Die ersten Opfer der globalen Finanzkrise

Schiffbruch der Wikinger

Wagemutig wie ihre Vorfahren, die Wikinger, begaben sich die isländischen Banker auf Beutezug: mit riskanten Finanzgeschäften. Innerhalb kürzester Zeit stieg Island zu einem der reichsten Länder der Welt auf - und stürzte jäh ins Bodenlose.

Nach der Privatisierung des isländischen Bankwesens zwischen 1998 und 2002 zogen abenteuerlustige Manager in die Chefetagen ein. "Neue Wikinger" nannten sich die neuen Herren des Geldes, in Anspielung auf ihre Vorfahren.

Das Volumen der Geschäftstätigkeit wurde vom Doppelten auf das Zehnfache des BIP ausgeweitet und der Finanzsektor zum wichtigsten Wachstumsmotor. Doch das geschah zum Großteil mit Fremdkapital und mit undurchsichtigen und immer verwegeneren Finanzkonstruktionen. Als es im Gebälk zu krachen begann, konnte die kleine isländische Zentralbank mit ihren geringen Währungsreserven nicht helfen.

Gefallene Helden

Solange es gutging, wurden die Finanzinvestoren als Helden gefeiert. Olafur Olafsson, einer der Instant-Milliardäre, hatte zu seinem 50. Geburtstag sogar Elton John zu einem Privatkonzert einfliegen lassen. Heute ist er wie seine Kollegen Persona non grata. Insgesamt waren es nur ungefähr 30 Personen, die das isländische Finanzdesaster zu verantworten haben.

Der isländische Staat und damit das Volk müssen dafür geradestehen. Denn die Regeln des Europäischen Wirtschaftsraumes, dem Island 1993 beitrat, sehen vor, dass die Einlagensicherung und damit letztlich der Staat bis zu einer Höhe von zirka 20.000 Euro pro Sparer und Sparerin haftet. Um diese Ansprüche zu erfüllen, muss der Staat Schulden in Milliardenhöhe aufnehmen. Vor der Krise fast schuldenfrei, werden die Staatsschulden demnächst 100 Prozent des BIP ausmachen.

Hohe Schulden, geringe Werte

Viele Häuselbauerfamilien haben in den Boomzeiten Fremdwährungskredite aufgenommen. Da die isländische Krone mittlerweile die Hälfte ihres Wertes verloren hat, haben sich die Schulden verdoppelt, während der Immobilienmarkt eingebrochen ist.

Viele wüssten nicht mehr ein noch aus, säßen in der Schuldenfalle, und der Regierung falle nichts anderes ein als kleine Fristverlängerungen bei der Kreditrückzahlung, beschwert sich ein Demonstrant vor dem Parlament in Reykjavik.

Seine Kritik ist verständlich, denn durch die Verkettung von Währungsverfall und Inflation auf der einen und Preisverfall auf der anderen Seite übersteigt bereits in vielen Fällen die Höhe der Schulden den Wert der Eigenheime bei weitem.

Kredithöhe und Inflationsrate

Überdies ist in Island die Kredithöhe nicht eine fixe Summe, sondern an die Indexentwicklung, also die Inflationsrate gebunden, wie ein Betroffener erklärt: "In den Zeiten hoher Inflation in den 1970er Jahren, mit Inflationsraten, die fast so hoch wie in der Dritten Welt waren, war jeder, der einen Kredit hatte, gut dran, denn der Kredit wurde durch die Inflation fast von selbst getilgt. Daraufhin wurde ein System eingeführt, das es nicht in vielen Ländern gibt - soviel ich weiß, nur in Israel und einigen Ländern Südamerikas - und das Darlehen an die Inflation gebunden. Das bedeutet, dass die Kreditsumme im selben Tempo wächst wie die Inflation, und dazu kommen dann noch die Zinsen. In den vergangenen 15 Monaten betrug die Inflation bis zu 20 Prozent, dadurch haben sich auch die Kredite um 20 Prozent erhöht“.

Durch die Inflation erhöht sich also nicht nur der Zinssatz, sondern zusätzlich auch noch die Kreditsumme - eine mörderische Kombination in Zeiten wie diesen.

Trübe Aussichten

Für Wirtschaftsminister Gylfi Magnusson ist das allerdings nur ein Aspekt im düsteren Gesamtspektrum: "Es wird weitere Bankrotte nicht nur im Finanzsektor geben, viele Firmen haben weitaus höhere Schulden, als sie je werden bedienen können. Sie brauchen Kapitalerhöhungen und ihre Gläubiger werden vieles abschreiben müssen, und die ganze Finanzsituation muss neu geordnet werden, während sie weiterarbeiten. Das ist ungefähr so, als würde man ein Auto reparieren, während es fährt“.

Gigantischer Schaden

Wie hoch der Gesamtschaden ist, weiß nicht einmal der heutige Wirtschaftsminister, der erst seit wenigen Monaten im Amt ist. Auf 30 bis 50 Milliarden Dollar schätzt er die Schuldverschreibungen der Banken, die durch deren Bankrott wertlos geworden sind und von den Anlegern und Anlegerinnen abgeschrieben werden müssen. Die isländische Börse, deren Gesamtwert vor der Krise das Doppelte des BIP ausmachte, hat 95 Prozent an Wert verloren. Dafür ist die Arbeitslosigkeit, die vor der Krise in Island kaum bekannt war, auf derzeit neun Prozent gestiegen. Und sie wird weiter steigen. Erst 2011, so der Wirtschaftsminister, werde es wieder aufwärts gehen. Aber auch das ist mehr Hoffnung als Prognose.

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag 27. Juli bis Donnerstag 30. Juli 2009, 9:30 Uhr

Buch-Tipp
Halldor Gudmundsson, Dagur Gunnarsson, "Wir sind alle Isländer. Von Lust und Frust, in der Krise zu sein“, btb-Verlag