Jesus an Bord

Der verirrte Messias

Mit dem "Heilsplan" Gottes war Peter Henischs "Pepi Prohaska Prophet" anno 1986 beschäftigt, von einer bibelnahen Schicksalsgemeinschaft erzählt "Die schwangere Madonna". Und voll religiöser Anspielungen ist jetzt auch Henischs neues Buch.

"Sie brauchen keine Angst zu haben, sagte er. Dieses Flugzeug stürzt nicht ab." - "So? Und warum nicht?" - "Weil ich an Bord bin."

Peter Henisch erzählt in seinem neuen Roman von der Begegnung zweier Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie ist eine abgespannte Literaturkritikerin, heißt Barbara und fliegt in den Urlaub zu ihrer Halbschwester nach Israel.

Neben ihr kommt ein junger Mann zu sitzen, der sich als Reiselektüre die Bibel mit an Bord genommen hat. Nicht nur dass er sich offensichtlich köstlich amüsiert über die Texte, hat er zudem ein aufdringliches Mitteilungsbedürfnis. Unaufgefordert liest er der Literaturkritikerin aus der Bibel vor und kommentiert diese so, als sei er tatsächlich vor Ort gewesen, damals vor 2.000 Jahren. So ist es durchaus nachvollziehbar, dass Barbara ihn zunächst für schwer gestört hält.

Auf aussichtsloser Mission

Der junge Mann glaubt tatsächlich an die Möglichkeit, Jesus von Nazareth zu sein. Freilich ist dieser Jesus - oder Jeschua wie er auf Aramäisch heißt - alles andere als eine Verherrlichung jener Figur, die die katholische Kirche als Messias postuliert.

Für seinen Protagonisten hat sich Henisch zudem den Namen des Titelhelden aus Dostojewskis Roman "Der Idiot" entliehen: Mischa Myschkin. Nicht ohne Grund. In beiden Romanen ist Myschkin ein naiver Held mit einer im Grunde aussichtlosen Mission.

Ironische Aspekte

Peter Henisch versteht es gekonnt, das Spannungsfeld zwischen Mischa und Barbara, seinen beiden Protagonisten, bis zur letzten Seite aufrecht zu halten. Zudem beherrscht er die Leichtigkeit des Erzählens, nicht ohne einen gewissen Schuss an Ironie beizumischen.

"Ich habe einerseits die Geschichte sehr ernst genommen, andererseits ihre ironischen Aspekte durchaus nicht vergessen", so Henisch im Interview. "Für mich ist der Umgang mit den Evangelientexten und der Umgang mit der Geschichte, die mir dazu eingefallen ist, ein Spiel mit Möglichkeiten. Dieses Spiel mit Möglichkeiten wäre dieses Spiel in früheren Zeiten wahrscheinlich als häretisch eingestuft worden - die Zeiten sind Gott-sei-Dank vorbei. Ich will Niemandes religiöse Gefühle verletzen, aber bei mir sehen die Dinge etwas anders aus."

Überraschung im Bett

Peter Henisch spielt mit Wirklichkeiten und Möglichkeiten und versteht es glänzend, den Leser mit unerwarteten Wendungen zu überraschen. So etwa muss die Maschine, in der die beiden Protagonisten auf engstem Raum nebeneinander verharren, wegen technischer Probleme in Rom zwischenlanden. Dort verbringen Mischa und Barbara dann einen langen Abend miteinander, um schließlich gemeinsam in einem Hotelzimmer zu landen.

Doch auch hier passiert nicht das Erwartete. Als Barbara sich im Badezimmer zurecht gemacht hat und danach auf das Bett zusteuert, traut sie zunächst ihren Augen nicht: Sie bemerkt Wundmale an den Händen des jungen Mannes, der da vor ihr nackt unter dem Bettlaken liegt. Als sie dann auch die Male an seinen Füßen sieht, sucht sie mit einem erstickten Schrei in der Kehle das Weite.

Nachspiel in Briefen

Barbara kann dieses Bild der Stigmata nicht so bald aus ihrem Kopf bekommen. Auch zwei Wochen später - sie ist wieder aus Israel zurück - erinnert sie sich an jenen Augenblick im Hotelzimmer in Rom. Zudem findet sie einen Brief von Mischa in ihrem Postfach. Es wird nicht der einzige bleiben.

Neben der sich langsam entwickelnden Liebesgeschichte zwischen Mischa und Barbara und dem literarisch-ironischen Umgang mit den Evangelientexten hat Peter Henisch noch eine weitere Ebene in seinen Roman verwoben, und die eröffnet sich in den Briefen, die Mischa von seiner Reise durch Israel an Barbara schreibt.

Rumsfeld in Israel

Es sind Briefe, die den Alltag im krisengeschüttelten Israel und den angrenzenden Palästinensergebieten ebenso widerspiegeln, wie die Suche von Mischa nach seinen Wurzeln als Jesus, der er zu sein glaubt.

So etwa schreibt er Barbara von der Stadt Nazareth, wo er sich in einer kleinen Pension einquartiert hat. Aber es sei ihm unmöglich, sich heute in dieser 70.000 Einwohner zählenden Stadt zurechtzufinden. Außerdem wird sein ursprünglicher Reiseplan durch das Auftreten eines amerikanischen Fundamentalisten durchkreuzt, der zudem eine frappante Ähnlichkeit mit dem einstigen amerikanischen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld aufweist.

So wird der sorgfältig geplante Aufenthalt in Israel bald zu einem Alptraum, dem Mischa Myschkin zu entkommen versucht.

Drei gleichwertige Ebenen

Auch Barbaras Leben hat sich durch die Begegnung mit Mischa gründlich auf den Kopf gestellt und mit jedem neuen Brief gerät sie in eine tiefere seelische Abhängigkeit.

Für Peter Henisch sind die drei Ebenen Liebesbeziehung, religiöse und politische Ebene eine wunderbare Spielwiese: "Die drei Ebenen des Buches sind für mich gleichwertig. Das ist ja auch das Schöne an einer Komposition, dass man sozusagen drei Themen hat, die man dann auf musikalische Weise miteinander verbindet und einander kontrapunktisch gegenüber stellt."

Mit dem Roman "Der verirrte Messias" ist Peter Henisch ein außerordentlich dichter Text gelungen, angesiedelt zwischen Ernst und Ironie, hervorragend recherchiert und spannend bis zur letzten Seite.

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"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.

Buch-Tipp
Peter Henisch, "Der verirrte Messias", Deuticke Verlag

Link
Hanser Verlage - Der verirrte Messias