieses Gefängnisses", tönte von der Galerie laut der Ruf: "Hilbert!"