New Orleans und der Jazz

The Big Easy, revisited

Im "Hexenkessel" an der Mississippi-Mündung ist der Jazz rund um 1900 entstanden, im Rotlichtviertel Storyville, bei Umzügen und Begräbnismärschen quer durch New Orleans. Doch welche Position hatte diese Musik hier seither?

Louis Armstrong singt den "Basin Street Blues". Sehnsucht nach der Ära der Geburtsstunde des Jazz im New Orleans der Jahrhundertwende ist seither ein fixer Topos dieser Musik. Amerikas vielleicht wichtigster Beitrag zur Kunst des 20. Jahrhunderts ist nicht nur in New Orleans entstanden - in Memphis, in Saint Louis und in anderen Orten vor allem am Mississippi entstanden ähnliche Mischungen aus europäischen und afrikanischen Melodien, Rhythmen und Spielweisen. Ragtime als Vorläufer gab es in Baltimore, New York und Sedalia, Missouri, dem Wohnort von Scott Joplin. Warum ist die Rolle von New Orleans dennoch einzigartig?

Es war einmal am Congo Square

Wohl nirgendwo war das Gemisch der Sprachen und Traditionen so dicht wie im ehemals spanischen und französischen New Orleans. Hier trafen einander Kreolen und Einwanderer aus allen Gegenden Europas, Schotten und Deutsche, Italiener und Slawen. Genauso wichtig: die Traditionen aus verschiedenen Teilen des Schwarzen Kontinents, die hier zusammentrafen. Einen "Hexenkessel" nannte der Jazz-Historiker Joachim Ernst Berendt New Orleans, Arrigo Polillo und viele weitere Autoren haben die Besonderheiten der Stadt hervorgehoben.

Vor allem ließ der traditionelle Katholizismus in Louisiana (das erst 1803 von Frankreich an die USA verkauft wurde) den schwarzen Sklaven manche Freiheiten, die anderswo in angelsächsisch-puritanisch geprägten Staaten verloren gingen. Am Congo Square im Herzen der Stadt kamen sonntags Afroamerikaner vom Niger- und Kongodelta, aus Senegal und Guinea zusammen, sangen Lieder ihrer Heimat, tanzten und trommelten – wie es anderswo in den Südstaaten undenkbar war.

The Big Easy

Nicht nur am Congo Square, auch bei Begräbnismärschen und Paraden wie zum berühmten Mardi Gras entstand die charakteristische Spielweise, der typisch rollende Rhythmus von New Orleans.

Die Musik hatte in der Stadt offenbar einen einzigartigen Stellenwert: Um die Jahrhundertwende kamen auf damals nur rund 200.000 Einwohner und Einwohnerinnen 30 Orchester; Zahl und Qualität der Marschkapellen war lange Zeit legendär. Die Stadt erhielt damals ihren Spitznamen "The Big Easy" - eine gute Stadt zum Leben und Arbeiten, nicht zuletzt für Musiker und Musikerinnen.

1917, beim Kriegseintritt der USA in den Ersten Weltkrieg, wurde das Vergnügungs- und Rotlichtviertel Storyville von der Bundesregierung geschlossen, man sah die Moral der Navy-Soldaten gefährdet. Viele Jazzmusiker zogen nach Norden; in Chicago oder New York dominierten noch lange Zeit vor allem Bläser und Schlagzeuger aus New Orleans.

Kommerz und Atmosphäre

Den Congo Square gibt es immer noch. Es ist heute ein schön gepflasterter Platz im (vom Wirbelsturm 2005 verwüsteten) Louis Armstrong Park. Hier findet seit fast 40 Jahren das New Orleans Jazz & Heritage Festival statt - übrigens auch durch die Katastrophe nicht unterbrochen.

Das anschließende Vieux Carré, besser bekannt als French Quarter, ist noch länger schon ein Tourismusmagnet. Lokalbesitzer, die Stadtverwaltung, auch viele Musiker selbst wissen mit dem gewichtigen Pfund, der Geschichte der Stadt, gut zu wuchern. Als Besucher schwankt man zwischen der Freude, hier vieles bunt und lebhaft wie im Bilderbuch vorzufinden, und dem Eindruck einer allzu perfekten Inszenierung nach kommerziellen Gesichtspunkten.

Die Pflege des Traditional Jazz in Lokalen wie Fritzel's Jazz Pub auf der legendären Bourbon Street oder der berühmten Preservation Hall kannte stärkere und schwächere Phasen und Akteure, doch die Liebe der Musiker (und vieler Besucher und Besucherinnen) zum speziellen Idiom der Stadt ist echt; immer wieder kann man ausgezeichnete Truppen hören, Profis wie Amateure. Der Esprit des alten New Orleans lebt.

Rock 'n' Roll, Soul, Zydeco

Das French Quarter war von "Katrina" relativ wenig betroffen. Doch schon wenige Straßen vom Stadtzentrum entfernt zeigt sich ein ganz anderes Bild. Ausgerechnet viele der ärmeren Gegenden wurden am stärksten zerstört.

Auf die Naturkatastrophe folgte ein soziales und politisches Desaster: die zunächst unkoordinierten, schleppenden und völlig unzureichenden Maßnahmen zur Evakuierung der Bevölkerung und zum Wiederaufbau. Hätten die amerikanischen Behörden genauso gehandelt, wenn die Opfer nicht vorwiegend arme Schwarze gewesen wären? Rund 150.000 der früheren Einwohner und Einwohnerinnen von New Orleans sind nicht in die Stadt zurückgekehrt; an Stelle (schwarzer) Wohngegenden wie The Ninth Ward sollen heute wohlhabende Viertel (für Weiße) errichtet werden, so der Vorwurf ehemaliger Bewohner.

Zorn, Trauer, Hoffnung

Schon vor "Katrina" waren die Gegensätze zwischen den Stadtvierteln von New Orleans nicht zu übersehen. Bei einem Spaziergang durch New Orleans, beim Umschauen und Umhören war schnell klar, dass das Erbe des Jazz nur einer, und bei weitem nicht der dominierende Aspekt schwarzer Musik in New Orleans ist. Rock 'n' Roll (bekanntester Vertreter: Fats Domino) oder Soul (mit Stars wie den Neville Brothers) haben hier ebenso Impulse erhalten; im Umland der Stadt und auch in manchen Lokalen in New Orleans sind Cajun bzw. Zydeco zu Hause. Der Traditional Jazz konnte dagegen leicht museal wirken.

Ausgerechnet die Zerstörungen vor vier Jahren und der Zorn über die Folgen haben aber auch dem Jazz neue Impulse gegeben. Musiker aus New Orleans wie der Trompeter Terence Blanchard oder sein Kollege Christian Scott geben der Trauer, der Wut und der Hoffnung in eindrucksvollen Werken Ausdruck.

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